1. FC Köln:Entfesselt nach Europa

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Ein Tänzchen mit Hennes: Kölns Torjäger Anthony Modeste bezieht den Geißbock in seine Feierlichkeiten beim 4:3 gegen Bremen mit ein. (Foto: imago/Uwe Kraft)

Beim Krimi gegen Bremen entdeckt der 1. FC Köln seinen Offensivgeist neu. Die Protagonisten des Spektakels staunen selbst über ihre Entfesselung, nicht einmal die Bremer sind traurig nach dem Ende ihrer Serie.

Von Philipp Selldorf, Köln

Anthony Modeste hat den Schlusspfiff bestimmt nicht weniger ersehnt als all die Leute, die im Stadion auf ihren Plätzen standen, weil sie es im Sitzen nicht mehr aushielten. Doch als dann endlich Herr Stark aus Ergolding auf seine stets zackige Art den letzten Pfiff tat, hat Modeste nicht infernalisch gejubelt wie die 50000 auf den Rängen (abzüglich der vielen Anhänger von Werder Bremen, die offenbar eine Völkerwanderung veranstaltet hatten). Nicht mal die Arme hat er hochgerissen im Moment der Erlösung.

Stattdessen ballte der Kölner Mittelstürmer notdürftig zwei Fäuste und sank dann auf den Rasen, auf dem er rücklings liegenblieb wie ein gestrandeter Plattfisch. Gratulanten wurden im Liegen empfangen, sie kamen in großer Zahl, denn Modeste hatte den Abend wieder mal mit der Bestnote abgeschlossen. Zwei Tore geschossen, eines vorbereitet - und dennoch war er nur einer von vielen Hauptdarstellern einer grandiosen Vorstellung.

Passend zu den Ambitionen will der FC sein Stadion ausbauen - auf 75 000 Plätze

Der Schlusspfiff in Müngersdorf, der den 4:3-Sieg des 1. FC Köln gegen Werder Bremen besiegelte, hinterließ stolze Gewinner und kaum weniger stolze Verlierer. Der Bremer Zlatko Junuzovic bedauerte zwar pflichtgemäß das Ende der schönen Serie - elf Mal hatte Werder zuvor nicht verloren -, aber er war auch gern bereit, von dem "Spektakel unter Flutlicht" zu schwärmen: "Es war ein großes Spiel von beiden Mannschaften." Auch sein Trainer Alexander Nouri hatte sich schnell versöhnt mit der Niederlage. Wenn schon die Serie habe reißen müssen, dann sei es doch gut, dass es "bei diesem sympathischen Klub" in Köln passiert sei, erklärte er dem FC-Manager Jörg Schmadtke im Zuge einer freundschaftlichen Umarmung.

Dieses Fußballspiel war ein Fall für den Bundesgesundheitsminister, es verursachte bei den anwesenden Zuschauern außer Herzrasen, Hypertonie und Schwindelgefühlen auch bleibende Sirenengeräusche in den Ohren, selbst Lemmy Kilmister und Motörhead haben niemals größere Hörschäden verursacht als das rasende Publikum von Müngersdorf. Dennoch mussten die Akteure am nächsten Tag feststellen, dass die DFL auch für diesen weltweit vorzeigbaren Sieg lediglich drei Punkte gutgeschrieben hatte, und dass der Wettbewerb um die Plätze fünf bis sieben unverändert darwinistische Dimensionen hat. Dem Sportchef Schmadtke war das schon vor dem Zubettgehen bewusst gewesen: "Jetzt geht der Stress erst richtig los", sagte er und meinte es auch so, sein Lächeln drückte eher Sarkasmus als Heiterkeit aus. Bloß zwei Spiele trennen die Kölner noch von der triumphalen Rückkehr nach Europa (nach 25 Jahren Absenz) - oder von einer mutmaßlich entsetzlichen Enttäuschung, die nach dieser starken Saison niemand verdient hat: Weder die Leute beim FC noch die hingebungsvolle Fangemeinde.

Im Ligafinale geht es für den FC aber nicht nur um Gefühle, sondern auch um Argumente, denn die Reform dieses ehedem großen, dann aber gewaltig geschrumpften Traditionsklubs hat gerade erst begonnen. Am Freitag empfingen Vereinsvorstand und Geschäftsleitung führende Lokalpolitiker, um deutlich zu machen, dass der Wunsch nach dem Ausbau des Stadions gar kein Wunsch, sondern eine Forderung an die Stadt sei. Dabei geht es nicht um ein paar zusätzliche Business-Seats, sondern um eine Erweiterung in Real-Madrid-Umfang: auf 75 000 Plätze. Die Teilnahme an der Europa League würde diesen Ambitionen Nachdruck verleihen. Dass sie dazu dienen könnte, den Torjäger Modeste über den Sommer hinaus zum Bleiben zu verleiten, vermag sich allerdings niemand so recht vorzustellen.

So war das letzte Freitagspiel der Saison auch eine Werbeveranstaltung für den so oft geschmähten kleinen Bruder der Champions League. "Zum Teufel mit der Angeber-Liga, es lebe die Europa League" - unter diesem imaginären Motto stürmten die beiden Mannschaften hochmotiviert in den wilden Abend. Die Kölner gaben das Tempo vor. Eine halbe Stunde lang ließen sie Werder aussehen wie das Kaninchen, das von Windhunden gejagt, gerissen und gerupft wird. Dass FC-Trainer Peter Stöger während der Woche zur Offensive Richtung Europa aufgerufen hatte, löste offenbar Begeisterung bei seinen Leuten aus. Beim Betreten der Kabine hatte der in Köln einzigartige Leonardo Bittencourt lauter Kollegen angetroffen, "die mächtig Bock hatten". Da wusste er, "dass es ein Feuerwerk gibt". So entfesselt und angriffslustig hatte man die unter Stögers Aufsicht stets disziplinierte und kontrollierte Mannschaft tatsächlich noch nie gesehen. Es war, als wäre der Geist des Jürgen Klopp in den FC gefahren. "Alles raushauen" - das war die Devise. Dem Bremer Spielaufbaubegegneten die Kölner mit radikalem Pressing und weit vorgeschobener Vorwärtsverteidigung, lediglich Subotic und Sörensen blieben ein Stück zurück - eine Risikoversicherung, die zwar nicht zur soliden Deckung genügte, aber dem Entertainment diente. Stöger wurde später gefragt, was da gerade in seinem Team gedeihe und heranwachse. Er zuckte die Schultern und erwiderte: "Keine Ahnung". Noch zwei Spiele, dann weiß er es.

© SZ vom 08.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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