Mein Deutschland:Wo Milch und Honig flossen

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Das alte Deutschland gibt es nicht mehr - auch nicht für diejenigen, die damals als Gastarbeiter kamen. Es braucht jetzt eine zuversichtliche und optimistische Politik.

Celal Özcan

Wenn man die Politiker so reden hört, ist Deutschland in höchster Not. Das Land stecke in einer tiefen Krise - Kurzarbeit, Entlassungen, Konkurse. Die Renten seien in Gefahr. Und es komme noch viel schlimmer ... Ein düsteres Bild, das bis in die Türkei getragen wird. Dort heißt es inzwischen, das alte Deutschland existiere nicht mehr. Wie aber war eigentlich dieses alte Deutschland?

In der Türkei hat sich das Bild von Deutschland geändert - aber auch im Land selbst. Hier feiern Deutsche und Türken in Berlin 2002 den 40. Jahrestag des Anwerbeabkommens, um auf die langjährige Präsenz der Türken in Deutschland aufmerksam zu machen. (Foto: Foto: ddp)

Für die ersten Gastarbeiter war Deutschland ein biblisches Land, ein Land, in dem Milch und Honig flossen. Sie merkten jedoch schnell, dass das Geld so einfach nicht zu verdienen war, dass das Leben auch seine schweren Seiten hatte. Einem Türken, der am Münchner Hauptbahnhof aus dem Zug stieg, fiel als Erstes auf, wie leer die Straßen waren. Ein verlassenes Land, dachte er - hat man uns deswegen geholt? Die Ankömmlinge waren neugierig. Aber auf Deutsche trafen sie erst am Arbeitsplatz, in den großen Fabrikhallen, an den Fließbändern. Und es wurde ihnen klar, warum draußen auf den Straßen keine Menschen waren: Alle arbeiteten.

Auch der Kaffee, den man als Begrüßungsgetränk bekam, war bitter, das Brot nicht weiß, sondern schwarz und säuerlich im Geschmack. Wassermelonen oder Auberginen? Unbekannt. Einige Türken kehrten bald wieder in die Heimat zurück, andere blieben und bauten sich hier eine Existenz auf. Aus Gastarbeitern wurden Migranten, aus ihren hier geborenen Kindern deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund.

Mit der Finanzkrise aber macht sich Angst breit: Deutschland ist nicht mehr das Land, das wir früher kannten, heißt es plötzlich mit einem Seufzer; das Brot liege jetzt im Maul des Löwen, wie die Türken sagen. Aber nicht nur die Migranten, auch die Deutschen sehnen sich nach den alten Zeiten zurück.

Deutschland hat sich rasant verändert, vieles hat sich zum Positiven gewandelt: Die Straßen sind belebter; Supermärkte bieten nicht nur Melonen und Auberginen an, sondern auch Mispeln, Granatäpfel und Datteln; der Kaffee schmeckt nicht mehr bitter, die Restaurants sind freundlicher, die Speisekarten trumpfen mit fremdländischer Küche auf; die Züge, wenn schon nicht immer pünktlich, fahren doch deutlich schneller als in der Türkei; die Deutschen sprechen mit den Fremden nicht mehr Ausländerdeutsch, und die Furcht vor einer durchmischten Gesellschaft scheint in den Hintergrund getreten zu sein; keine Kontrollen mehr an den Grenzen; die neuen Häuser haben größere Fenster und Balkone. Und das seit je beklagenswerte Wetter? Ist auch sonniger geworden. Nur die Angst vor der Zukunft wirft immer längere Schatten: Der Arbeitsplatz ist nicht mehr sicher, das Gesundheitssystem teuer und kompliziert.

Und die Politik? Einst mobilisierten Willy Brandt und Franz Josef Strauß die Menschen, und nicht nur zu Wahlzeiten. Heute begeistert Obama die Deutschen - sehr viel mehr als Kanzlerin Merkel und Außenminister Steinmeier. Einige Politiker möchten immer noch mit alten Themen punkten, wahltaktische Versprechungen werden gemacht. Doch das Land braucht vor allem: eine Politik des Optimismus und der Zuversicht.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 18.04.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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