Alexander Zverev:Der aus Tälern auftaucht

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Könnte sich gegen Roger Federer fürs Halbfinale der ATP Finals qualifizieren: Tennisprofi Alexander Zverev. (Foto: dpa)
  • Alexander Zverev trifft in seinem zweiten Match bei den ATP Finals auf Roger Federer.
  • Im Endspiel des Masters-Series-Turniers in Montréal hat Zverev den Schweizer klar beherrscht, wenngleich der damals nach einer Pause Trainingsrückstand hatte.
  • Das Duell der beiden spiegelt das Spektrum der Generationen so gut wider wie kein anderes derzeit.

Von Gerald Kleffmann, London

Draußen vor der O2-Arena, die wie ein gestrandeter Wal auf einer Halbinsel im Osten Londons liegt, stauten sich die Zuschauer. Gerade war die letzte Veranstaltung zu Ende gegangen, was bedeutete: ab in die Tube! Wie bei einer friedlichen Demo tippelten die meisten der 16 100 Besucher Richtung U-Bahn-Station North Greenwich, während in der Halle noch das Hauptlicht brannte. Eine Person war nicht bereit zu gehen.

Alexander Zverev, der mit erst 20 Jahren bei seiner ersten Teilnahme an den ATP Finals gleich sein Premierenmatch gewonnen hatte, 6:4, 3:6, 6:4 gegen den Kroaten Marin Cilic, hatte nicht genug. Er kam zurück auf den Centre Court. Die Tribünen: jetzt menschenleer. Er schlug, nachdem er zuvor ein Match über 2:05 Stunden absolviert hatte, noch Bälle. Die Vorhand noch mal justieren. Draußen in der Dunkelheit blitzten die Laternenlichter. Die Tube fuhr nicht mehr lange.

Nun muss man sich um einen möglichen Schlafmangel bei Deutschlands bestem Tennisprofi keine Sorgen machen, von Zverev heißt es, er schlafe gut. Und lange, wenn es geht. Am Montag war seine Trainingseinheit erst ab 16.15 Uhr gebucht, sicher war es spät geworden, bis er ins Bett kam. Zverev, der an spezielle Auftritte weltweit gewöhnt ist, hatte einen auch für ihn aufwühlenden Sonntagabend erlebt.

"Das war ein tolles Erlebnis. Als ich rausgegangen bin, hatte ich ein Gefühl wie nie zuvor", ordnete er in der Nacht noch ein: "Die ganze Lichtshow und alles drumherum, das war überragend." Die Männertennis-Organisation ATP versucht jedes Jahr, ihr sogenanntes "Flagship-Event" als krachenden Schlussakt zu positionieren, mit den acht besten Profis in den Hauptrollen. Für Neulinge ist das stattliche PR- und Promo-Programm, das die Spieler schon Tage vorab aufnehmen, gewöhnungsbedürftig.

"Wenn man hier rauskommt, ist das schon anders als in anderen Stadien", gab Zverev zu, "die Menge, die Atmosphäre ist wunderbar." Die imposante Kulisse - die letzten Sitzreihen verschwimmen irgendwo hoch oben im Nichts - hätten ihn nachhaltig beeindruckt. "Bis zum dritten Satz, wo ich mit dem Break hinten war, habe ich trotzdem immer noch ein kleines Nervositätsgefühl gehabt." Cilic, 2014 US-Open-Champion und zum dritten Mal in London dabei, hatte den ersten Gruppensieg in Sichtweite, mit Chancen zum 4:1 im entscheidenden Satz. "Er hatte Probleme, Lösungen zu finden, um wieder ins Spiel zurückzukommen", sagte der 29-Jährige, ein analytischer Denker.

Federer hat großen Respekt vor Zverev, nicht erst seit der Niederlage in Montreal

Zverev hatte kurzzeitig tatsächlich seine Linie verloren - das harte Schlagen von hinten, das gute Service, wie Cilic betonte. Doch Zverev fand die Linie wieder, und das ist eine Kunst, seine Kunst: aus Tälern aufzutauchen. Boris Becker, der als letzter Deutscher die ATP Finals gewann, 1995 in Frankfurt, war auch so ein Wadlbeißer und dank dieser Gabe oft erfolgreich - legendär übrigens auch dessen hadernden Monologe, wenn er im Tief steckte ("Spiel den Ball rüber!"). Die Galligkeit, bloß nicht verlieren, sondern nur siegen zu wollen, prägt Zverevs Widerstandsfähigkeit. "Ich bin hierher gekommen, um jedes Match so gut wie möglich zu spielen und um jedes Match zu gewinnen", sagte er, "das ist meine Mentalität, egal, gegen wen ich spiele."

Diese Einstellung dürfte speziell in seinem zweiten Match, mit dem er sich bereits für das Halbfinale qualifizieren könnte, hilfreich sein. Gegner ist an diesem Dienstag (20 Uhr Ortszeit/21 Uhr Sky) Roger Federer. Der 36-jährige Schweizer, 19-maliger Grand-Slam-Sieger, sechsmaliger ATP-Finals-Gewinner, tritt nicht nur titelreicher an, sondern vor allem mit mehr Erfahrung. An Federer orientiert sich die ganze Branche. Er selbst wiederum hat betont, dass ihm seine Erfahrung gegenüber den Debütanten in London (Zverev, David Goffin, Grigor Dimitrov, Jack Sock) helfen könnte. So pragmatisch denkt er schon auch.

Bei seinem Auftakterfolg gegen den Amerikaner Jack Sock etwa zelebrierte er seine fast schon Bauhaus-mäßig puristisch entschlackte Spielweise auf effektive Art. Er habe das Match verwaltet wie ein Schachspieler, "gemanagt" nannte er es, als sei er ein Sachverwalter. Freilich für Luxusgüter wie Prachtsschläge. So habe er sich vor allem auf seinen ersten Aufschlag fokussiert und auf seine Returns.

Federer hat allerdings großen Respekt vor Zverev. "Wenn es bei Sascha gut läuft, dann läuft es gleich super perfekt bei ihm", sagte er. Im Endspiel des Masters-Series-Turniers in Montréal hat Zverev den Schweizer klar beherrscht, wenngleich der damals nach einer Pause Trainingsrückstand hatte. "Hoffentlich können wir beide physisch bei 100 Prozent sein und auch unser bestes Tennis spielen", sagte Zverev. Der eine hat schon eine große Karriere, der andere will seine weiter anschieben, das Duell der beiden spiegelt das Spektrum der Generationen so gut wider wie kein anderes derzeit. "Ich denke, ich bin im Turnier drin", sagte Federer, der zugab, zuletzt nach seinem Sieg in Basel nicht immer ganz hart trainiert zu haben. Wenn man Federer ist, muss man nicht mehr nachts Bälle schlagen.

© SZ vom 14.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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