Mein Deutschland:Ein Blick von Außen

Lesezeit: 2 min

Der langweilige Wahlkampf passt zu den langweiligen Deutschen. Den Franzosen gefällt diese Farblosigkeit.

Pascale Hugues

Es war ungefähr Mitte August. Ich bin gerade dabei, eine saftig grüne, einsam gelegene Almwiese zu überqueren, hoch oben in den Bergen, die Frankreich von der Schweiz trennen. Blauer Himmel, soweit das Auge reicht. Ich genieße die Einsamkeit der Berge.

Die französische Journalistin Pascale Hugues schreibt für "Le Point". (Foto: Foto: Nelly Rau-Häring)

Da werde ich jäh von der harten Realität aus weit entfernten Gefilden, jenseits der Rheins, eingeholt - ich habe vergessen, mein Mobiltelefon auszuschalten. Am anderen Ende der Leitung, ein deutscher Radiosender auf Themensuche, es geht um den Wahlkampf, in dem so gar nichts passieren will. Man ist verzweifelt auf der Suche nach einem "Blick von Außen".

Der "Blick von Außen" ist eine deutsche Spezialität, eines dieser letzten Überbleibsel aus einer Zeit, in der Deutschland noch unsicher und auf ein Urteil von Außen angewiesen war. Als hätten sich Franzosen oder Engländer je darum geschert, welchen Eindruck sie bei ihren nächsten Nachbarn hinterlassen! In diesem Fall erwarten die Redakteure vom Radio einen "Blick von Außen" mit einer erlösenden Botschaft??

Offenbar soll ich das Land davor bewahren, in Langeweile zu versinken. Nun ist es an mir, dem faden Wahlkampfbrei etwas mehr Würze zu geben - mit einer Prise Salz, ein paar exotischen Gewürzen und einem Hauch französischem Esprit.

Ich muss zugeben, dass ich zu diesem Zeitpunkt drei herrliche Wochen hinter mir hatte, ohne auch nur einen Blick in eine deutsche Zeitung zu werfen. Es gibt keine deutschen Zeitungen in den Bergdörfern der Savoyen, wo ich meine Ferien verbracht habe - nicht einmal die Bild-Zeitung. Was für ein Segen! So verlebte ich den Sommer, ohne ein schlechtes Gewissen, voller Lebensfreude und Begeisterung in Gesellschaft einiger guter Bücher.

Ich muss zugeben: eine Begleitung, die mir weitaus inspirierender erschien, als die der politischen Akteure im deutschen Wahlkampf. Dann holt mich auf meinem schmalen steilen Pfad zwischen Himmel und Erde diese absurde Frage ein:"Warum ist der deutsche Wahlkampf so langweilig?"

Was für eine Antwort wird da von mir erwartet, frage ich mich, während ich mich durch eine Herde Schafe schlängle. Ich könnte dem masochistisch veranlagten Volk diese durchaus passende Antwort entgegenschleudern: Weil dieser Wahlkampf den Charakter der Deutschen wiederspiegelt. Langweiliges Volk, langweiliger Wahlkampf.

Diese Erklärung hätte bei meinen Auftraggebern Begeisterung ausgelöst, da bin ich mir sicher. Damit wäre die Aufgabe, die man mir zugedacht hatte, perfekt gelöst. Nein, darauf werde ich mich nicht einlassen.

Am Gipfel angekommen, durchforste ich im Geist die Titelgeschichten der französischen Presse aus den vergangenen Wochen. Nicht ein einziges Foto von Angela Merkel. Der durchschnittliche Franzose weiß auch nicht, wie Frank Walter Steinmeier aussieht. Nur K. T. zu Gutenberg taucht gelegentlich in französischen Magazinen auf, er in Lederhose neben seiner hübschen Frau im Dirndl.

Trotz seiner medienwirksamen Aufritte kann der Liebling der Deutschen aber anderen ausländischen Politikern nicht das Wasser reichen. Was kann er schon aufbieten gegen die sexuellen Eskapaden eines Silvio Berlusconi? Wie könnte er die schöne Carla Bruni übertreffen, die im weißen Bikini ein Bad im türkisblauen Mittelmeer nimmt, an der Seite unseres Präsidenten in zitronengelber Boxershort?

Die Dienstwagen-Affäre von Ulla Schmitt oder die Versöhnung von Horst Seehofer mit seiner Frau verblassen daneben bis zur Unkenntlichkeit. Selbst die Fotos aus Bayreuth, wo sich die crème de la crème der deutschen Politik in allzu dekolletierten Abendkleidern und allzu steifen Krägen trifft, wirken eher lächerlich als glamourös.

Das Erstaunliche ist wohl aber, dass man gerade in Frankreich diese Farblosigkeit der deutschen Politikerklasse bewundert, besonders die Seriosität von Angela Merkel. Wir finden euren Wahlkampf deshalb überhaupt nicht langweilig! Und glauben Sie mir, wenn sie einige Monaten mit den Rolex-Uhren und Rayban-Brillen von Nicolas Sarkozy zugebracht hätten, würden Sie mir nie wieder eine solche Frage stellen!

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 29.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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