Eiskunstlauf:Alles von oben gesehen

Lesezeit: 5 min

Mit der besten Kür, die sie jetzt aufs Eis gezaubert haben, werden Aljona Savchenko und Bruno Massot die ersten deutschen Olympiasieger im Paarlauf seit 1952. Ihnen gelingt der Kraftakt, das Schwere leicht aussehen zu lassen.

Von Barbara Klimke

Am Ende lag sie flach auf dem Eis, er daneben. Sie hatten sich fallen lassen, waren einfach umgekippt, platt vor Glück und Erschöpfung nach der Schlusspose der besten Kür, die sie je aufs Eis gezaubert haben. Bruno Massot rappelte sich als Erster wieder auf, nahm Aljona Savchenko in den Arm, half ihr auf die Füße. Als beide wieder aufrecht auf Kufen standen, trat er einen Schritt zurück und verbeugte sich tief vor ihr. Es war mehr als eine Pose: Es war eine Hommage an die Frau, die sie beide mit Esprit und eisernem Willen zu Olympiasiegern mit Weltrekord getrieben hatte.

Aljona Savchenko, fünfmalige Weltmeisterin, 34 Jahre alt, 153 Zentimeter voller Energie, besitzt diese Gabe, alle um sich herum wie ein Dynamo unter Strom zu halten. "Sie ist eine unheimlich kreative Frau", sagte ihr Trainer Alexander König, nachdem er sich die Rührung aus den Augen gewischt hatte: "Wenn man mit ihr in einem Raum ist, dann sprudelt es vor Ideen. Dann schrumpft die Stunde auf einmal zu fünf Minuten."

Welche Wirkung sie in kleinem Kreis entfalten kann, zeigte sich am Vorabend der olympischen Paarlauf-Kür. Sechs Punkte lagen Savchenko und Massot nach dem Kurzprogramm hinter den führenden Weltmeistern Sui Wenjing und Han Cong aus China zurück. Sich von Platz vier noch an die Spitze zu schieben, das schien nach dem schweren Fehler von Massot, der eine Drehung beim Salchow vergessen hatte, ein fast aussichtsloses Unterfangen zu sein, selbst Bronze war für die WM-Zweiten aus Oberstdorf in Gefahr. Aber Aljona Savchenko gab sich nicht geschlagen. "Der Wettkampf ist noch nicht zu Ende", trichterte sie ihrem fünf Jahre jüngeren, verzweifelten Partner ein, der sich mit Selbstvorwürfen quälte: "Wir kämpfen wie die Tiger." Und dann erinnerte sie ihn daran, dass sie ein "Goldmedaillenprogramm" erarbeitet hatten, eine hoch ambitionierte Kür, "und das werden wir zeigen".

In vier Minuten die Welt verzaubert: Savchenko/Massot sinken nach dem Olympiasieg aufs Eis. (Foto: Jung Yeon-Je/AFP)

Aus dieser abendlichen Teambesprechung, bei der neben Trainer König auch der Sportdirektor der Deutschen Eislauf-Union, Udo Dönsdorf, und der Oberstdorfer Tanztrainer Martin Skotnicky zugegen waren, schöpften sie suggestive Kraft, die sie durch den folgenden Wettkampfmorgen begleitete, das bestätigten alle Teilnehmer. Dönsdorf beispielsweise betonte, dass es die internationale Unerfahrenheit von Massot war, die den schweren Patzer am Vortag verursacht hatte: "Da darf man ihm keine Vorwürfe machen, es sind ja seine ersten Olympischen Spiele." Es wurden "klare Worte gesprochen". Zur Fokussierung auf die bevorstehende Aufgabe trug wohl auch bei, dass Trainer König seinen "Kindern", wie er Savchenko und Massot nennt, striktes Facebook- und Presseverbot erteilte: "Das lenkt nur ab."

Ihr Vorteil am Donnerstagmorgen war, dass sie als Erste der vier führenden Paare im Finale in der Arena von Gangneung aufs Eis gehen konnten: So setzten sie den Standard, an dem sich die Folgenden orientieren mussten. Die Kür, in der sie die Musik zu dem französischen Naturfilm "La terre vue du ciel" ("Die Erde von oben") interpretieren, ist tatsächlich ein Kunstwerk, choreografiert vom britischen Tanz-Olympiasieger Christopher Dean, und vielleicht schon jetzt auf dem Wege, ein Klassiker zu werden wie Torville/Deans "Bolero" von 1984. Das Programm ist so komponiert, dass alles zum Schluss auf den Höhepunkt zutreibt, wenn Aljona Savchenko die Erde dann tatsächlich vom Himmel aus sieht: hoch in der Luft, einarmig von Bruno Massot über seinem Kopf getragen in einer schier unendlich erscheinenden Aneinanderreihung von hochriskanten Rotationen und Richtungswechseln. Die Schwierigkeit für beide besteht darin, diesen Kraftakt aussehen zu lassen, als balanciere er eine Feder auf dem Finger. In dieser Kür werden Hochrisikoelemente des Paarlaufs mit Artistik und Ballett auf Kufen verbunden, die Grenzen zwischen den Disziplinen Eistanz und Paarlauf lösen sich auf; "Christopher Dean hat uns regelrecht verknotet", hat Savchenko einmal erzählt. Eine Weltrekordwertung hatten sie sich für dieses Programm schon im Dezember beim Grand-Prix-Finale verdient, in der Eis-Arena von Gangneung haben sie sich nun selbst übertroffen mit 159,31 Punkten. Jedes Element glückte perfekt, Aljona Savchenko befand eine Stunde später in der Mixed Zone, erneut schluchzend: "Das war die Kür meines Lebens."

Neunmal die Note 10,0 erhielten sie dafür in der Wertung der "Components" - in der alten, nicht mehr gültigen Benotungsskala hätte man "B-Note" dazu gesagt. Und das war nicht einmal ausschlaggebend: Entscheidend für den Punkterekord war der technische Wert. Und vielleicht ist es ein besonderes Gütezeichen, dass nicht einmal ein möglicherweise subjektiver deutscher Wertungsrichter in der Jury saß: Sie haben es ganz allein geschafft. "Es war ein großartiges Programm, das Zukunftswirkung für die Disziplin haben wird", befand Dönsdorf: "Das ist entscheidend für die Entwicklung dieses Sports."

Das Warten auf den Ausgang des Wettbewerbs - drei Paare folgten ja noch - sei nervenaufreibender gewesen als die Kür selbst, sagte Bruno Massot: Zuerst kamen die Kanadier Meagan Duhamel/Eric Radford, denen ein Fehler unterlief. Sie wurden hinter den Deutschen eingereiht. Dann folgten die Weltmeister Sui Wenjing/ Han Cong, die untypischerweise nach einem Sprung verwackelten. Schließlich hatten es die russischen Europameister Jewgenija Tarassowa/Wladimir Morosow in der Hand: Tarassowa strauchelte bei einer Landung. Hinter den Deutschen blinkte die "1", die Chinesen waren Zweite, die Kanadier Dritte. Massot sackte weinend in sich zusammen, Savchenko ebenfalls.

Die Gold-Kür enthielt eine schier unendlich erscheinende Serie von hochriskanten Rotationen, Hebefiguren und Richtungswechseln. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

"Von vier auf eins - unglaublich", staunte Trainer Alexander König, der mit seiner ruhigen Art enormen Anteil daran hat, dass aus den beiden ein Spitzenpaar wurde, nachdem Savchenko und ihr alter Eis-Partner Robin Szolkowy sich 2014 nach Olympiabronze getrennt hatten. Es war das erste olympische Paarlauf-Gold für Deutschland seit 66 Jahren, zuletzt gewann 1952 das Ehepaar Ria und Paul Falk; nicht einmal Marika Kilius/Hans-Jürgen Bäumler waren Olympiasieger, nur zweimal Zweite, 1960 und 1964. "Ich bin so glücklich und habe geheult", bekannte Katarina Witt, 1988 Deutschlands letzte Solo-Olympiasiegerin im Eiskunstlauf. "So vorzulegen", sagte sie anerkennend, "das hat den Druck auf die anderen erhöht."

Für Aljona Savchenko war es der Triumph, von dem sie geträumt, auf den sie ein Leben lang hingewirkt hatte - "dreißig Jahre lang", wie sie am Abend auf der Medal Plaza strahlend erzählte, als sie endlich die Goldmedaille um den Hals hängen hatte. Mit drei Jahren setzte ihr Vater sie das erste Mal mit Kufen auf einen gefrorenen See bei Obuchiw in der Ukraine, wo sie geboren ist, mit fünf wurde sie in einer Eislaufschule angemeldet. Mit 18 hat sie ihre Heimat verlassen, weil sie sich in Deutschland bessere Chancen erhoffte, in Chemnitz unter Trainer Ingo Steuer. Besser als jede andere bei diesen Spielen kennt sie den Drill, die Mühe, die Arbeit im Tanzsaal, an der Ballettstange, in kalten, zugigen Hallen, all das, was hinter dem Glamour, dem Glitzern, den Paillettenkleidchen steckt. Sie wurde fünfmal Weltmeisterin mit Robin Szolkowy, ehe sie 2014 in dem sehr viel unerfahreneren Bruno Massot einen neuen Partner fand. Es folgte die Abnabelung von Chemnitz, der Umzug nach Oberstdorf zu Alexander König.

Gemeinsam mit Massot, der in Frankreich geboren wurde und inzwischen eingebürgert ist, hat sie quasi von vorne begonnen. Und in Oberstdorf dazu noch "das Glück gefunden", wie Dönsdorf sagte, der Savchenkos britischen Ehemann Liam Cross meinte.

"Ihre Persönlichkeit hat sich geöffnet, sie darf Mensch sein und ihre Kreativität entfalten", urteilt König. Fünf Anläufe bei Olympia hat sie benötigt, nun ist sie am Ziel: Olympiagold. Und? War das die perfekte Kür? "Nein", sagte Massot am Abend im Deutschen Haus lachend: "Nächsten Monat ist WM. Und da machen wir es besser."

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: