Käsespätzle, sagt Reggie Redding plötzlich im schönsten Deutsch. Sein Gegenüber Brad Wanamaker schaut ein wenig irritiert drein. "Das ist eine schwäbische Spezialität", fügt Redding nun auf Englisch etwas belehrend hinzu, "das schmeckt sehr lecker." Der Spieler von Alba Berlin hat seinem amerikanischen Landsmann aus Bamberg das fremde Mahl aber nicht schmackhaft machen können. Während sich Redding vier große Schöpfer auf seinen Teller wirft, gibt sich Wanamaker mit einem zufrieden.
Redding hat Käsespätzle in Tübingen kennen und lieben gelernt. Natürlich mag er noch Maultaschen, auch Saitenwürschtle. Doch bei der Kehrwoche hört seine Zuneigung für alles Schwäbische auf. "Das Treppenhaus musste ich zum Glück nicht nass wischen", sagt er mit einem Lächeln. Für Alba spielt der 26-Jährige seine zweite Saison, davor verbrachte er zwei Jahre bei den Walter Tigers Tübingen.
Dirk Nowitzki ist auf Platz sieben in der ewigen Bestenliste der erfolgreichsten NBA-Werfer vorgerückt. Warum er das nicht genießen kann, wie man mit 36 Jahren zu den Besten gehört - und ob man ihn bei der EM in Berlin sehen wird.
Er hat sich zu einem der prägendsten Profis in der Basketball-Bundesliga entwickelt, für viele ist er zurzeit der Beste in der BBL, in jedem Fall ist er der vielseitigste Spieler. Er bringt wie ein Spielmacher den Ball nach vorne, wirft so gut wie ein Shooting Guard und zieht vom Flügel in Höchstgeschwindigkeit zum Korb. Selbst in Korbnähe als Power Forward fremdelt er nicht.
Berlins Trainer Sasa Obradovic nennt Redding "Main Creator", weil er seinen Mitspielern so viele Möglichkeiten eröffnet, für den Gegner so schwer auszurechen ist. Er ist auch für Klubs aus der Nordamerikanischen Basketballliga NBA interessant geworden, lose Kontakte gibt es bereits. "Dort zu spielen, ist mein Ziel und mein Traum, seit ich ein kleiner Junge bin", bekennt er vor dem Spiel gegen Real Madrid an diesem Donnerstag. Er sagt das ohne Anflug von Größenwahn, sondern wie jemand, der seine Stärken gut einschätzen kann. Beim überraschenden Sieg zuletzt in der Euroleague gegen den FC Barcelona gelangen ihm als bester Werfer 16 Punkte.
Wer Redding abseits des Parketts erlebt, würde nie auf die Idee kommen, dass er gerade lieber ganz woanders wäre: in seiner Heimat nämlich, in Philadelphia/Pennsylvania. Redding lächelt viel und oft - und ist auch sonst ein kommunikativer, fröhlicher Typ. Zurückhaltend zwar, aber offen, zugänglich. Doch das ist nur Fassade, hinter seinem Lächeln sieht es ganz anders aus: Fragt man nach seinem Leben als Basketballprofi im Ausland, hört man nicht die typischen Sportlerphrasen seiner Landsleute. Er sagt nicht, dass er hier in Deutschland alles toll finde, alles "great and awesome" sei. Er sagt: "Ich habe ziemlich Heimweh." Das ist ungewöhnlich.
Vor Weihnachten erst war er mal wieder einige Tage zu Hause. Seine Großmutter war gestorben. Er hatte ein inniges Verhältnis zu ihr, er war nach der Scheidung seiner Eltern bei seinen Großeltern aufgewachsen. Seine Oma war krank, ihr Tod kam nicht überraschend. Am Tag nach der Beerdigung wollte er wieder zurück nach Berlin fliegen, an einem Samstag, aber in der Früh ist auch noch sein Großvater gestorben.
"Ohne jede Ankündigung", wie er sagt. Es war ein Schock. "Für mich ist eine Welt zusammengebrochen." Am Abend vorher hatten sie noch Weihnachten vorgefeiert, Redding war das wichtig, fünf Jahre war er am 25. Dezember nicht mehr daheim gewesen, er vermisste das. "Mein Opa war wie ein Vater für mich", erzählt Redding: "Jedes Spiel von mir hat er sich angeschaut und mich anschließend angerufen, um darüber zu diskutieren. Ich muss ständig an die beiden denken."
Der Verlust seiner Lieben offenbart noch eindringlicher den Blick in sein Innerstes, via Twitter hatte er Fremde an seinem Seelenleben schon vorher teilhaben lassen. Zum Beispiel schrieb er: "Ihr versteht nicht, wie sehr ich mich alleine langweile." Oder: "Ich fühle mich so weit entfernt von allen, die ich kenne." Und: "Verdammt, ich vermisse 4th Street in Philly so sehr."
Schlechte Gefühle trainieren sich die Sportler weg
Reggie Redding ist in Berlin ein umjubelter Sportler, die Kinder himmeln ihn an, tragen seine Klamotten, sie wollen so sein wie er. "Auf dem Feld fühle ich mich frei und kann alles um mich herum vergessen", sagt er. Auf die große Leere trifft Redding erst, wenn er abends nach Hause kommt, diese brutale Einsamkeit, sie breitet sich in seinem Apartment aus, er sitzt dann allein vor dem Fernseher, surft ein wenig im Internet, vergeudet Zeit. Jeden Abend das gleiche. Er schläft ein mit quälenden Gedanken und morgens wacht er mit ihnen auf. Gegen diese innere Traurigkeit können ihm auch nicht die amerikanischen Teamkollegen helfen, die sich um ihn kümmern und ihn zu sich nach Hause zum Dinner einladen. "In diesen Momenten", sagt er, "fühle ich mich wie ein Gefangener."
Redding nennt das "Overseas boredom", Übersee-Langweile. Sie überfällt viele US-Basketballer im Ausland, sobald sie die Heimat verlassen. Doch kaum einer spricht darüber so schonungslos ehrlich wie er, im Profisport werden schlechte Gefühle wegtrainiert.
Die meisten seiner Kollegen halten sie einfach irgendwie aus und sagen sich: Das ist halt der Preis dafür, Berufsbasketballer zu sein. Auch Reggie Redding redet sich das ein. Er will die Saison erfolgreich zu Ende bringen. "Wir haben eine gute Mannschaft und einen guten Trainer und können die Meisterschaft gewinnen." Was danach kommt? Redding zuckt mit den Schultern und sagt: "Alles ist möglich."