Zyniker würden behaupten, dass die Historie inzwischen von den Wänden bröckelt. Fußballromantiker, nicht nur italienische, haben jedoch eine andere Sicht auf das Bauwerk: Kaum ein Stadion hat so viel Charakter wie das Mailänder San Siro, erbaut vor mehr als 100 Jahren im gleichnamigen Stadtteil der lombardischen Metropole. Nicht von ungefähr wird es auch "La Scala del calcio" genannt, die große Fußballoper. Eine solche gelangt an diesem Mittwoch zur Aufführung: Inter und AC, die beiden Mailänder Großklubs, stehen sich im Halbfinale der Champions League gegenüber - 20 Jahre, nachdem schon mal ein "Euroderby" stattfand.
Vier Türme als spiralförmige Aufgänge, steile Tribünen, Raum für mehr als 75 000 Zuschauer: San Siro macht Eindruck - vorausgesetzt, man muss nicht die abgewirtschafteten Toiletten aufsuchen. Runderneuert wurde das Stadion zuletzt zur WM 1990, bei der Lothar Matthäus, damals in Diensten Inters, einen seiner schönsten Treffer auf dem Weg zum deutschen Titel beisteuerte. Überschneidungen mit der deutschen Fußballgeschichte gibt es zuhauf: Schalke 04 holte 1997 den Uefa Cup im San Siro, der FC Bayern 2001 die Champions League. Viel Zeit für weitere Kapitel bleibt nicht. Die Mailänder Klubs planen neue Stadien, ein Abriss der großen Oper wird diskutiert - doch der Widerstand der Tifosi ist gewaltig.