Mein Deutschland:Die Würze der Kürze

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Hardliner oder Wischiwaschi-Typen: Was braucht die Politik in Zeiten der Krise? Der Trend geht zum pragmatischen Durchschnittstypen.

Markus Sutter

Als Schweizer mit einer für Deutsche urkomischen, deutschähnlichen Sprache muss man wieder einmal neidvoll anerkennen: Die Bewohner unseres nördlichen Nachbarlandes sind sogar noch besser im freien Sprechen als viele Schweizer beim Vorlesen eines Manuskripts.

Frank-Walter Steinmeier oder Barack Obama: Wie sieht der Politiker der Zukunft aus? (Foto: Foto: dpa)

Aber Sprache ist eben nicht alles. Wer seine Worte nur mit einer künstlichen Leidenschaft ins Mikrophon posaunt, mag kaum Emotionen zu wecken. In dieser Hinsicht hat SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier noch durchaus Verbesserungspotenzial. Das Fußballspiel unmittelbar neben dem Tempodrom, in dem Steinmeier am vergangenen Sonntag sein "Regierungsprogramm" verkündete, war jedenfalls bedeutend aufregender als die Rede des Kanzlerkandidaten. Steinmeier sollte sich vielleicht einmal ein wenig am amerikanischen Präsidenten orientieren. Der spricht nicht in komplizierten Schachtelsätzen. Vielmehr beschränkt sich Barack Obama auf kurze und prägnante Aussagen. Yes we can.

Menschen wie Steinmeier, die zur politischen Mitte zählen und im Grunde genommen alles andere als politische Scharfmacher sind, haben heutzutage einen besonders schweren Stand. Für sie liegt die Würze nicht in der Kürze. Sie wollen von ihrem Naturell her eigentlich differenziert argumentieren. Aber sie wissen oder ahnen: Nach fünf aktionslosen Sekunden zappt der ungeduldige Fernsehzuschauer bereits zum nächsten Sender. Also mimt man, vor allem in Wahlzeiten, den Hardliner.

Das ist in der Schweiz nicht anders. Auch hier finden differenzierende Politiker im matchentscheidenden TV kaum Gehör. Populär sind Hardliner mit einer klaren Linie, nicht aber farb- und richtungslosen Wischiwaschi-Typen. Der ehemalige Schweizer Bundesrat Christoph Blocher zählte als eine der wenigen im Lande zu dieser politischen Haudegen-Kategorie. Allerdings hat er nur eine Amtsperiode überlebt. Dann wurde es der Wahlbehörde - dem Parlament - bereits zu bunt.

Und das ist die Crux der Geschichte: Wer sich links oder rechts politisch zu stark aus dem Fenster hinauslehnt, genießt zwar einen hohen Unterhaltungswert, tut sich aber auf höchster verantwortlicher Regierungsebene äußerst schwer.

Gefragt sind auf dieser Stufe sowohl in Deutschland wie auch in der Schweiz vielmehr pragmatisch auftretende Durchschnittstypen. Solche, die in erster Linie den Ausgleich und nicht die Konfrontation suchen. Also eigentlich genau so ein Typ wie der seriöse, unaufgeregte und bodenständige Steinmeier. Doch auch die amtierende Kanzlerin Angela Merkel bringt vergleichbare Charakterzüge mit. Sie sitzt aber bereits auf dem Stuhl, den Steinmeier besetzen möchte. Und sie dürfte dort auch nach den Wahlen noch sitzen bleiben, wie aus den neuesten Umfragen dieser Woche unzweideutig hervorgeht.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Markus Sutter berichtet aus Berlin für die Basler Zeitung.

© SZ vom 25.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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