Abschied des SV Sandhausen:Eine Redensart steigt ab

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Nicht mehr der berüchtigtste Zweitligastandort: Sandhausen. (Foto: imago)

Der SV Sandhausen ist zukünftig Drittligist, Nils Petersen erlebt ein emotionales letztes Heimspiel und der SSV Ulm ist wieder da. Sechs Geschichten aus dem Fußball.

Von SZ-Autoren

Der Abstieg des SV Sandhausen ist nicht nur für die Menschen im Verein und in der 15 378-Einwohner-Gemeinde ein Verlust, sondern auch für den deutschen Fußball: Ihm fehlt nun eine Redensart. Der Hertha kann nicht höhnisch vorgehalten werden, dass sie künftig statt zu den Bayern nach Sandhausen reisen muss - zum Glück rückt der SV Elversberg nach ! Die Sandhäuser gehörten elf Jahre der zweiten Liga an und ersetzten als symbolisches Phänomen den SV Meppen, der früher als Inbegriff der Provinz herhielt (immerhin wurde den SVS-Fans nicht nachgesagt, sie seien in Gummistiefeln zur Welt gekommen). All die Jahre nahm Sandhausen verdienstvoll eine Rolle ein, die immer schon im deutschen Fußball vorkam: Wie ein Familienbetrieb trotzte man den konzerngroßen Wettbewerbern. Dabei liegen die Vorzüge der Kommune in ihrem grünen Kern, mehrere Orchideenarten wachsen hier. Dass auch der Fußball gedeihen konnte, verdankt Sandhausen dem Finanzier und Präsidenten Jürgen Machmeier. Der versprach, man sage nicht adieu, sondern auf Wiedersehen zur zweiten Liga. In diesem Sinne: Bis bald, lieber SV Sandhausen! Philipp Selldorf

Tränen für Nils

Nils Petersen traf in seinem letzten Heimspiel. (Foto: Tom Weller/dpa)

Für einen, der oft ein Nebendarsteller war, drehte sich am Freitag ganz schön viel um ihn: Nils Petersen absolvierte sein letztes Heimspiel für den SC Freiburg, und Trainer Christian Streich war sichtlich gerührt vom Karriereende des Stürmers. "Kann ich uffhöre jetzt? Geht alle zum Nils. Dankeschön vielmals", stammelte Streich mit feuchten Augen auf der Pressekonferenz nach dem 2:0 gegen Wolfsburg, das Freiburgs Champions-League-Chance bewahrte. Die meisten Journalisten waren da aber ohnehin schon zum Mann des Tages aufgebrochen. Zuvor hatte Petersen gemacht, was er am liebsten macht: ein Joker-Tor. Davon erzielte er derart viele, dass er 2021 einen Rekord in dieser Disziplin aufgestellt hat: Kein Spieler in Europa hat nach Einwechslungen häufiger getroffen. Zudem kann Petersen den frühesten Hattrick der Zweitliga-Historie und das Tor des Jahres 2018 für sich verbuchen. Kein Wunder also, dass Streich in kleiner Runde noch ein Loblied sang: "Alle Spieler sollen sich ein Beispiel an Nils nehmen. Er ist ein Vorbild. Es ist nicht immer nur der eine Weg, den es gibt. Alle lieben den Nils. Er ist eine außergewöhnliche Persönlichkeit." Thomas Hürner

Ende des Fluchs

Ozan Kabak. (Foto: Teresa Kroeger/Nordphoto/Imago)

Den lieben langen Samstag waren Elogen der Bundesligaprofis auf die Fans ihrer Klubs zu hören. Manche garnierten ihre Worte mit Tränen, andere mit einer Unmenge an Plattitüden und Dankeschöns an die treuen Begleiter. Auch in Sinsheim, am Heimspielort der TSG Hoffenheim, wurde gefeiert - sofern einem ernsthaft zum Jubeln zumute ist, wenn ein Klub, dessen Kader fürs internationale Geschäft reichen sollte, am vorletzten Spieltag gerade so die Klasse hält. Wenn man das als herausragende Leistung sieht, sollte man festhalten, dass Hoffenheim aktuell den wohl glücklichsten Profi der Liga stellt. Der talentierte Ozan Kabak, 23, stoppte eine kuriose private Minusserie: Der Verteidiger aus Ankara war zuletzt dreimal abgestiegen, zweimal in Deutschland (erst Stuttgart, dann Schalke), einmal in England (Norwich) - und dass es ihn auf der Insel kein weiteres Mal traf, hing vor allem damit zusammen, dass er dort beim FC Liverpool beschäftigt war. Nächsten Samstag kann Kabak nun selbst noch Schicksal spielen: Je nachdem, wie die TSG beim VfB spielt, könnte sie zwei seiner Ex-Klubs in die zweite Liga schießen: Stuttgart und/oder Schalke.

Ulm ist wieder da

Drittligist: der SSV Ulm. (Foto: Pfeifer/Eibner/Imago)

25 Jahre ist es nun schon her, als ein junger Fußballtrainer den SSV Ulm mit damals extrem seltsamen Ideen (Viererkette, Pressing) in nur zwei Spielzeiten von der Regionalliga in die Bundesliga führte. Doch Ralf Rangnick zog irgendwann weiter - und der Absturz der Donauschwaben nach der Bundesliga-Saison 1999/2000 war dramatisch: Insolvenz, Verbandsliga, Staatsanwaltschaft, Wettskandale, zweite Insolvenz, dritte Insolvenz - der Verein nahm wirklich viel mit. Doch nun gibt es endlich Hoffnung: Nach sieben Jahren in der Regionalliga Südwest wird der Schwimm- und Sportverein 1846 kommende Saison wieder in der dritten Liga spielen. In der mutmaßlich stärksten der fünf Regionalligen waren in den vergangenen Jahren Waldhof Mannheim, Freiburg II, der 1. FC Saarbrücken und die SV Elversberg besser - aber nun war Ulm dran, den einzigen Aufstiegsplatz zu besetzen. Trainer Thomas Wörle schaffte den Aufstieg in seiner zweiten Saison. Es ist sein erster Erfolg im Männerfußball, nachdem Wörle zuvor in neun Jahren mit dem FC Bayern einmal DFB-Pokalsieger und zweimal Meister in der Bundesliga der Frauen gewesen war. Martin Schneider

Citys Meistermacher

Traf gegen Arsenal: Taiwo Awoniyi. (Foto: MI News/NurPhoto/Imago)

Dass der Stürmer Taiwo Awoniyi im Mai 2023 ein Tor erzielen würde, das in der Premier League maßgeblich über Abstiegskampf und Meisterschaft zugleich entscheidet - wer hätte das gedacht, als der 25-Jährige vor einem Jahr noch dafür zuständig war, den Konterfußball von Union Berlin ins Ziel zu bringen? Doch nun ist der einstige Held der Alten Försterei auch der Retter von Nottingham Forest. Awoniyis Tor (19. Minute) zum 1:0-Sieg gegen den Tabellenzweiten FC Arsenal krönte die Aufholjagd seines Teams und sicherte vorzeitig Nottinghams Verbleib im englischen Oberhaus. Weltweite Aufmerksamkeit erhielt jedoch vor allem der Nebeneffekt seines Tores: Durch Arsenals Niederlage stand Manchester City bereits am Samstagabend als Meister fest. Zum fünften Mal innerhalb der vergangenen sechs Jahre steht Trainer Pep Guardiola mit seinen Himmelblauen ganz oben in der besten Liga der Welt. Auch City holte diesmal von hinten auf, monatelang lag Arsenal vorne. Die wahre Krönungsmesse aber soll für Guardiola am 10. Juni in Istanbul stattfinden: im Champions-League-Finale gegen Inter, dann ganz sicher ohne Tor von Awoniyi.

Heldentreffen

Auch dabei: Felix Magath. (Foto: Axel Heimken/dpa)

1983 war Joe Biden ein Senator mittleren Alters, die Firma IBM brachte eine geringfügige Weiterentwicklung des Personal Computers heraus - und der Hamburger SV war die beste Fußballmannschaft Europas. Zum 40. Jubiläum des damaligen Europapokal-Finaltriumphs gegen Juventus Turin waren am Samstag einige noble Herrschaften im Volksparkstadion, die bei den HSV-Fans nur als die "Helden von Athen" bekannt sind, darunter Felix Magath, Uli Stein und Jimmy Hartwig. Sie sahen einen 2:1-Sieg des HSV gegen Greuther Fürth, durch den der Traditionsklub die Teilnahme an der Aufstiegsrelegation sicherte und die Chance auf die direkte Rückkehr in die Erstklassigkeit (im Duell mit Heidenheim) wahrte. Die Tore erzielten Miro Muheim und László Bénes per Elfmeter. Bemerkenswert war, dass die Elf von Offensivcoach Tim Walter weniger Ballbesitz hatte als Fürth und eine solide Defensivleistung zeigte. Letzteres war eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den vorherigen Wochen. Und wer weiß? Vielleicht dürfen sich in einer Woche auch die aktuellen HSV-Profis in der Klubchronik verewigen - als "Helden von Sandhausen". Thomas Hürner

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