Mein Deutschland:Cabrios, Coupés und Kombis

Lesezeit: 2 min

Finanzkrise und Bildungsdebatte sind vergessen: Das neue Lieblingsthema der Deutschen ist die Abwrackprämie.

Pascale Hugues

In meiner Berliner Straße knospen die Bäume und hübsche Farben blühen entlang der Bürgersteige. Eine Kolonie neuer Autos hat sich unter meinem Fenster ausgebreitet. Dank Abwrackprämie ist der alte, rostige Opel, der stets vor meiner Haustür parkte, verschwunden. Stattdessen ein knallroter Golf, glänzend und soeben vom Band in Wolfsburg gerollt. Verschwunden sind die alten Karosserien voller Dellen und die Motoren am Rande des Schlaganfalls. Die alten Kisten sind alle auf den Schrottplatz gewandert, meine Straße strahlt und der Fahrzeugpark der Deutschen nimmt gerade ein kollektives Verjüngungsbad.

Die Abwrackprämie beschert dem Fuhrpark der Deutschen ein kollektives Verjüngungsbad. (Foto: Foto: dpa)

Im Übrigen haben sich auch die Unterhaltungen in den vergangenen Wochen verändert. Man hört nicht mehr die ewigen Tiraden über die Schulkatastrophe, über den Kurssturz an den Börsen, über die Schattenseiten der Globalisierung. Es reicht, den Wortwechseln in Büros und Kneipen ein wenig zu lauschen, um festzustellen, dass die Abwrackprämie in aller Munde ist, das Lieblingsthema der Deutschen.

Endlich ein erfreulicher Gesprächsstoff, einer der wenigen erfreulichen in diesen dunklen Zeiten der Krise. Man muss ja auch nur den Taschenrechner zu zücken um in den Siebten Himmel der Schnäppchen katapultiert zu werden: 2500 Euro Abwrackprämie plus 2500 Euro Umweltprämie plus Spezialarbeit des Autohändlers plus ein großzügiger Finanzierungsplan...Ein wahres Weihnachtsgeschenk mitten im Jahr. Die Deutschen, die ihr Auto lieben, trauen ihren Augen nicht. Der französische Staat ist weit weniger großzügig gegenüber seinen von der Krise geschüttelten Bürgern. Der große Konjunkturplan von Nicolas Sarkozy gewährt nur 1000 Euro für jedes verschrottete Auto.

Die Deutschen lieben ihr Auto

Aus den Deutschen werden Autoexperten. Viele von ihnen kaufen zum ersten Mal ein neues Fahrzeug. Die Kataloge der Autobauer stapeln sich als Bettlektüre auf den Nachttischen der deutschen Paare. Man verbringt die Nacht mit Vergleichen von Cabrios, Coupés und Kombis. Ein Volk von Mechanikern wächst heran: Diesel oder Benzin? Wie viele PS und wie viele Zylinder? Dieses große Geschenk lässt viele die Krise und Zukunftsängste vergessen.

Jetzt haben Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier verkündet, die Abwrackprämie zu verlängern. Und sie kümmern sich nicht um die Zweifel des politischen Gegners: Wären nicht Steuersenkungen sinnvoller, um den Konsum anzukurbeln? Wird die Prämie nicht den Verkauf kleiner Autos steigern, die oft französische oder japanische Fabrikate sind? Und was wird aus den Konstrukteuren, die sich heute die Hände reiben, wenn einmal jeder ein neues Auto besitzt und die Auftragsbücher leer bleiben? Doch in dieser Goldgräberstimmung mag niemand die pessimistischen Kassandrarufe hören. Die Deutschen, mehr als alle anderen Europäer, lieben ihr Auto, Objekt des Prestige und besonderer Zuneigung. Und Liebe macht bekanntlich blind.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point. i>

© SZ vom 11.04.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: