Tennis in Wimbledon:Auftakt im Freiluft-Gym

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Ballartistin auf Rasen: Tatjana Maria stand im vorigen Jahr im Wimbledon-Halbfinale. (Foto: Gerald Herbert/dpa)

Jule Niemeier und Tatjana Maria haben mit ihren Viertel- und Halbfinalteilnahmen im vorigen Jahr in Wimbledon fulminante Vorstellungen geliefert. Nun sind sie zurück beim berühmtesten Rasenturnier - mit unterschiedlichen Vorzeichen.

Von Barbara Klimke, London

Die Petunien blühen, der Buchsbaum in den Hortensien-Rabatten ist in Kugelform geschnitten, und die Bälle fliegen auch schon weitgehend in akkurater Bahn übers Netz. Noch hat das Wimbledon-Turnier nicht für das Publikum geöffnet, die schmiedeeiserenen Pforten werden erst Montagmorgen aufgesperrt, aber auf den Plätzen herrschte am Wochenende bereits Vollbetrieb. Während das Club-Personal noch die Messingschilder an den Mauern wienerte, bemühten sich auch die Profis - immerhin 256 Tennisspieler und -spielerinnen sind im Hauptfeld gemeldet - um den letzten Schliff.

Es lag also noch ein leichter Geruch von frischer Farbe und frisch gemähtem Gras in der Luft, als Christopher Kas, 43, auf einem Bänkchen im Aorangi-Park Platz nahm. Dieser Teil des All England Clubs nördlich des Center Courts ist für das Training reserviert. In den vergangenen Jahren ist dort neben dem Dutzend Rasencourts eine Art Open-Air-Gym entstanden, eine große Fläche, die den Athleten für allerlei Aufwärmübungen dient.

Coco Gauff, 19, aus Florida hüpfte unter Anleitung eines Coaches dynamisch auf und ab; ein paar männliche Kollegen hantierten mit Gummibändern und Expandern. Auch Jule Niemeier, 23, aus Dortmund machte Freiluft-Wurfübungen mit einem Medizinball. Kas, der Jule Niemeier als Trainer betreut, erzählte, dass er grundsätzlich gern an diesem Trimm-Areal vorbeischaue, auch aus Interesse, "um zu sehen, was die anderen so machen".

Jule Niemeier reist mit schwacher Bilanz nach Wimbledon - ihre Handverletzung ist auskuriert

Sie sind bereits am Mittwoch angereist, um sich auf das berühmteste aller Tennisturniere einzustimmen, bei dem Jule Niemeier im vergangenen Jahr die versammelte Konkurrenz überraschte. Damals verlor sie als Debütantin erst im Viertelfinale gegen Tatjana Maria, 35, ihre Kollegin aus dem deutschen FedCup-Team. Seit Beginn dieser Saison jedoch ist Jule Niemeier im Wettkampf oft eklatant unter ihren Möglichkeiten geblieben: Zwölf Erstrundenniederlagen stehen seit Januar in ihrer persönlichen Bilanz, was eine Rückstufung im WTA-Ranking auf Platz 106 nach sich zog. "Ich habe es in diesem Jahr nicht richtig hinbekommen", hat sie vor zwei Wochen selbstkritisch gesagt.

Doch gerade als sie meinte, wieder Tritt gefunden zu haben, als sie beim Rasenturnier in Berlin die Weltranglisten-Sechste Ons Jabeur geschlagen hatte, rutschte sie im folgenden Match aus auf dem manchmal tückischen Geläuf, und stürzte auf die Hand. Sie hat danach die Teilnahme am Turnier in Bad Homburg absagen und eine Pause eingelegen müssen, um das geprellte Gelenk zu schonen. Die Verletzung sei ausgeheilt, "alles in Ordnung", konnte Kas nun berichten.

Schmerzen der Vergangenheit: Jule Niemeier verletzte sich beim Turnier in Berlin an der Hand - für Wimbledon hat sie sich auskuriert. (Foto: O.Behrendt/Imago)

Allerdings wird Jule Niemeier auch ordentlich durchschwingen müssen, wenn sie in ihrem Erstrundenmatch in Wimbledon am Dienstag die Tschechin Karolina Muchova, WTA-Nummer 16, besiegen will, die jüngst bei den French Open im Finale stand. Und so hat sie am Samstag an die Medizinballübungen gleich noch zwei Trainingseinheiten mit Racket angehängt.

Drei Amtspflichten für Tatjana Maria, Halbfinalistin aus dem Vorjahr

Auch Tatjana Maria, in Bad-Saulgau geboren, inzwischen in Florida zuhause, stattete dem Freiluft-Gym einen Besuch ab. Die Wimbledon-Routine einer zweifachen Mutter, die mit Ehemann Charles-Edouard und Töchtern um die Welt zieht, ist jedoch grundlegend anders getaktet. Morgens um halb zehn, so berichtet sie, geht sie zunächst mit der hochveranlagten Tochter Charlotte, 9, zum Tennisspielen in die Halle; anschließend bringt sie beide Mädchen im All England Club in die Tagesbetreuung - weil dann die eigene Berufsausübung Tribut erfordert.

So hätten sie es schon im vergangenen Jahr erprobt, "und das hat ja ganz gut geklappt". 2022 erreichte Tatjana Maria in Wimbledon das Halbfinale. Wie brillant die Nummer 58 der Welt das Rasenspiel beherrscht, hat sie erst kürzlich wieder in Gaiba in Norditalien offenbart: Dort musste sie sich erst im Finale der US-Amerikanerin Ashlyn Krueger in drei Sätzen geschlagen geben.

So weit dürfte es gerne wieder gehen: Jule Niemeier (links) und Tatjana Maria vor ihrem Viertelfinalduell in Wimbledon im vergangenen Jahr. (Foto: Frank Molter/dpa)

Zum Turnier-Auftakt am Dienstag steht sie nun wieder der Rumänin Sorana Cirstea gegenüber, einer alten Bekannten, die sie im Vorjahr in der zweiten Runde schlug, "mit 7:5 im dritten Satz", wie sich erinnerte; es werde also vermutlich keine einfache Partie.

Aber zumindest sind Schulferien, und das bedeutet, dass Tatjana Maria, Profitennisspielerin und Trainerin, von ihrer dritten Amtspflicht enthoben ist, der als Familien-Lehrkraft. Die ältere Tochter besucht in Florida die vierte Klasse, und wenn die Familie unterwegs ist, nimmt sie virtuell am Unterricht teil, beaufsichtigt von der Mama. Das liebste Reiseziel im Jahr für die ganze Familie sei übrigens der All England Club, sagt Tatjana Maria. Nicht nur unbedingt wegen der Petunien und Buchsbäume in Kugelform. Sondern weil den Kindern die Betreuung in der Wimbledon-Krippe dort am meisten Spaß macht.

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