1860 München:Die Krux mit der Jugend

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Zuschauer aus Reihe vier der Haupttribüne: Sechzigs Erik Tallig sah gegen Uerdingen Gelb-Rot. (Foto: imago images/Passion2Press)

Der TSV 1860 München punktet in Unterzahl gegen den KFC Uerdingen und stellt sich die Rotationsfrage.

Von Christoph Leischwitz

Regeneration ist in diesen Tagen besonders wichtig, und so verschwendete Erik Tallig auch keine Zeit, um sich auszuruhen. In der 69. Minute bekam er eine dicke Jacke gereicht, zog sie über, ging die Treppe hinauf und ließ sich auf einer Sitzschale nieder, dann legte er sich eine Decke über die Beine. So sah der Mittelfeldspieler des TSV 1860 München die Schlussphase der Drittliga-Partie gegen den KFC Uerdingen, aus Reihe vier der Haupttribüne. Das Problem war nur, dass die verbliebenen Spieler nun über 20 Minuten noch mehr laufen mussten als ohnehin schon, um den Ausfall zu kompensieren: Tallig, der in dieser Saison noch nicht einmal eine gelbe Karte gesehen hatte, sah diesmal Gelb-Rot.

Davor hatte Sechzig das Spiel lange kontrolliert. Und so tat sich Trainer Michael Köllner schwer mit einer Einschätzung des Gesehenen nach dem Abpfiff der Partie: "Schwierig, schwierig, schwierig", sagte er. Doch es überwog dann die Zufriedenheit. Immerhin hatten die Münchner neben schweren Beinen auch noch die Gewissheit, dass sich die ganze Anstrengung in der Schlussphase ein bisschen gelohnt hatte, am Ende stand ein 0:0 und damit ein gewonnener Punkt.

Köllner sagte am Freitag, wie viel er von den jungen Spielern hält

Uerdingen hatte die besseren Chancen gehabt. Einmal, als Quirin Moll der gröbste Schnitzer der Partie unterkam und der Uerdinger Muhammed Kiprit allein auf Marco Hiller zulief - der Torwart reagierte glänzend (60.). Ein weiteres Mal blockte wiederum Moll gerade noch einen Schuss des eingewechselten Ex-Sechzigers Adriano Grimaldi, als die Gäste in Überzahl ein wenig auf Sieg spielten (82.). In der ersten Halbzeit hatten die Löwen vergeblich nach Lücken in der Uerdinger Abwehr gesucht. Der KFC hatte in den vier Partien davor auch nur zwei Gegentore hinnehmen müssen, nun stand im früheren Bayern-Spieler Jan Kirchhoff nach überstandener Verletzungspause ein weiterer Routinier in der Abwehrkette. Dass von der ersten Hälfte kaum etwas Erinnerungswürdiges hängen blieb, begründete Köllner damit, dass man ja "gerne Spektakel machen" könne, aber dann bekäme der Gegner eben auch Chancen. In der Variante mit dem verringerten Risiko schuf Sechzig aber keine Überzahl-, bestenfalls Gleichzahl-Situationen, und diese wurden meistens nicht präzise genug ausgespielt. Die Lücken, ist Köllner überzeugt, hätten sich schon noch aufgetan, und er fühlte sich wahrscheinlich durch die erste klare Chance von Sascha Mölders nach 48 Minuten bestätigt.

Am Freitag noch hatte der 50-jährige Trainer viel und ausführlich darüber gesprochen, wie viel er doch von den jungen Fußballern im Kader hält. Er habe eben zurzeit glücklicherweise keine Spieler mit Formtief, deshalb rotiere er so wenig. Aber die Annahme: "Der Köllner kann nicht wechseln, nee, das ist nicht so", sagt Köllner. Die Krux sei, dass die jüngeren Spieler Geduld haben müssten. Und Geschäftsführer Günther Gorenzel antwortet auf die Frage, ob in der Winterpause Geld zu Verfügung stehe für weitere Spieler, dass man in Zeiten wie diesen "jeden Euro dreimal umdrehen" müsse.

Nach der Begegnung gegen Uerdingen aber drängt sich der Eindruck auf, dass der Ärger bald kommen könnte. Diesmal wurde eine gute Gelegenheit verpasst, einen der gelobten jungen Spieler ins kalte Wasser zu werfen, bevor Tallig Gelb-Rot sah. Der 20-Jährige hatte sich in der neunten Minute ein Foul geleistet, das mit ein wenig Pech einen direkten Platzverweis bedeutet hätte: eine Grätsche von vorne mit offener Sohle. Köllner sagte, vor Talligs zweitem Foul habe man die Auswechslung gerade vorbereitet. Mit einem Wechsel zur Pause freilich hätten alle Beteiligten mehr Regeneration gehabt. Doch Köllner hatte den zuletzt noch angeschlagenen Marius Willsch auf der Bank gelassen; der Einsatz von Torwart Hiller war erst Minuten vor dem Anpfiff klar gewesen, er hat Nackenprobleme. Zu viele Umstellungen auf einmal traut man dem Kader offenkundig nicht zu.

Wie viel der TSV 1860 nun in der bevorstehenden englischen Woche rotieren werde, sagt Köllner, werde die Leistung der Spieler zeigen. Sprich: wie sehr sie auf dem Zahnfleisch gehen. "Guten Schlaf" wünscht Köllner seinen Fußballern vor der Partie am Dienstag in Verl. Man müsse in der Belastungssteuerung "jetzt richtig gut unterwegs sein". Er machte es selbst noch zum Thema, dass Verl ungefähr 19 Stunden mehr Zeit für die Regeneration habe, weil der Aufsteiger bereits am Freitagabend 4:0 beim MSV Duisburg gewann.

Uerdingens Trainer Markus Krämer übrigens meinte, dass die Besetzung seiner Mannschaft nach der wohl anstrengenden Begegnung nun am Dienstagabend (gegen Halle) sicherlich auf mehreren Positionen wechseln werde. Er freue sich, dass sein Kader so groß sei.

© SZ vom 23.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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