1. FC Nürnberg:Gute Zuhörer

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Ein Gedenkkranz des 1. FC Nürnberg. (Foto: OH)

"Es gibt noch genug zu tun": Der Club bekämpft Rassismus und organisiert Fahrten in die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Von Christoph Ruf

In stillem Gedenken", steht auf der Schärpe des Blumenkranzes, den die Fans des 1. FC Nürnberg in die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg mitgenommen haben. Tatsächlich ist es völlig ruhig, als die beiden Fanbetreuer Hannes Orth und Andreas König das rot-weiße Gebinde auf eine pyramidenförmige Rasenfläche legen. Sie soll an die Menschen erinnern, die hier ihr Leben gelassen haben. Im "Tal des Todes", dem Ende der Gedenkstätte, steht auch das Krematorium, die Asche tausender Menschen liegt unter einer Grasfläche.

Die Luft ist angefüllt vom Zwitschern der Vögel und dem Summen der Insekten, im Hintergrund wiegen sich die Baumwipfel im Sommerwind. Als die Gedenkminute vorbei ist, schüttelt ein Fan den Kopf. "Fast schon makaber" findet er das Nebeneinander zwischen den Bildern des Grauens, die im Kopf entstehen, und der unbeschwerten Sommer-Atmosphäre. "Noch im Mai lag hier Schnee", berichtet der Historiker Matthias Rittner, der zusammen mit Johannes Lauer durch die Gedenkstätte führt. Auch Andreas König von der FCN-Fanbetreuung, der zur Vorbereitung der Fahrt schon im März einmal hier war, ist überrascht: "Vor ein paar Monaten war das eine graue triste Fläche am Waldrand."

Nur einen Kilometer vom Stadion entfernt steht ein Dokument des Größenwahns

Der fränkische Zweitligist hat die Gedenkstättenfahrt für Fußballfans zum ersten Mal organisiert hat, sie soll jetzt regelmäßig stattfinden. Auch Anhänger des FC Augsburg waren schon hier. Am Samstag um acht Uhr morgens sind die Club-Fans Richtung Oberpfalz aufgebrochen. Zuvor hatte es Mitte Juni ein Vorbereitungstreffen gegeben, bei dem König und Orth zusammen mit dem Historiker Bernd Siegler über Flossenbürg informierten. Am ersten Tag steht nun eine Führung durch das Lager auf dem Programm. Auf der riesigen Freifläche standen die Häftlingsbaracken, die nach dem Krieg eilends abgerissen wurden. Bis zu vier Menschen wurden darin in ein Bett gepfercht, es gab zwei Toiletten für bis zu 1000 Häftlinge.

Von der ersten Stunde in Flossenbürg an sollte jede Hoffnung schwinden, hier wieder lebend rauszukommen. "Vernichtung durch Arbeit", hieß das Programm. Mindestens 30 000 der 100 000 Inhaftierten überlebten das Arbeitslager nicht.

Ein Flossenbürg-Überlebender, dessen Erinnerungen am Abend auf Video vorgespielt werden, erzählt, wie er und seine Mitgefangenen im nahen Steinbruch mit bloßen Händen Granit abbauen mussten - bei minus 20 Grad im Januar oder bei Temperaturen wie am vergangenen Wochenende. Die Nazis brauchten das Gestein für ihre Pläne, dem 1000-jährigen Reich eine 70 Meter hohe, dem Kolosseum in Rom nachempfundene Kongresshalle zu bauen. Die Außenfassade des nie fertiggestellten Kolosses wäre komplett aus Granit gewesen. Das 38 Meter hohe, nie fertiggestellte Dokument des Größenwahns steht nur etwas über einen Kilometer Luftlinie neben dem Nürnberger Max-Morlock-Stadion.

Immer wieder fragen die FCN-Fans nach, als Rittner und Lauer die Führung fortsetzen. Viele haben ein beachtliches historisches Vorwissen, fast alle stellen immer wieder Nachfragen. Die beiden Historiker, die sonst meist Schulklassen und Studierendengruppen durch das KZ führen, sind am Abend voll des Lobes über die Gruppe: "Ich muss zugeben, heute Morgen hätte ich mir bei diesem Wetter etwas Besseres vorstellen können als hier zu sein", sagt Rittner. "Jetzt, am Abend, bin ich total froh, dass ich mit euch hier war." In der Woche zuvor hat Rittner eine Besuchergruppe betreut, bei der sich zwei Drittel der Teilnehmer demonstrativ gelangweilt gezeigt haben. "Da verzweifelt man allmählich. Umso begeisterter bin ich, wenn eine Gruppe so interessiert und aufmerksam ist. Nur so entsteht Interaktion." Einige Tage zuvor ist Rittner von Freunden gefragt worden, was denn Fußballfans zu einer Gedenkstättenfahrt treibe. Seine Antwort: "Eine Fankurve ist, glaube ich, ein ziemlich repräsentativer Querschnitt der Bevölkerung."

Auch Geschäftsführer Niels Rossow ist vor Ort - er fördert gesellschaftspolitische Projekte

Am Samstagvormittag war auch Niels Rossow, der Nürnberger Geschäftsführer, vor Ort. Von den Nürnberger Fans hört man, dass er solche Projekte intern nicht nur befürwortet, sondern regelrecht einfordert. Er selbst betont am Samstag, dass sich der Club auch künftig gesellschaftspolitisch engagieren will. Das sei auch eine Chance für die Vereine, abseits ihres Kerngeschäfts Fußball sichtbarer zu werden.

Wer sich mit den Fans unterhält, merkt, dass sie die jüngsten Wahlergebnisse besorgniserregend finden. Einer sagt, dass "das gesamte politische Klima in den letzten Jahren nach rechts gerutscht ist. Man hört wieder Dinge, die noch vor kurzem Tabu waren." Wichtig sei jetzt, sagt ein anderer Teilnehmer, dass die Gedenkstättenfahrt dauerhaft organisiert werde, er werde jedenfalls im Freundeskreis und in der Kurve dafür werben. "Sich mit all dem wirklich ausführlich zu befassen, bringt viel mehr als die hundertste Durchsage gegen Rassismus im Stadion", meint ein Teilnehmer. "Es gibt noch genug zu tun", sagt eine andere. "Wir müssen uns ja nichts vormachen. Auch bei uns gibt es noch Fans, die rechts denken."

Mehrheitsfähig ist deren Gedankengut aber schon lange nicht mehr. 2012 organisierte "Ultras Nürnberg" eine riesige Choreographie zu Ehren von Jenö Konrad, der von 1930 bis 1932 FCN-Trainer war. Nach einem geifernden Pamphlet ("Klub! Gib Deinem Trainer eine Fahrkarte nach Jerusalem. Werde wieder deutsch, dann wirst Du wieder gesund. Oder Du gehst am Juden zugrunde.") im von NSDAP-Gauleiter Julius Streicher herausgegebenen "Stürmer" beschloss Konrad, Deutschland zu verlassen. Für ihr Engagement bekamen Verein und Ultras vom DFB später den Julius-Hirsch-Preis verliehen. "Ich habe damals im Vorfeld vor gut 200 Ultras einen Vortrag über den Club in der NS-Zeit gehalten", erinnert sich Siegler, der die heute 90-jährige Konrad-Tochter Evelyn in New York aufgespürt hatte. "Das war schwere Kost und als 90-minütige Veranstaltung konzipiert. Gedauert hat es aber zweieinhalb Stunden, weil danach immer wieder Nachfragen kamen."

Siegler erinnert sich noch gut an Zeiten, in denen auch im Nürnberger Stadion rassistische Schmähungen zu hören waren. Dass das längst vorbei ist, liege auch daran, dass die Ultras an allen Facetten der Club-Geschichte interessiert seien. Und dass sie die richtigen Schlüsse daraus zögen.

© SZ vom 05.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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