1. FC Heidenheim:Prädestiniert fürs Zentrum

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Regent im Heidenheimer Mittelfeld: Niklas Dorsch. (Foto: Sebastian Widmann/dpa)

Niklas Dorsch verteilt im Heidenheimer Mittelfeld die Bälle.

Von Christoph Leischwitz

Der Aufstieg war gerade in weite Ferne gerückt im März 2018, und Niklas Dorsch ärgerte sich. Gegen Ende, sagte er zerknirscht, habe man viel zu viele lange Bälle geschlagen, und diese langen Bälle, "das ist für mich keine Art". Das, was man gemeinhin bei Rückstand als "Taktik mit der Brechstange" bezeichnet, meinte er damit.

Ärgerlich war damals diese 1:3-Niederlage gegen den 1. FC Nürnberg II deshalb, weil der FC Bayern II nicht mehr Schritt halten konnte mit dem Tabellenführer TSV 1860 München. Der Aufstieg wäre wohl die einzige Option gewesen, wegen der Dorsch bei den Bayern hätte bleiben wollen. "Nächstes Jahr noch einmal Regionalliga - das bezweifle ich eher", sagte er. Einmal durfte er dann bei den Profis spielen, drei Spielklassen höher, Mitte April, unter Jupp Heynckes. Sandro Wagner legte ihm beim 4:1 gegen Eintracht Frankfurt sogar das 1:0 auf. Das war der Zeitpunkt, als er einer größeren Fangemeinde bekannt wurde, die damals ja schon die ganze Zeit fragte: Wann kommt denn der nächste Thomas Müller? Der nächste Schweinsteiger? Der nächste Philipp Lahm aus der eigenen Jugend? Aber Dorsch zog um, aus München nach Heidenheim.

Als Schmidt 2007 Trainer wurde, hatte Dorsch gerade die Grundschule verlassen

Dort hat er nun zwei Jahre später eine viel konkretere Chance, womöglich einen Aufstieg feiern zu können. Diesmal sogar endgültig in die erste Liga. Für viele sei die Relegation, die an diesem Donnerstag bei Werder Bremen startet, eine "Lebenschance", sagt Heidenheims Trainer Frank Schmidt, 46, der das Zweitliga-Überraschungsteam seit nun 13 Jahren immer besser macht. Als Schmidt 2007 Trainer wurde, hatte Dorsch gerade die Grundschule verlassen. Nun hat dieser Dorsch mit seiner Art, Ballbesitzfußball zu spielen, und so alle Probleme spielerisch lösen zu wollen, erheblich dazu beigetragen, den Verein aus dem Tabellenmittelfeld herauszuführen. Findet auch Schmidt. So einer hatte ihnen gefehlt. Dorsch wurde mit 20 sofort Stammspieler, mit 22 gilt er neben Heidenheims Lokalhelden Marc Schnatterer, 34, und Torjäger Tim Kleindienst, 24, als wichtigster Spieler im Team. Schnatterers Schusstechnik wird sogar von gestandenen Erstliga-Profis bewundert; der einstige Freiburger Kleindienst ist mit 14 Saisontoren Heidenheims bester Schütze.

Schon mit 14 Jahren wechselte der Lichtenfelser Dorsch ins Münchner Fußball-Internat. "Er war immer sehr stressresistent", erzählt Holger Seitz, heute stellvertretender Sportlicher Leiter am Campus des FC Bayern. Einst trainierte er das Talent als U17-Coach, vorher als U16-Nationaltrainer. Damals war Dorsch noch Außenstürmer. In den Analyse-Gesprächen unter den DFB-Trainern sei man dann zu dem Schluss gekommen, dass ihn die nahe Seitenlinie doch nur einschränke in seinen Fähigkeiten. "Er ist wegen seiner Handlungsschnelligkeit prädestiniert fürs Zentrum", sagt Seitz, und fügt in Richtung Heidenheim an: "Das war eine hervorragende Entscheidung, ihn zu holen."

Der längst also zentrale Mittelfeldspieler Dorsch hat während der Schmidt-Ära einen Strategiewechsel geprägt. Der bodenständige, heimatfixierte Trainer sagt, allein dank Dorsch habe man die Art ändern können, wie man Fußball spielt. Jetzt werden in Heidenheim seltener die langen Bälle geschlagen. Dorsch, im Grunde noch am Anfang seiner Karriere, sorgt für Stabilität auf dem Platz, ist stets anspielbar und zweikampfstark. Er kann seine energische Spielweise auch mit einem richtig giftigen Blick unterstreichen. Dabei sagt jeder, der ihn kennt, dass er ein netter Kerl sei.

Manche sagen über Dorsch auch, es sei offen, wo sein Limit liegt. Kürzlich sorgte er erstmals für Unruhe beim beschaulichen Klub auf der Ostalb. Dorsch war in Hamburg gesichtet worden. Er wurde deshalb mit dem HSV in Verbindung gebracht. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als der HSV und Heidenheim in der 2. Bundesliga direkt gegeneinander um den Relegationsplatz kämpften. Mit dem Nicht-Relegations-Teilnehmer wird er im Augenblick - wenig überraschend - nicht mehr in Verbindung gebracht. Aber wahrscheinlich war die Unruhe nur eine indirekte Ankündigung, was in Kürze kommen mag. Und so haben die Heidenheimer ihn in den Tagen vor dem Auftritt im Bremer Weserstadion medial ein wenig abgeschottet.

Ist er schon auf dem großen Sprung? Allem Anschein nach lässt sich Dorsch noch ein paar Wochen Zeit mit der Antwort auf die Frage, wie und wo es für ihn weitergeht, sein Vertrag läuft erst 2021 aus. Naheliegend ist doch eines: Gelingt dem Klub aus der Stadt mit den 50 000 Einwohnern auf der Ostalb der unerwartete Einstieg in den exklusiven Kreis der 18 deutschen Erstligisten - warum sollte Niklas Dorsch das Spiel dann nicht dort auf großer Bühne dirigieren?

© SZ vom 02.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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