Mein Deutschland:Farbloses Werben

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Der deutsche Wahlkampf verläuft behäbig, das Land scheint in Lethargie zu versinken. Was fehlt, sind Impulse junger Menschen.

Celal Özcan

Kein Streit, keine Beschimpfungen, keine Polemik. Deutschlands Wahlkampf hat etwas Paradiesisches. Aber auch etwas Farbloses, Trockenes. In der Türkei dagegen scheint es immer um die letzte Schlacht zu gehen. An die Adresse der Opposition richtete Premierminister Erdogan auf einer Kundgebung bei den vergangenen Wahlen den Vorwurf: "Aus einem Vogelkopf wird kein Schmortopf und aus dieser Opposition keine Regierung."

Der deutsche Wahlkampf verläuft schleppend. In der Türkei hingegen sieht das Werben der Parteien um Wähler ganz anders aus. (Foto: Foto: dpa)

Und der sozialdemokratische Oppositionsführer Baykal konterte: "Aus dir ist zwar ein Ministerpräsident geworden, aber noch lange kein Mensch." Einmal trat der sozialdemokratische Parteiführer Erdal Inönü mit einer Zitrone aufs Podium, presste den Saft heraus und rief: "Wollt ihr unter dieser Regierung ausgepresst werden?"

Lethargie im Land der Ideen

Hier ist der Wahlkampf behäbig, er findet in Bierzelten bei Bier und Würstchen oder in Seniorenheimen bei Kaffee und Kuchen statt. Von einer heißen Wahlkampfphase ist - trotz Wirtschaftskrise - nichts zu spüren. Umfragen scheinen Ergebnisse vorwegzunehmen.

Aber wer schaut sich denn noch ein Fußballspiel an, dessen Ergebnis er schon kennt? Das Bild der Ruhe haben die Landtagswahlen nur ein klein wenig flimmern lassen. Ein "Land der Ideen", das in Lethargie versinkt? Es scheint an dynamischen, jungen Menschen zu fehlen, die Zukunft gestalten.

Das ist bei Wahlveranstaltungen erschreckend deutlich zu sehen. Von den gut 62 Millionen Wahlberechtigten sind ein Drittel über 60 und immerhin 11,4 Millionen über 70. Vielleicht mobilisiert man deshalb vor allem die Senioren? Als die CSU ein "Treffen der Generationen" im Münchener Stadtteil Hasenbergl organisierte, waren in den Saalfluren ungezählte Rollatoren und Gehstöcke zu sehen; einige Zuhörer ließen sich mit dem Taxi vor den Türen absetzen, um anschließend mit fremder Hilfe in den Saal zu gelangen. Als Ministerpräsident Seehofer das Collegium Augustinum betrat, skandierte eine Dame im Rollstuhl: "Solche Männer braucht das Land."

Deutschland blockiert sich selbst

Festredner Seehofer, auch immerhin 60, verkündete: "Es gibt nicht zu viele Alte in Deutschland, sondern zu wenig Junge". Tosender Beifall. Was Seehofer freilich nicht beantwortete war die Frage: Woher sollen die jungen Menschen kommen? Aus der eigenen Bevölkerung oder aus dem Ausland? Im letzten Jahr wurden in Deutschland erneut weniger Kinder geboren als im Jahr zuvor. Und ohne die Migranten wären es noch weniger.

Deutschland blockiert sich selbst mit seiner Angst vor Migranten. Doch es muss diese Angst loswerden. Aufgabe der Politik sollte es doch eigentlich sein, die Wähler zu ermutigen, Neues zu wagen, statt sie nur in ihren alten Ansichten zu bestätigen. Dann wäre auch der Wahlkampf ein bisschen dynamischer.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Celal Özcan arbeitet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 05.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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