1. FC Union Berlin:Ein einziges Kauderwelsch

Lesezeit: 3 min

Mit 0:4 noch gut bedient: der Mainzer Trainer Jan-Moritz Lichte. (Foto: ANNEGRET HILSE/REUTERS)

Desolate Mainzer verlieren chancenlos gegen ein fein eingestelltes Union Berlin - dort sind lediglich die Namen noch nicht eingespielt.

Von Javier Cáceres, Berlin

Auch beim 1. FC Union Berlin hat es sich eingebürgert, dass die Nachnamen der Spieler vom Publikum ergänzt werden, wenn sie auf den Platz gehen und der Stadionsprecher Rückennummer und Vornamen ins Mikrofon brüllt, wie am Freitagabend. Nach gut einer Stunde sollte der "Spieler mit der Rückennummer 9" begrüßt werden, und als der Vorname "Joel ..." über die Anlage ins Stadion geflogen kam, konnte man gut hören, dass die knapp 5000 Zuschauer der Bundesligapartie zwischen Union und Mainz 05 noch Nachholbedarf haben, was die chorale Darbietung des nicht ganz geläufigen Namens "Pohjanpalo!!!" anbelangt.

Das "Po ..." ging den Köpenickern noch gut über die Lippen, die restlichen Silben klangen, als hätten alle Bier und Wurst im Mund: "Pouuuahmmppmmnooo", oder so ähnlich. Exakt 35 Sekunden später war das freilich egal. Denn der 26-jährige Finne hatte den Ball ins Mainzer Tor befördert, den 4:0-Endstand und damit den höchsten Sieg der noch jungen Bundesligageschichte Unions fabriziert. "Es war ein wichtiger Sieg. Aber jetzt gilt es, auf dem Boden zu bleiben", sagte Trainer Urs Fischer.

Daran täte Union insofern gut, als sich tatsächlich fragen ließe, was ein Sieg gegen eine zusammengefasst desolate Mainzer Mannschaft wert ist. Die imposante Konfliktkette aus dem Ärger über die Abkehr von der Auszahlung ursprünglich gestundeter Gehälter, der Suspendierung von Stürmer Adam Szalai und der Unzufriedenheit des Teams mit Trainer Achim Beierlorzer, die letztlich zu Streik, Zerwürfnissen und der Absetzung des Coaches führten, all das lastete erkennbar auf den Mainzern, die nun aus drei Spielen null Punkte geholt haben. So wie der Name "Pohjanpalo" nicht zu entziffern war, als der aufs Feld kam, wirkte der Mainzer Vortrag auf dem Rasen wie ein einziges Kauderwelsch.

Der aktuelle Trainer Jan-Moritz Lichte, 40, mühte sich zwar, positive Ansätze herauszustreichen. Aber er konstatierte auch, "wie sehr das Selbstvertrauen in den Keller ging", nachdem Sturm-Zugang Max Kruse die Union-Führung erzielt hatte (13.). Marcus Ingvartsen und Marvin Friedrich legten nach (50./63.); am Ende traf schließlich der Stürmer, der in den Fasching als Ikea-Schrank gehen könnte. Wenn er sich ein Namensschild um den Hals hängen würde, hätte der 1,86 Meter große Stürmer die perfekte Verkleidung: "Pohjanpalo".

Man müsse von Union lernen, mahnte Mainz-Trainer Lichte, und erklärte, in der Länderspielpause an der "Körperlichkeit" arbeiten zu wollen, um die Gegner zu stressen, wie es die Köpenicker tun. Diese Tugenden der Unioner waren Faktoren für den Sieg, klar. Aber sich nur darauf zu kaprizieren, hieße zu unterschlagen, dass die Unioner insbesondere die Treffer eins und drei exzellent herausgespielt hatten. Beim ersten Tor schlug Rechtsaußen Sheraldo Becker eine vorzügliche Flanke auf den völlig freistehenden Kruse am Fünfmeterraum; beim dritten Treffer leitete Innenverteidiger Nico Schlotterbeck mit einem klugen Flankenwechsel die nicht minder präzise Hereingabe von Rechtsverteidiger Christopher Trimmel ein, die Ingvartsen verwertete. Das alles waren Indizien dafür, dass sich Union, ohne die kämpferische Identität der Vorsaison zu verlieren, um fußballerische Farben bereichert hat. Mainz war mit dem 0:4 gut bedient. "Wir haben in der Breite definitiv mehr Qualität bekommen", sagte Kapitän Trimmel: "Wir haben Supertransfers getätigt."

Das bezog sich nicht nur, aber auch auf Max Kruse, 32. Der frühere Nationalspieler spielte erstmals seit seinem Wechsel aus Istanbul von Anfang an und machte nach 63 Minuten Platz für den aus Leverkusen geholten Strafraumknipser Pohjanpalo. Der neue Torwart Loris Karius, 27, blieb auf der Bank, soll aber bald Nummer eins werden. "Ich glaube, man hat gesehen, dass ich ein bisschen weiter bin als letzte Woche", sagte Kruse, "aber dass das nicht hundert Prozent ist, was ich spielen kann, ist auch klar. Das weiß ich auch selber."

Kruse hätte eigentlich ein zweites Tor erzielen müssen: "Die Wahrheit ist, ich war schlicht zu langsam", sagte er dazu. Dennoch war sein Trainer voll des Lobes. Kruse habe Qualität, die der Mannschaft nicht nur in der Vorwärtsbewegung helfe, sondern auch dann, wenn es darum gehe, das Tempo herauszunehmen und das Spiel zu beruhigen, also "ein bisschen den Takt anzugeben", sagte Fischer nach dem ersten Saisonsieg. Mit seiner Reife helfe Kruse Union, auf und neben dem Platz.

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: