Andrang bei Doping-Opfer-Hilfe:Jede Woche neue Hilfesuchende

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Doping-Experte Werner Franke: Archiv als Lebenswerk (Archivbild) (Foto: AP)

Ein Navigator für seelisch und körperlich Verwüstete: Die Doping-Opfer-Hilfe erklärt zur Eröffnung des Archivs von Anti-Doping-Kämpfer Werner Franke, wie sich ihre Arbeit verändert: Der Zulauf an Hilfesuchenden reißt nicht ab, unter ihnen sind auch aktuelle Trainer und Betreuer.

Von Holger Gertz, Berlin

Es kann natürlich niemals schaden, in Zeiten einer bevorstehenden deutschen Olympiabewerbung den Blick zu schärfen für die dunklen Seiten und ewigen Verhängnisse des Leistungssports - schon deshalb war der Termin für die Pressekonferenz des Vereins Doping-Opfer-Hilfe (DOH) passend gewählt. Berlin, Kronenstraße, ein Konferenzsaal in den Räumen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Der Verein hat eine neue Webseite, aber das war eher eine nachrangige Nachricht, gemessen an dem was Ines Geipel, DOH-Vorsitzende, sonst noch mitzuteilen hatte.

Der Verein berät Menschen, die gedopt worden sind und unter den Folgen des Doping bis heute leiden, und der Zulauf, den er hat, belegt das Ausmaß der seelischen und körperlichen Verwüstungen, die Doping anrichtet. "Was uns aufgefallen ist im letzten halben Jahr: Es haben sich wöchentlich neue Athleten gemeldet", sagte Geipel. Nicht nur ehemalige Athleten mit schweren Schädigungen, "sondern auch aktuelle Trainer und Betreuer, die uns auf Verwerfungen des gegenwärtigen Sports aufmerksam machen".

Schließlich, eine neue Gruppe von Rat- und Hilfesuchenden: "Athleten, die nach dem Mauerfall Sport gemacht haben, in der Transformationsphase bis 2005, 2006. Eine neue Gruppe, die wir bislang gar nicht im Blick hatten", sagte Geipel: "Wir werden zunehmend ein Verein, der sich mit den Schädigungen durch Sport bis in die Gegenwart beschäftigen wird und beschäftigen muss."

Der Verein verstehe sich als "Navigator für das Jetzt": Bemerkenswert ist schon die Begrifflichkeit, die die Autorin und Denkerin Geipel findet für das Thema Doping und Medizinverbrechen im Sport. Sie selbst - früher Sprinterin - wollte raus aus der DDR, war kritisch und mutig und hätte beinahe mit dem Leben bezahlt für ihre Haltung.

Vor wenigen Tagen ist gerichtlich etwas Klarheit gebracht worden in das Thema Doping und seine Folgen. Die Berliner Kanutin Kerstin Spiegelberg war in der DDR ohne ihr Wissen als Minderjährige mit Anabolika gedopt worden. Im Jahr 2000 wurde bei ihr Brustkrebs diagnostiziert, da war sie 32 Jahre alt. Das Verfahren zog sich von 2007 bis 2013, nun hat ihr das Sozialgericht Berlin eine Opferrente zugesprochen, der Zusammenhang zwischen dem Doping und ihrer Erkrankung wurde sozusagen gerichtlich bestätigt; eine sporthistorische Entscheidung.

Genug Ärzte und auch Funktionäre haben in der Vergangenheit behauptet, die gesundheitlichen Probleme eines ehemaligen Athleten hätten nichts zu tun mit dem, was er in seiner Karriere getan hat - oder mit dem, was ihm angetan wurde. Das Urteil macht solche verwässernden Aussagen schwieriger, andere Kläger können sich darauf berufen.

Rechtsanwalt Sven Leistikow, der Kerstin Spiegelberg vertritt, sagte jetzt in Berlin: "Die Erwartung an dieses Urteil ist jetzt sicher, dass es den Damm bricht für andere Entscheidungen." Aber die Frage, was eine Folge von Doping ist, bleibt schwierig zu beantworten: "Was ich ganz besonders finde, ist, dass wir eine Krebserkrankung als Dopingfolge anerkannt bekommen haben", sagte Leistikow.

"Ein anderes Problem sehe ich aber nach wie vor in der Schädigung des Knochenapparats der Sportler. Ein Sportler, der Dopingmittel nimmt, ist in der Lage, über die Leistungsfähigkeit hinauszugehen, die ein Körper normalerweise hat. Aber ein Körper ist ja ein Gesamtkunstwerk, wo eins zum anderen passt. Wenn aber der Muskelaufbau größer ist, dann werden die Knochen mehr belastet - also ist der Körper einem größeren Verschleiß ausgesetzt, weil der Sportler wegen Dopings über seine Grenzen gegangen ist." So argumentiert er vor Gericht, wird aber nicht richtig gehört, vielleicht wird das jetzt anders.

Der Erfolg in der Sache Spiegelberg hing sehr zusammen mit Werner Franke, Forscher am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, außerdem Antidopingkämpfer und ein Mann, der sich - wie Geipel es sagte - einer "Ethik der Wahrheit" verpflichtet fühlt. Franke hatte für Spiegelbergs Gerichtsverfahren ein umfassendes Gutachten geschrieben, in dem der Zusammenhang zwischen dem Tumorwachstum und dem Gebrauch von Anabolika dargelegt wurde.

Franke selbst war auch in Berlin, die DOH-Pressekonferenz war in gewissem Sinne auch seine Veranstaltung. Die Doping-Opfer-Hilfe eröffnet in Berlin das nach seinem Initiator benannte Werner-Franke-Dopingarchiv, das nach dem Umzug von Weinheim ab sofort in Räumen der Havemann-Gesellschaft interessierten Nutzern zur Verfügung steht.

Vielleicht kann man dieses Archiv auch als Teil des Franke'schen Lebenswerks betrachten, eine Zusammenfassung jedenfalls der Recherchen seines Lebens. Franke gab einen wortreichen Überblick über das, was einsehbar sein wird. Viel Zeitungsmaterial natürlich, Literatur. Aber auch Dissertationen von Sportwissenschaftlern aus der DDR. Strafanzeigen und Gerichtsverfahren. Interne Belege und Forschungsergebnisse.

In Akten abgeheftet sind etwa die "Vorlage für die Dienstbesprechung des Staatssekretärs am 7. 9. 1987" genauso wie ein in Jena gefertigter "Ergebnisbericht zur Pharmakokinetik und Biotransformation von STS 646 beim Kaninchen". Aber auch was sich kurios anhört, bleibt immer Teil des Verhängnisses Doping, es erzählt einen Teil der Geschichte von Verführern und Verführten.

Wem der Akzent zu sehr auf Ostdeutschland liegt, den kann Franke beruhigen. Die Dokumente West, sagt er, werden Ende des Jahres eingepflegt.

© SZ vom 24.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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