Mein Deutschland:Die Entwicklung ernst nehmen

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Es häufen sich Hinweise, dass der Antisemitismus innerhalb muslimisch sozialisierter Milieus in Deutschland wächst. Dieser ist jedoch nicht religiös motiviert.

Celal Özcan

"Und der Hass, den ihr gegen gewisse Leute hegt, soll euch nicht dazu verleiten, anders als gerecht zu handeln." So steht es im Koran. Doch in letzter Zeit häufen sich die Berichte und Studien, beispielsweise aus der Amadeu Antonio-Stiftung, dass der Antisemitismus innerhalb der muslimisch sozialisierten Milieus in Deutschland wächst.

Muslimische Frauen verfolgen die 2. Islamkonferenz in Berlin. (Foto: Foto: dpa)

Erschreckend genug, dass gerade die Einwanderergruppe, die über Ausgrenzung und Inakzeptanz der Mehrheitsgesellschaft, ja über Islamophobie klagt, ihrerseits zu Judeophobie neigt. Waren nicht gerade die Muslime in Europa insbesondere nach dem 11. September Verdächtigungen und Verleumdungen ausgesetzt? Haben sie sich nicht darüber beklagt? Jetzt neigen sie selbst dazu, andere zu verleumden und zu verdächtigen. Und machen ausgerechnet mit jenen gemeinsame Sache, die "Ausländer raus"-Parolen schreien.

"Du Jude" benutzen muslimische Jugendliche als Schimpfwort, heißt es in der Studie. Ausgerechnet diejenigen, die sich an vergleichsweise harmlosen Beschimpfungen wie "Knoblauchfresser", "Kanake" oder "Kameltreiber" stören. Und all das geschieht im Land des Holocaust, wo der Antisemitismus zum grausamsten Kapitel der Menschheitsgeschichte des 20. Jahrhunderts führte.

Es ist legitim, die Politik Israels zu kritisieren. Es ist auch legitim, wenn die Muslime sich durch den israelisch-palästinensischen Konflikt betroffen fühlen. Aber das Existenzrecht Israels muss die Grenze der Kritik sein. Wer Israels Existenzrecht bestreitet, kann nicht das Existenzrecht der Palästinenser verteidigen. Wer "Tod für Israel" ruft, darf nicht "Es lebe Palästina" schreien. Wer Menschen verachtet, kann nicht für sich einfordern, selbst geachtet zu werden. Wer Gleichbehandlung will, muss die Gleichbehandlung praktizieren.

Gerade für die Muslime in Deutschland müsste es ein Anliegen sein, gegen jegliche Art von Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen. Sie sollten die Ratschläge des in der islamischen Welt wie im Westen geachteten islamischen Philosophen Rumi beherzigen: "Sei großzügig und hilfreich wie das Wasser. Sei mitleidig und barmherzig wie die Sonne. Sei tolerant wie das Meer."

Die erwähnte Studie unterscheidet nicht nach muslimischen Nationalitäten. Man kann aber davon ausgehen, dass der Antisemitismus insbesondere unter arabischen Jugendlichen verbreitet ist. Der Gaza-Konflikt hat ihn zusätzlich geschürt. Doch dieser Antisemitismus ist nicht religiös motiviert. Das betont auch die Stiftung: Man dürfe "nicht in pauschaler Weise von einem religiösen, also muslimischen Antisemitismus sprechen".

Die islamischen Vereine in Deutschland verweisen darauf, dass die bekannt gewordenen Fälle von Übergriffen gegen Juden mit der aktuellen politischen und militärischen Konfrontation im Nahen Osten zu tun haben. Gleichwohl müssen sie diese Entwicklung sehr ernst nehmen und in ihren Predigten gegensteuern. Aber auch die jüdischen Gemeinden sollten mit den Moscheen Kontakte knüpfen. Doch es gilt zu unterscheiden. Denn nicht jede Kritik an der Politik Israels ist Antisemitismus.

Vier Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Celal Özcan berichtet für die türkische Zeitung Hürriyet.

© SZ vom 28.02.2009/brei - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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