Mein Deutschland:Außer Reichweite

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Auf dem Planeten der Stars sind alle schön, stark, gesund, immer gut drauf, reich und leistungsfähig. Dieser Mythos wurde nun entzaubert.

Pascale Hugues

Man hat in diesen Tagen beim Abendessen viel von der dunklen Seite des Lebens gesprochen. Der Selbstmord von Robert Enke hat in den Familien eine regelrechte Diskussion losgetreten. Deutschlands kleine Jungen haben Fragen gestellt. Ihre Väter haben versucht, sie zu beantworten. Das war nicht einfach, aber mit Sicherheit notwendig.

Fotografen am Roten Teppich: Stars sind immer schön und leistungsfähig. (Foto: Foto: dpa)

Man hat von Depressionen geredet, von der Einsamkeit, der Versagensangst, der Scham, psychisch krank zu sein, von der Ungewissheit des Lebens, von seiner Vergänglichkeit. Man hat von Geld geredet und von Ruhm, von Autos mit vielen Zylindern und schönen Frauen, von Muskeln und der ewigen Jugend... Von all diesen schönen Dingen, die aber letztlich das Glück nicht ausmachen.

Näher dran am richtigen Leben

Man hat sich getraut, von ernsten und traurigen Dingen zu reden. Für ein Mal hat man die Mythen entzaubert, die von Bravo-Sport und Gala konstruiert werden und hat wahre Personen gezeichnet, die aus Fleisch und Knochen bestehen und die näher dran sind am richtigen Leben.

Es reicht, in ein Kinderzimmer zu treten und die Poster mit den Vorbildern zu sehen, die an die Wände gepinnt sind, um zu verstehen, dass die Angst zu versagen unsere Kinder jede Sekunde bedroht. Die Ikonen meiner französischen Generation waren Che Guevara und Georges Brassens. Sie träumten davon, die Welt zu verändern, waren aber nicht unfehlbar. Man konnte sich leicht mit ihnen identifizieren. Aber die Heranwachsenden von heute? Ihre Vorbilder sind Supermenschen, außer Reichweite.

Zerrissene Menschen

Menschen, die auf diesem Planeten der Stars leben, wo alle schön sind, stark, gesund, immer gut drauf, reich und leistungsfähig...immer und immer leistungsfähiger. Sie führen ein glattes Leben, das sie wie eine Autobahn zum Erfolg führt, ohne Pannen und ohne Schlaglöcher. Der Tod von Robert Enke, von Michael Jackson, von Adolf Merckle, von Romy Schneider - er zeigt, dass sich hinter einem Halbgott im Tor, einem angebeteten Moonwalker, einem superreichen Wirtschaftsmatador oder einer Diva, die zu den schönsten Frauen der Welt zählte, verlorene Existenzen verbergen, zerrissene Menschen, die von Angst und Zweifel aufgefressen sind.

"Noch nie hat man den Manager der deutschen Fußballmannschaft weinen sehen!", wunderte sich ein Journalist, als Oliver Bierhoff, völlig aufgelöst, schluchzte, ohne sich zurückzuhalten, ohne sich zu verstecken. Wie weggewischt war die glatte Fassade.

Schwäche zu zeigen ist in der Männerwelt ein Tabu. Man sieht selten Männer, die in aller Öffentlichkeit weinen. "Alle Männer", hat Jacques Brel in einem sehr schönen Gespräch gesagt, "alle Männer haben schon einmal in ihrem Leben einsam in ihrem Bett geweint". Alle Männer - selbst diese unbesiegbaren Helden, die von den Wänden der Zimmer unserer Kinder lächeln.

Vier Berliner Auslandskorrespondenten schreiben an dieser Stelle jeden Samstag über Deutschland. Pascale Hugues arbeitet für das französische Nachrichtenmagazin Le Point.

© SZ vom 21.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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