1. FC Nürnberg:"Das ist doch kein Wunschkonzert"

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Der prominente Club-Fan und -Kritiker Fritz Sörgel freut sich über die erste Online-Mitgliederversammlung, doch er stört sich am Termin.

Von Markus Schäflein

Als am Donnerstag klar wurde, dass die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten Großveranstaltungen bis Ende des Jahres untersagen, hatte Thomas Grethlein Klarheit. "Es wird jetzt auf Online hinauslaufen", sagt der Aufsichtsratsvorsitzende des Fußball-Zweitligisten 1. FC Nürnberg mit Blick auf die anstehende Mitgliederversammlung, auf der er im Amt bestätigt werden muss. Das freut Grethleins prominenten Kritiker, den Pharmakologen und Clubfan Fritz Sörgel, der eine Online-Versammlung öffentlich gefordert hatte: "Zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte seit dem Abend der Gründung werden jetzt alle Mitglieder befragt und nicht nur eine Minderheit. Zunächst mal ist das toll."

Zunächst mal - doch Sörgel stört sich nun am geplanten Termin. Die Versammlung soll laut Grethlein am 20. oder 21. Oktober stattfinden, also in jenem Zeitraum, in dem auch eine Präsenzveranstaltung vorgesehen war. Zwei Wochen zuvor müssen die Bewerber für den Aufsichtsrat feststehen. Bis dahin sei es kaum mehr möglich, qualifizierte Gegenkandidaten für den Aufsichtsrat zu finden, die unter den neuen Umständen - online statt in der traditionell aufgeheizten Atmosphäre der Meistersingerhalle - möglicherweise eher bereit seien, anzutreten. Es gebe schon "sechs oder sieben" Interessenten, die sich bei ihm gemeldet hätten, sagt Sörgel, er sehe sich als "eine Art Katalysator" - aber die Zeit sei zu knapp. "Gleich versuchen sie mit Tricksereien, diesen Gewinn an Demokratie wieder zu vernichten."

Sörgel fordert einen Termin Ende November oder im Januar nächsten Jahres. Grethlein kann diese Argumentation nicht nachvollziehen: "Das finde ich merkwürdig. Bislang wurde ja eher gesagt, dass eine zu lange Verschiebung der Jahreshauptversammlung den Interessen der Mitglieder entgegenstehen würde. Das ist doch kein Wunschkonzert. Kandidatur ist Kandidatur, jeder kann sich innerhalb der satzungsgemäßen Fristen bewerben."

Ohnehin zeigt sich Grethlein etwas verärgert über Sörgels Vorgehen. Der Pharmakologe hatte zunächst nämlich in einem Schreiben an den Club angesichts der Pandemie eine Briefwahl gefordert; dieses Ansinnen wurde unter anderem wegen der hohen Hürde, dass 50 Prozent der 24 000 Mitglieder der Briefwahl ausdrücklich hätten zustimmen müssen, in einer freundlichen Antwortmail von Vorstand Niels Rossow abgelehnt. Darauf ging Sörgel mit der Forderung nach einer Online-Versammlung, die er intern noch nicht vorgetragen hatte, an die Öffentlichkeit. Die Aussage, dass der Aufsichtsrat eine Online-Versammlung generell ablehne, sei "natürlich nicht richtig" gewesen, betont Grethlein.

Sörgel fordert angesichts des sportlichen Misserfolgs und der aus seiner Sicht unprofessionellen Außendarstellung, dass nicht nur Grethlein und zwei weitere Räte, die turnusgemäß an der Reihe sind, bestätigt werden müssen - sondern alle neun Mitglieder des Gremiums: "Der gesamte Aufsichtsrat soll zurücktreten und kann sich, falls gewünscht, wieder zur Wahl stellen." Grethlein erklärt: "Für diese radikale Forderung gibt es kein historisches Beispiel - meines Wissens weder im Sport noch in der Wirtschaft. Ich wüsste also nicht, warum ich meine Kollegen darum bitten sollte." Die Abwahl sei aber laut Satzung möglich: "Wenn dies gewollt wird, kann ein Abwahlantrag gestellt werden. Dann braucht es 75 Prozent der Stimmen."

Sörgel sagt: "Den Antrag werde ich stellen, sonst würde ich mir ja selbst widersprechen." Laut Satzung braucht er einen "triftigen Grund"; einen solchen stellte 2014 bei einem gescheiterten Abwahl-Antrag gegen den Reporter Günther Koch allerdings bereits das Tragen eines FC-Bayern-Schals in einer TV-Übertragung dar.

Sörgel hatte angeregt, in der Online-Versammlung ein Meinungsbild zur Ausgliederung in eine Kapitalgesellschaft einzuholen; sie durchzusetzen, galt in der stark von den Ultras beeinflussten Meistersingerhalle als undenkbar. Grethlein erklärt: "Eine Umfrage oder ein Meinungsbild zu irgendwelchen Themen wäre rechtlich nicht bindend, würde trotzdem eine merkwürdige Kraft entfalten und bliebe unter der Konkretheit eines spezifischen Antrags. Schließlich haben auch die Mitglieder über Anträge die Möglichkeit, Themen zu setzen." Damit will sich der Aufsichtsratschef aber nicht als genereller Gegner einer Ausgliederung positionieren. Es sei ja denkbar, dass sich auch in einer Online-Versammlung eine signifikante Mehrheit gegen eine Kapitalgesellschaft aussprechen würde - und der Club dann in einiger Zeit ein Problem hätte, wenn er diesen Schritt womöglich doch vollziehen will oder muss. "So eine Umfrage", findet Grethlein, "kann ein Meinungsforschungsinstitut machen."

Meinungsforscher wird der 1. FCN zur Durchführung der Online-Versammlung also nicht brauchen - aber Redakteure, die eine mutmaßliche Flut an Fragen von Mitgliedern sortieren und natürlich auch filtern müssen. Sörgel will gewährleistet wissen, dass diese nicht einseitig im Sinne der Amtierenden ausgewählt werden, und: "Neben der Zusammensetzung dieser Redaktion muss natürlich noch die Frage geklärt werden, wie sich Kandidaten vorstellen können. Da muss allen die genau gleiche Zeit vor der Wahl eingeräumt werden." Das sollte einfach sein: In der Halle wurde oft überzogen und dann gebuht - diesmal kann der Versammlungsleiter einfach Kamera und Mikrofon abschalten.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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