Mein Deutschland:Vom Toilettensitz bis zum Pferdemist

Lesezeit: 2 min

Britische Politiker haben so einiges über Spesen abgerechnet. Wäre das auch in Deutschland möglich gewesen?

Kate Connolly

Jeden Morgen habe ich mit fast religiöser Inbrunst dem BBC-Programm "Today" im Internet gelauscht, einer Radiosendung, die alle Journalisten hören, um sich auf den Tag vorzubereiten. Ich war fasziniert von dieser Geschichte, die täglich Schlagzeilen gemacht und das jahrhundertealte britische parlamentarische System bis auf die Grundfeste erschüttert hat.

Der Spesenskandal um einige Abgeordnete des Unterhauses schockt die Briten. (Foto: Foto: dpa)

Der Spesenskandal, in den Unterhaus-Abgeordnete verwickelt sind, ist so unglaublich, dass man sich anstrengen müsste, um ihn zu erfinden. Toilettensitze, Pornovideos, Bodenheizung für den Tennisplatz, Schaukelstühle, Hygieneartikel, Pferdemist, um den Garten zu düngen - egal was, die Damen und Herren haben es sich bezahlen lassen.

"Very british: Pferdemist bringt Brown ins Straucheln" - das ist meine Lieblingsschlagzeile. Die Affäre schockiert die Briten, zumal in einer Zeit wirtschaftlicher Krise. Zum ersten Mal in Jahrzehnten hören sie, dass sie sich an das Wort Entbehrung werden gewöhnen müssen. Schockierend ist allerdings vor allem, dass die meisten Spesenabrechnungen gar nicht gegen die Regeln verstoßen. Im Grunde ist es ähnlich, wie wenn Mitglieder der Linkspartei sich beim Hummeressen erwischen lassen - nur viel, viel schlimmer.

Das Großbritannien, von dem ich naiv angenommen hatte, es sei in den Jahren meines Korrespondenten-Daseins weitgehend verschwunden - das Land der Butler, der Schlösser und der Lords mit Landsitzen - dieses Großbritannien ist lebendig. Ein Politiker ließ sich seinen Lüster und die Seidenbezüge fürs Sofa bezahlen, ein anderer das Wasser und den Unterhalt seines Burggrabens!

Nach all dem, was ich hier über den Umgang mit Politikern und ihre Bezahlung gelernt habe, bin ich der Überzeugung, dass die britischen Abgeordneten von ihren deutschen Kollegen lernen können, um aus diesem Schlamassel herauszufinden, der tatsächlich Gordon Brown zu Fall bringen könnte. Bundestagsabgeordnete erhalten eine Pauschale von 3868Euro, steuerfrei, um ihre Nebenkosten, inklusive das Büro im Wahlkreis, zu bezahlen. Sie haben Anrecht auf ein Arbeitszimmer im Bundestag und können innerhalb Berlins Dienstwagen sowie die Bundesbahn quer durch die Republik benutzen. Wie klar und zivilisiert.

Die britischen Abgeordneten dagegen erhalten: 100205 Pfund jährlich, um Personal einzustellen, 22000 Pfund für weitere Ausgaben plus bis zu 24006Pfund für "außergewöhnliche" Ausgaben, außerdem eine Pauschale für Reisen, eine Pauschale für Computer- und Telefonkosten. All das ist sehr kompliziert und undurchsichtig und ein schrecklicher bürokratischer Albtraum.

Normalerweise bewundern wir die Deutschen für ihren Sinn für Details, doch in diesem Fall hat der Bundestag die besseren Regeln. In seinen Richtlinien steht, dass eine Pauschale die fairste und billigste Lösung ist und dass ein System der Spesenabrechnung die Verwaltungskosten in die Höhe treiben würde. Was haargenau das britische Problem beschreibt. Ganz abgesehen davon haben auch viele deutsche Politiker und Manager erkannt, dass das Zurschaustellen von Reichtum durchaus selbstmörderisch sein kann. Warum sonst hätten Marketingchefs die glänzende Rolex eines Ex-Siemenschefs wegretuschieren lassen?

Einige Köpfe sind bereits gerollt. Das Dilemma des britischen Unterhauses bleibt, dass Pferdemist sich nicht mit Retusche aus einem Bild beseitigen lässt. Man kann allenfalls, wie Brown bereits gelernt hat, hineintreten.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Kate Connolly berichtet für den britischen Guardian aus Berlin.

© SZ vom 23.05.2009/dab - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: