American Football:Rasanter Einbruch

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Sein Protest richte sich nicht gegen Soldaten oder Polizisten, erklärt Kaepernick (Mitte), sondern gegen ein System, das Schwarze unterdrücke. (Foto: Marcio Jose Sanchez/AP)

Die NFL verliert in den USA so viele Fernsehzuschauer wie lange nicht - vor allem die Politisierung des Sports stört die Fans.

Von Christoph Leischwitz, München

Natürlich gibt es auch in diesem Fall einen schwer messbaren Trump-Faktor. Die polarisierenden Präsidentschaftswahlen in den USA dürften selbst eingefleischtesten Football-Fans Zeit geraubt haben, sonntags ihr Lieblings-Footballteam zu verfolgen. Eigentlich haben die Spiele der National Football League (NFL) auch immer noch traumhafte TV-Quoten, verglichen mit anderen Formaten. Doch in der laufenden Saison, die Anfang September begann, ist der Einbruch so frappierend, dass Donald Trump nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden kann. "Ich glaube, es gibt dafür mehr als einen Grund", sagte auch der Chef der NFL, Roger Goodell, als er mit dem unangenehmen Thema konfrontiert wurde.

Besonders deutlich ist der Vergleich mit Quoten aus dem Vorjahr. Das landesweit übertragene "Sunday Night Game" zur besten Sendezeit vom siebten Spieltag war einer der Tiefpunkte. Im direkten Vergleich hatten fast 15 Prozent weniger Menschen zugesehen als im Jahr davor. Die Seattle Seahawks und die Arizona Cardinals trennten sich in einer langweiligen Partie trotz Verlängerung 6:6.

Auch strittige Schiedsrichter-Entscheidungen sorgen für Frust

Es gibt auch schon Umfragen zu diesem Thema, eine davon hatte Yahoo in Auftrag gegeben. Dabei zeigte sich, dass nicht unbedingt die Wahlen Fans vom Zuschauen abhielten - sondern vielmehr die Politisierung im Footballstadion. Der Quarterback der San Francisco 49ers, Colin Kaepernick, macht seit den Vorbereitungsspielen im August mit einem Sitzstreik während der Nationalhymne auf die Benachteiligung schwarzer Amerikaner aufmerksam. 40 Prozent der Weniger-Seher - knapp zwölf Prozent aller Befragten - gaben an, dass dies der Grund sei. Nach dem Motto: Ich will beim Football doch abschalten. Und nicht auch noch dabei mit Politik belästigt werden.

Es gibt auch zahlreiche sportliche Gründe für den Football-Frust, der sich schleichend ausbreitet. Einen davon kennt man in Deutschland recht gut: Immer häufiger wird mehr über strittige Schiedsrichter-Entscheidungen gesprochen als über das Ergebnis. Der Aufsehen erregendste Fall trug sich erst am vergangenen Montag zu, im Spiel der Seattle Seahawks gegen die Buffalo Bills. Seahawks-Größe Richard Sherman verletzte den Bills-Kicker John Carpenter mit einem Sprung ins Bein. Das Foul wurde aber nicht geahndet, weil der Spielzug wegen einer Off-side-Stellung Shermans nichtig war. Mit einer weiteren Fehlentscheidung Sekunden später wurde den Bills dann endgültig die Gelegenheit für ein Field Goal genommen. Und dann wurde es auch noch politisch: Carpenters Frau twitterte noch während des Spiels, dass man Sherman kastrieren sollte. Der schwarze Sherman sagte dazu später: "Es sind Zeiten, in denen der Ku Klux Klan wieder da ist. Menschen sagen, was sie wollen, fast ohne irgendwelche Konsequenzen."

Das Spiel endete übrigens 31:25 für Seattle.

Eine Woche zuvor wurde ein anderer Spieler der Seahawks bestraft, weil er den Schiedsrichter umarmt hatte: Earl Thomas hatte etwas überschwänglich seinen ersten Touchdown in vier Jahren gefeiert. Die 15-Yard-Strafe war regelkonform, ließ für viele Fans aber Fingerspitzengefühl vermissen. Die USA Today sprach von einem "Krieg gegen den Spaß".

Der beliebte Spielmacher der New Orleans Saints, Drew Brees, kritisiert NFL-Chef Goodell direkt für die fallenden TV-Quoten. Viele Spieler hätten kein Vertrauen mehr in Ermittlungen der Liga bezüglich Spielersperren. Dieses Misstrauen befalle auch die Zuschauer. Brees spricht in diesem Zusammenhang ebenfalls von verloren gegangenem Spaß.

In Deutschland boomt die NFL

Außerhalb der USA scheinen diese Probleme deutlich weniger zu stören. Eine vor rund einem Jahrzehnt gestartete neue Kampagne zur Internationalisierung der NFL trägt gerade viele Früchte, die Liga ist in anderen Ländern beliebt wie lange nicht. Dieses Jahr wurden gleich drei (schnell ausverkaufte) NFL-Spiele mit großem Erfolg in London abgehalten, in anderthalb Wochen folgt eine weitere Partie in Mexiko. In Deutschland ist fast schon eine NFL-Euphorie ausgebrochen, nachdem man sich 2015 endlich dazu durchrang, die NFL erstmals im Free TV zu zeigen. ProSieben Maxx kratzt mittlerweile mit gewöhnlichen Ligaspielen am späten Sonntagabend an der Marke zu zweistelligen Marktanteilen. Eine Folge ist, dass fast alle Football-Vereine in Deutschland größer werden. Die Munich Cowboys zum Beispiel haben aktuell so viele Mitglieder wie zuletzt Anfang der 1990er Jahre (540).

In Deutschland wohnt dem Randsport gerade ein Zauber inne, der in den USA offensichtlich gerade verloren geht. Dort spricht man von einer Übersättigung und von zu stark auseinander gerissenen Spieltagen. Doch vielleicht dient die immer noch beliebteste Sportart in den USA auch einfach als Spiegel für die Zerrissenheit des Landes. Donald Trump zumindest hat zwei Gründe für die fallenden NFL-Quoten ausgemacht: Einer davon ist Donald Trump. Und der andere der kniende, schwarze Quarterback Colin Kaepernick, den er gerne ausweisen würde.

© SZ vom 13.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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