1. FSV Mainz 05:Zusammenbruch am Bruchweg

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Trainer Beierlorzer vor dem Aus, Manager Schröder angezählt: Bei Mainz gibt es nach dem Liga-Fehlstart und dem Trainingsboykott des Teams viele Verlierer.

Von Frank Hellmann, Mainz

Entspannt auf Mainzer Fehler gewartet: Mateo Klimowicz (Mitte) erzielt das 3:1 für den VfB Stuttgart. (Foto: Rudel/imago images)

Den Fans auf den unteren Rängen, im G-Block der Mainzer Arena, schien die Aufforderung des Stadionsprechers, wegen der Hygienevorschriften nach Abpfiff noch auf den Plätzen zu verweilen, sehr recht zu sein. So konnten Repräsentanten der einflussreichsten Fangruppe noch ihren Unmut anbringen: Mit wütenden Gesten und Schimpfkanonaden bekamen Spieler und Trainer des FSV Mainz 05 mitgeteilt, was einige der 3403 Augenzeugen vom Trainingsstreik unter der Woche und vom Offenbarungseid beim 1:4 (1:0) gegen den VfB Stuttgart hielten. "Dass wir nach so einer Woche und so einem Spiel Gegenwind kriegen, dem müssen wir uns jetzt stellen", sagte Coach Achim Beierlorzer, 52, sichtlich zerknirscht.

Am Sonntagmorgen begannen dann am Bruchweg die Analysegespräche zu dieser Herbstkrise. Dauer und Ergebnis seien nicht absehbar, hieß es zunächst von Vereinsseite. Der am Mittag zur Aussprache hinzugezogene Cheftrainer ahnte bereits, dass es um ihn gehen würde: "Druck ist immer da. Ich weiß, wie die Liga tickt." Fast fatalistisch fügte der gelernte Pädagoge an: "Es würde jetzt ja alles wunderbar passen." Dass der Trainer im Auswärtsspiel am Freitag bei Union Berlin auf der Bank sitzt, wollte Sportchef Rouven Schröder bereits am Samstagabend nicht bestätigen. Schröder, 44, sagte: "Wir werden die Gespräche dahingehend ergebnisoffen führen. Wir werden alles auf den Tisch legen."

So überzeugend Beierlorzer mit einem 5:1 in Hoffenheim bei den Nullfünfern startete, so krachend scheint er zehn Monate später gescheitert zu sein. Die von ihm erhoffte "Antwort auf dem Rasen" einer Elf, die zuvor aus Solidarität mit dem definitiv zur U 23 versetzten Stürmer Adam Szalai eine Trainingseinheit boykottiert hatte, war ausgeblieben. Damit gingen auch dem gebürtigen Franken die Argumente aus. Für den jüngeren Bruder des ehemaligen Bayern-Profis Bertram Beierlorzer dürfte nach der erfolglosen Kölner Episode auch das Kapitel rheinaufwärts beendet sein.

Die Mainzer Fußball-Welt ist gerade insgesamt gewaltig in Unordnung. Ein Klub, der vom Zusammenhalt lebt, zerfällt in Widersprüche. "Wir haben uns auf den Fußball konzentriert, alles andere haben wir vergessen", beteuerte Kapitän Danny Latza allen Ernstes. Aber warum kam dann eine Leistung zum Vergessen heraus? Beierlorzer verortete die Ursachen sehr wohl bei den Vorfällen vorab: "Dass es Einfluss hatte, ist nicht weg zu diskutieren." Beierlorzers Beziehung zu den Spielern gilt als stark belastet, Führungskräfte forderten bereits in der Vorsaison klarere Vorgaben. Dieser 05-Kader, in dem die Franzosen Moussa Niakhaté und Jean-Philippe Mateta oder die Eigengewächse Ridle Baku und Leandro Barreiro in jungen Jahren tragende Rollen haben, lechzt nach Input.

Ihr Fußballlehrer sprach zwar trotzig von einem "konstruktiven Verhältnis" zu seinen Profis, aber die brachten gegen den Aufsteiger VfB kaum einen gescheiten Spielzug zustande. Trotz des Mainzer Führungstores durch Robin Quaison (13.) warteten die klug agierenden Stuttgarter nur auf die vielen Fehlpässe des Gegners, um durch Silas Wamangituka (45.), Daniel Didavi (61.), Mateo Klimowicz (80.) und Sasa Kalajdzic (86.) zuzuschlagen.

(Vorerst?) verhinderter 1860-Trainer: Achim Beierlorzer. (Foto: Markus Herkert/Jan Huebner/Imago)

Der Fehlstart in der Liga und die Ursachen der Spielerrevolte bilden nun bei den Rheinhessen ein explosives Gemisch. Der Vereinsvorsitzende Stefan Hofmann traut Sportvorstand Schröder nicht mehr alleine die Aufarbeitung zu, sonst hätte er nicht per Kommuniqué angekündigt, mit dem Aufsichtsratschef Detlev Höhne selbst Gespräche mit den Spielern aufzunehmen. Hofmann hatte - im Gegensatz zu Schröder - sehr wohl einen Zusammenhang zwischen der Ausbootung des beliebten Edelreservisten Szalai und dem Streit um die Zurückzahlung gestundeter Gehälter der Mannschaft hergestellt: Bei der Frage der Trainingsbeteiligung von Adam Szalai habe sich "spontan eine große Emotionalität entladen", sagte Hofmann.

Die offenbar gefrusteten Kicker erwarteten die Rückzahlung der seit März gestundeten Gehaltsanteile, was aber laut Klubchef nur "für jenen Fall als Option erwogen worden war, sollte sich die wirtschaftliche Situation für den Verein verbessern". Die habe sich aber tendenziell eher verschlechtert. Warum das den Spielern nicht überzeugend erklärt wurde, muss sich die sportliche Leitung fragen lassen. "Kommunikation ist ein großes Thema, sonst kommt es ja nicht dazu", gab Schröder kleinlaut zu.

Diese Chaos-Woche auf allen Ebenen hinterlässt nur Verlierer: ein Trainer, der sein Team verliert; ein Manager, der an Autorität einbüßt; ein Präsident, der lange zögert - und Spieler, die offenbar nur wenig Identifikation mit dem Nischenstandort Mainz aufbringen, sonst hätten sie mehr Verständnis für die wirtschaftlichen Zwänge des Klubs, der nur durch einen kollektiven Gehaltsverzicht aller Angestellten in zweistelliger Millionenhöhe das Überleben in der Pandemie sicherte. Jetzt kommt wohl zudem eine Trainerabfindung in die Verlustrechnung.

© SZ vom 28.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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