American Football:Tom Brady ist immer noch nicht fertig

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Bester Quarterback aller Zeiten: Tom Brady. (Foto: Jim Dedmon/USA TODAY Sports)

Am Donnerstag hat die neue NFL-Saison begonnen. Zum Start: die wichtigsten Akteure, Teams und Geschichten.

Von Maximilian Länge

Die Favoriten

Philadelphia Eagles: Das Banner mit dem Titel Super-Bowl-Champion hing gerade eineinhalb Stunden unter dem Stadiondach in Philadelphia, da hallten schon die ersten Pfiffe der unzufriedenen Zuschauer. Das schwache Eröffnungsspiel erfüllte nicht die Erwartungen. Die hohen Ansprüche sind berechtigt, Philly geht personell nahezu unverändert in die neue Saison. Der Champion behielt alle seine Top-Spieler, mit Michael Bennett und Haloti Ngata verstärkten zudem zwei erfahrene Abwehrspieler die Verteidigungslinie. Im Angriff bleiben aber Fragen: Wie oft kann Ersatz-Quarterback Nick Foles die Form aus Super Bowl 52 aufs Spielfeld bringen? Wann übernimmt der noch nicht fitte Carson Wentz nach seiner schweren Knieverletzung? Im Eröffnungsspiel gelang Foles zwar ein knapper Sieg, dass die Leistung aber nicht ausreichend war, verrieten ihm die Zuschauer.

Atlanta Falcons: Acht Heimspiele bestreitet ein NFL-Team pro Saison. Durch die Teilnahme an den Playoffs können maximal zwei weitere hinzukommen. Nur für die Falcons geht die Rechnung 2018 anders: Erreichen sie das Endspiel, könnte dieses zum elften Heimspiel werden - und die Falcons Geschichte schreiben. Denn noch nie hat ein Team den Super Bowl im eigenen Stadion bestritten. Die Voraussetzungen sind hervorragend. Um Quarterback Matt Ryan ist ein Team entstanden, das die vielleicht besten Positionsgruppen der NFL in Pass- und Laufspiel kombiniert. Größte Schwäche Atlantas ist wie schon in den vergangenen Jahren die Effizienz kurz vor der gegnerischen Endzone.

New England Patriots: Tom Brady ist der beste Quarterback aller Zeiten und immer noch nicht fertig. Er jagt in seiner 19. NFL-Saison mit nun 41 Jahren weitere Rekorde. Solange Brady seiner Mannschaft als Meister des Kurzpassspiels erhalten bleibt und der genauso geniale wie grummelige Bill Belichick als Cheftrainer das Sagen hat, sind die Patriots ein Mitfavorit.

Die Stars

Aaron Donald: Der aktuell beste Verteidiger der Liga blieb zum Trainingsauftakt zu Hause, weil er monatelang vergebens auf einen besser dotierten Vertrag pochte. Er war einer von vier prominenten Spielern, die in der Vorbereitung streikten und das - wenn nötig - auch in die Saison hinein machen wollten. Dazu kam es bei Donald nicht, er nahm die Arbeit eine Woche vor Saisonstart auf, nachdem er einen Sechsjahresvertrag über 135 Millionen US-Dollar unterzeichnet hatte. Für weniger als 24 Stunden war er der bestbezahlte Verteidiger der NFL. Dann zogen die Chicago Bears nach und machten Khalil Mack mit 141 Millionen US-Dollar über sechs Jahre zum neuen Rekordverdiener.

Aaron Rodgers: Dinge, die Tom Wrigglesworth gut kann: Standup-Comedy. Radio. Fernsehen. Dinge, die der 42 Jahre alte Brite nicht gut kann: Footballs werfen. Und trotzdem ist er in Green Bay, dem Hoheitsgebiet der Packers, eine Berühmtheit. Der Grund dafür ist Wrigglesworths Gesicht. Es ist fast ein identisches Abbild von dem des Packers-Quarterbacks Aaron Rodgers. Sorgen, dass der Doppelgänger im Verletzungsfall einspringen könnte, muss in der NFL niemand haben. Es wäre eine Witz-Vorstellung, über die Green Bays Fans nicht lachen könnten.

Julio Jones: Man muss in der NFL nicht Aaron heißen, um zu den Besten zu gehören. Julio Jones von den Atlanta Falcons ist seit Jahren einer der beständigsten Passempfänger der Liga. Am 26. November 2017 überbrückte er im Spiel gegen die Tampa Bay Buccaneers mit 13 Fängen 253 Yards. Dieser Wert macht ihn zum einzigen aktiven Spieler, der drei Spiele mit mehr als 250 Yards aus Pässen vorzuweisen hat. Nur in den Super Bowl haben ihn seine sicheren Hände noch nicht geführt.

Die Exoten

Matthew Dickson: Bei der alljährlichen Talentschau wählten die Seattle Seahawks den australischen Punter ungewöhnlich früh und ernteten dafür den Spott der Fans. Dieser ist inzwischen verstummt, denn der unbekümmerte Dickson erledigt seine Aufgabe - Bälle per Fuß so nah wie möglich an die gegnerische Endzone zu dreschen, um dem Gegner für seine Angriffe eine möglichst schwierige Ausgangsposition zu schaffen - so bravourös, dass einige Experten in ihm schon einen zukünftigen Hall-of-Fame-Punter ausmachen. Dabei ist Dickson noch nicht richtig in der Profiliga angekommen. In den Vorbereitungsspielen erkundigte sich der ehemalige Aussie-Rules-Spieler bei Teamkollegen nach dem NFL-Regelwerk.

Jon Gruden: Aus der Reporterkabine zurück an den Spielfeldrand. Man fragt sich, was der Kommentator Jon Gruden über den Trainer Gruden sagen würde, wenn er dessen Aktivitäten in der Saisonvorbereitung beurteilen müsste. Gruden, seit dieser Saison Cheftrainer der Oakland Raiders, verscherzte es sich mit dem besten Spieler seines Teams: Verteidiger Khalil Mack wurde nach einem Gehaltsstreik an die Chicago Bears verscherbelt. Gruden investierte in Spieler, die anderswo aussortiert worden waren, und entließ sie kurze Zeit später wieder. Die Personalentscheidungen wirken wenig durchdacht. Aber auch zwischen 1998 und 2001, als Gruden schon einmal Trainer in Oakland war, dauerte es zwei Jahre, ehe die Raiders die Playoffs erreichten.

Efe Obada: Die Wohlfühl-Geschichte der Saison kommt aus England. 2014 war Efe Obada 22 und arbeitete als Wachmann, als er zum ersten Mal mit American Football in Kontakt kam. Da hatte er bereits Nigeria, Holland und die Straßen von London, in denen ein Menschenhändler ihn und seine Schwester zurückgelassen hatte, hinter sich gelassen. In seinem neuen Sport bestritt Obada gerade einmal fünf Partien für die London Warriors in Englands höchster Football-Liga, dann überzeugte er die Dallas Cowboys im Probetraining, als diese gerade in England waren. Über Plätze im Trainingskader der Cowboys, der Kansas City Chiefs und der Atlanta Falcons kam er 2017 zu den Carolina Panthers, wo er jetzt erstmals den Sprung ins Aufgebot für die reguläre Saison schaffte.

Die Deutschen

Equanimeous St. Brown: Erst Equanimeous, bald möglicherweise Amon-Ra und zuletzt wohl Osiris. Die St. Browns könnten in den kommenden Jahren zur deutsch-amerikanischen NFL-Vorzeigefamilie werden. Equanimeous ist der älteste Sohn des ehemaligen US-Bodybuilders John St. Brown und der Leverkusenerin Miriam Steyer. Er hat dieses Jahr den Sprung vom College in den finalen Kader der Green Bay Packers geschafft, wo er einer von sieben Passempfängern von Aaron Rodgers sein wird. Der Vater will seine Söhne der Reihe nach zu Profisportlern machen und überlässt dabei wenig dem Zufall. Amon-Ra spielt aktuell an der University of Southern California, Osiris hat sich die Stanford University als College ausgesucht.

Mark Nzeocha: Der Ansbacher ist der zweite Deutsche, der dieses Jahr fester Bestandteil eines aktiven NFL-Kaders ist. Nzeocha spielt als Verteidiger seit 2017 bei den San Francisco 49ers. Zuvor war er drei Jahre lang bei den Dallas Cowboys. In einer aufstrebenden Mannschaft mit Außenseiterchancen auf den Titel dürfte er größere Chancen auf einen Kaderplatz haben als der junge St. Brown bei den Packers.

Die Trainingskader-Spieler: Nicht in die endgültigen Kader ihrer Teams schafften es Christopher Ezeala (Baltimore Ravens), Eric Nzeocha (Tampa Bay Buccaneers) und Moritz Böhringer (Cincinnati Bengals). Jedoch dürfen alle drei weiter von einer aktiven Karriere träumen, weil sie durch das internationale Entwicklungsprogramm der NFL gesonderte Plätze im Trainingskader sicher haben. Von dort aus können sie jederzeit von allen 32 Teams für den aktiven Kader verpflichtet werden.

Die Aktivisten

Colin Kaepernick: Er ist immer noch da, obwohl er seit 21 Monaten kein Spiel mehr bestritten hat. Quarterback Colin Kaepernick, der unter NFL-Spielern den Protest gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA begonnen hat, wird von NFL-Managern weiterhin ignoriert, wenn es darum geht, einen Spielmacher zu verpflichten - und das, obwohl Woche für Woche schwächere Quarterbacks auflaufen. Trotzdem ist Kaepernick präsent. Als Teil einer groß angelegten Kampagne strahlte der US-Sportartikelhersteller und NFL-Vertragspartner Nike während der Übertragung des Eröffnungsspiels einen Clip aus, in dem Kaepernick als Aktivist dargestellt wird, der für die größere Sache seine Sportkarriere geopfert hat. Die Kampagne nötigte der NFL ein Statement ab, auf das viele jahrelang vergeblich gewartet hatten: "Die Probleme sozialer Ungerechtigkeit, die Colin und andere Profisportler thematisieren, verdienen unsere Aufmerksamkeit und unser Handeln."

Shaquem Griffin: In der Werbekampagne taucht auch ein junger Mann auf, dem in jungen Jahren gesagt wurde, er könne nicht Footballer werden, weil er nur eine Hand hat. Der erst nicht eingeladen wurde zur Talentschau der NFL und dann doch die Scouts überzeugte. Der zunächst in der NFL ankommen sollte und dann in der Vorbereitung direkt die Trainer begeisterte. Am Sonntag wird er genau das zum ersten Mal tun, was viele ihm nicht zugestehen wollten: Profi-Football spielen trotz Handicap. Linebacker Shaquem Griffin wird dann für die Seattle Seahawks gegen die Denver Broncos auf dem Spielfeld stehen, gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Shaquill.

Nate Boyer: Ein Vorbereitungsspiel absolvierte der ehemalige US-Soldat während seiner kurzen NFL-Karriere, dann war Schluss. Doch wie Colin Kaepernick ist auch er Protagonist der anhaltenden Debatte über den Protest der Spieler und die Konsequenzen. Weil er es war, der Kaepernick einst vom Knien statt Sitzen als respektvolle Art des Protests überzeugte. Weil er immer wieder versucht, den Dialog zwischen Gegnern des Protests und Befürwortern zu fördern, indem er erklärt, dass er für das Recht zu protestieren und das Recht, die eigene Meinung zu äußern, als Soldat gekämpft habe. Weil er aktuell das Gefühl hat, dass beide Parteien sich kein Stück aufeinander zu bewegen. Die Diskussionen werden auch 2018 nicht enden.

© SZ vom 09.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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