Drittliga-Fußball:Eine Liga mit Abgründen

Lesezeit: 4 min

Der MSV Duisburg führt die Tabelle derzeit an. (Foto: Noah Wedel/Imago)

Mit 10:8 Stimmen planen die Fußball-Drittligisten eine Saisonfortsetzung. Die Debatte darum wird zunehmend heftig.

Von Moritz Kielbassa, München

Die Außendarstellung der dritten Fußball-Liga war zuletzt eher wild und von Zwietracht geprägt, mangelnde Transparenz allerdings kann man den 20 Vereinen nicht vorwerfen. Kaum war am Montagabend nach der Video-Krisenkonferenz der Drittklässler bekannt geworden, dass die Liga mit dünner Mehrheit für eine Fortsetzung der Saison gestimmt hatte, schon wurde auch präzise publik, welche zehn Klubs das Geisterspiel-Modell unterstützen, welche acht die Saison lieber unverzüglich abbrechen wollen - und welche zwei sich der Stimme enthielten.

Der Deutsche Fußball-Bund, als Träger und Zentralvermarkter der Liga klarer Befürworter des Weiterspielens, ist mit der neuen Wasserstandsmeldung zufrieden. Es handele sich zwar um "keine Beschlussfassung", aber die Gremien des DFB könnten ihre Entscheidungen nun auf ein "tatsächliches Meinungsbild der Klubs" stützen, hieß es - und nicht mehr nur auf kakofone, zunehmend öffentlich inszenierte Debatten der Vorwochen, die "ein Stück weit abenteuerlich und schädlich für die ganze Liga waren", wie DFB-Vizepräsident Peter Frymuth bei MagentaSport kritisierte. Sogar das Fachblatt Kicker hatte getitelt: "Wie sich eine Liga selbst zerlegt." Und obwohl das Stimmungsbild weiterhin "nicht einheitlich" ist, hob Frymuth hervor, dass das Mehrheitsergebnis von 10:8 "ein wichtiger Schritt" und "von allen zu respektieren und zu akzeptieren" sei.

Ligue 1
:Fußball-Saison in Frankreich steht vor dem Abbruch

Die Regierung in Paris untersagt Sportevents bis Ende August. Damit kann die Spielzeit 2019/20 kaum zu Ende gespielt werden. Die Tour de France im Radsport wurde kürzlich verlegt, wackelt aber nun auch.

Tom Eilers, Chef des DFB-Drittliga-Ausschusses, knüpft daran "die Erwartungshaltung, dass wieder Sachlichkeit, Ehrlichkeit und Ruhe" einkehre. Zu moderieren ist ein Frontalzusammenstoß von zwei kontroversen Denkansätzen: Etwa die Hälfte der Klubs sieht in Geisterspielen eine erhöhte Insolvenzgefahr in der wirtschaftlichen Problemliga, weil Zuschauereinnahmen für Drittligisten viel relevanter sind als für die fernsehgeldgepolsterte Bundesliga. Und trotz ausbleibender Ticket-, Bier- und Wursterlöse müssten viele Klubs ihre Spieler aus der Kurzarbeit holen und wieder voll entlohnen. Die Gegenseite argumentiert, ein Saisonabbruch wäre für den Erhalt der ganzen Liga als gesamtdeutsche dritte Profiklasse existenzbedrohend.

Alle bayerischen Vereine wollen weiterspielen

Fürs Weiterspielen stimmten alle fünf Vertreter aus Bayern (Unterhaching, Ingolstadt, 1860 München, Würzburg, FC Bayern II), die ihre Blockhaltung bereits per Rundbrief bekundet hatten, dazu Rostock, Viktoria Köln, Braunschweig, Uerdingen und der Chemnitzer FC, der überraschend das Bündnis der Abbruch-Befürworter verlassen hat. Das ehrgeizige Szenario lautet, die Liga, sofern gesundheitspolitisch genehmigt, noch im Mai mit dem 28. Spieltag wieder anzupfeifen und mit fünf englischen Wochen bereits bis zum Saisonstichtag am 30. Juni zu Ende zu bringen.

Diskutiert wurde aber auch die Bereitschaft, über diesen Tag und somit über das reguläre Ende aller Spielerverträge hinaus weiterzuspielen. Deshalb enthielt sich der 1. FC Kaiserslautern. Auch die abstiegsbedrohten Pfälzer wollen die Saison "grundsätzlich auf sportlichem Wege beenden" - aber nur, wenn sie bis 30. Juni endet oder "offene rechtliche Fragen" für ein längeres Zeitfenster geklärt wären. Die zweite Enthaltung (SV Meppen) soll ähnliche Beweggründe haben. Bögen beide noch ins Pro-Lager ein, stiege die Mehrheit auf 12:8.

Gespalten sind die Klubs aber nicht nur in der Frage nach der besten Exit-Strategie fürs finanzielle Überleben. Manche halten Drittligafußball derzeit generell für moralisch unangemessen und für einen Verstoß gegen ethische und gesellschaftliche Verantwortung. "Es ist bitter, dass die Drittligisten in der Corona-Krise so unsolidarisch sind. Es geht in erster Linie um die Gesundheit der Menschen", sagt Magdeburgs Trainer Claus-Dieter Wollitz. Andere Klubs warfen sich zuletzt öffentliche Indiskretionen vor. Der Hallesche FC hat zudem das Sonderproblem, dass die Stadt Geisterspiele im heimischen Stadion nach einer Ortsbesichtigung untersagt hat und offenbar Umbaumaßnahmen nötig wären.

Schwer entkräften lässt sich beim Blick auf das Abstimmungsresultat zudem der Eindruck, dass auch sportliche Motive das Verhalten beeinflussen. Grünes Licht für den Wiederanpfiff geben etliche Aufstiegskandidaten, die den Spitzenteams auf den Fersen sind, bei einem Abbruch aber nicht am Grünen Tisch aufsteigen würden. Aufhören wollen dagegen viele Hinterbänkler, die fordern, dass es bei einem Abbruch keine Absteiger in die vierte Liga gibt.

Der Tabellenzweite Waldhof Mannheim plädiert dafür, nach einem Abbruch gemeinsam mit Spitzenreiter Duisburg aufsteigen zu dürfen, wehrt sich aber vehement gegen die Behauptung, nur deshalb zur Gruppe der Geisterspiel-Gegner zu gehören. Am Samstag hatte Geschäftsführer Markus Kompp veröffentlicht, dass der Vater eines Mannheimer Spielers nach einer Corona-Infektion verstorben ist. Anhänger des Weiterspielens damit zum Umdenken zu bewegen, gelang ihm aber nicht. Einige Klubs warfen Kompp sogar sportpolitisches Instrumentalisieren eines tragischen Todesfalls vor. Mannheim fordert außerdem, dass alle Klubs die Tabelle auch dann als Endstand anerkennen würden, falls die Saison nach einem Wiederbeginn wegen neuerlicher Corona-Komplikationen doch vorzeitig enden müsste.

Auch Tabellenführer MSV Duisburg will nicht aus Eigennutz und Kalkül auf einen Aufstieg am Grünen Tisch gegen eine Saisonfortsetzung votiert haben. Das Nein des MSV war auch eher ein widersprüchliches "Jein". Man unterstütze prinzipiell eine faire Beendigung des Wettbewerbs und wolle sportlich aufsteigen, hieß es -, aber nicht im Falle der offenbar diskutierten Kompromisslösung, dass es auch bei einer Durchführung der Restsaison keine Absteiger geben solle. Duisburg fürchtet in diesem Fall "Wettbewerbsverzerrung" durch mangelnde Motivation von Kellerkindern. Falls vier Absteiger ermittelt werden, will auch Duisburg weiterspielen. Der MSV sagt aber auch klipp und klar: Falls abgebrochen werde, stehe ihm der Aufstieg zu. Gegen eine Annullierung der Saison würde sich der Erste der Liga wehren.

Die Klärung offener Sachfragen und organisatorischer Details führten auch zum Purzelbaum eines Vereins: Der Chemnitzer FC hatte zunächst zusammen mit Zwickau, Magdeburg, Halle, Jena, Mannheim, Münster und Großaspach das sofortige Saison-Aus gefordert, vollzog nun aber als einziger ostdeutscher Abstiegskandidat eine Kehrtwende. Begründung des CFC für seine überraschende Ja-Stimme: Der DFB habe vor der Montagsrunde ein schlüssiges Gesundheitskonzept für Geisterspiele vorgelegt, und es sei auch eine Lösung in Sicht, wie anfallende Mehrkosten der Vereine aufgefangen werden.

Der medizinische Rahmen - Hygieneregeln, engmaschige Corona-Tests, Monitoring - wäre fast identisch mit dem Konzept der Bundesliga, das die Taskforce von Deutscher Fußball Liga und DFB erarbeitet hat. Nur Nuancen weichen ab, etwa die Gesamtzahl der im Stadion erlaubten Personen; in der dritten Liga wären es maximal 210 pro Spiel. Die Kosten für die Tests sollen gedeckt werden durch den Anteil der dritten Liga an der Solidarzahlung der DFL in Höhe von 7,5 Millionen Euro. Das übrig bleibende Geld aus diesem Topf sollen 19 Klubs paritätisch erhalten (FC Bayern II verzichtet). Ob die Auszahlung dieser Millionen an eine Fortsetzung der Saison geknüpft wäre, ist unklar. Unabhängig davon würde der DFB bei einem freiwilligen Abbruch massive juristische Folgen fürchten.

Vizepräsident Peter Frymuth appelliert daher an alle Klubs: "Das Gesamtwohl der Liga ist über Einzelinteressen zu stellen."

© SZ vom 29.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Dritte Liga
:Eskalation in Liga drei

Die Fußball-Drittligisten votieren knapp für die Fortsetzung der Saison. Bei der Abstimmung offenbart sich ihre tiefe Zerstrittenheit. Heftige Emails werden verschickt.

Von Markus Schäflein

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: