24. März 2009:Schuld und Sühne

Lesezeit: 2 min

SZ-Leser schreiben zum Amoklauf von Winnenden: Über die Frage, ob Eltern für ihre Kinder haften und eine Verantwortung fahrlässiger Straftäter existiert.

Pharisäerhaft und selbstgerecht

Wer trägt die Schuld am Amoklauf? SZ-Leser diskutieren. (Foto: Foto: dpa)

"Die Frage, was Schuld bedeutet und beinhaltet ( "Die Schuld derer, die nicht schuld sein wollen", 17. März), ist nicht so eindeutig, wie Heribert Prantl glauben machen will. Die Theologie, Psychologie oder Verhaltensforschung sehen Schuld höchst unterschiedlich. Die Jurisprudenz, auf die sich Herr Prantl letztlich bezieht, tut sich besonders schwer mit dem Schuldbegriff.

Große Strafrechtler wie Jürgen Baumann oder Günther Stratenwerth sind sich ebenso wie der Philosoph Walter Schulz zwar der Unentbehrlichkeit des Schuldbegriffs im Strafrecht bewusst, erkennen aber seine Fragwürdigkeit und seine unlösbare Problematik durchaus an. Herr Prantl dagegen nimmt für sich in Anspruch, den Begriff der Schuld endgültig geklärt zu haben und rückt mit seinen Formulierungen das fahrlässige Ereignis auch noch näher an die Vorsatztat heran. (Beispiel: "Diese Schuld (des fahrlässigen Täters) mag, verglichen mit der Schuld, die der Vorsatztäter auf sich lädt, geringer sein ..." - sie ist definitiv geringer).

Das nenne ich unfair, pharisäerhaft und selbstgerecht. Für ein praktikables Zusammenleben muss echte Schuld den Vorsatz oder zumindest die grobe Fahrlässigkeit voraussetzen. Ansonsten sollten wir mit so einer apodiktischen Schuldzuweisung, wie sie hier unterstellt wird, vorsichtig sein."

Dr. Wolfgang Bracker München

Aus Respekt gegenüber den Opfern

Es kann nicht darum gehen, die Eltern des Täters von Winnenden an den Pranger zu stellen (" Straftat ohne Strafe", 18. März). Auch geht es nicht primär darum, eine Strafe über sie zu verhängen, zumal in einem solchen Fall keine Gerechtigkeit mehr zu erlangen ist. Auch damit muss die Gesellschaft leben.

Diese Eltern haben mein tiefes Mitgefühl. Gewiss haben sie nicht aus Bösartigkeit oder Mutwille als Eltern versagt. Entsetzlich und schuldhaft haben sie jedoch versagt, denn hier ist ein immenser, nicht wieder- gutzumachender Schaden und Verlust nun wahrlich entstanden und dies nicht als Folge eines typisch jugendlichen Unfalls, sondern als Folge einer mehr als schiefen Entwicklung des Jugendlichen und eines bewussten, oder fahrlässigen, aber systematischen Wegsehens seitens der Eltern.

Schon aus Respekt gegenüber den Toten und aus Achtung gegenüber dem Leid der Lebenden sollte der Vater von Tim Kretschmer angeklagt werden. Mindestens genauso wichtig erscheint mir dabei auch die Signalwirkung an alle Eltern: Es reicht nicht aus, als Eltern von schwierigen, pubertierenden Jugendlichen zu meinen, "wir kommen an ihn nicht heran" oder "da können wir nichts machen", denn in der Tat: Wir tragen die letztliche Verantwortung für unsere Kinder, auch wenn sie schwierig sind.

Kommen wir nicht alleine zurecht, sind wir verpflichtet, auch der Gesellschaft gegenüber, Hilfe zu holen und auf sachkundigen, professionellen Rat zu hören - egal, ob wir von vornherein annehmen, dieser ist kompetent oder nicht. Denn tun wir dies nicht, kann die Gesellschaft im Ernstfall und nicht nur bei Spielplatzrangeleien sagen: "Eltern haften für ihre Kinder." Dr. Gurli Jacobsen Nottuln

Leichtfertiger Umgang mit Waffen

"Sie fragen im Fall des Amokschützen von Winnenden, ob nicht, im Vergleich zu jenen anderen, die nicht das Glück hatten, sich durch eine Straftat selbst Schaden zuzufügen, ein Stück Ungerechtigkeit zurückbleibt, wenn ein Richter keine Strafe verhängt, weil der Täter bereits durch die Folgen der Tat genug gestraft ist.

Im Fall des Amoklaufes entstünde die Ungerechtigkeit nicht durch einen Vergleich mit anderen Straftätern. Vielmehr entstünde sie durch den Vergleich zwischen dem Verhalten von Tim Kretschmers Vater mit dem Verhalten der anderen Hinterbliebenen des Amoklaufes. Auch deren Leben wurde auf schrecklichste Art und Weise erschüttert, auch sie haben Angehörige verloren. Sie haben aber, in Gegensatz zu Herrn Kretschmer, nicht gegen das Waffengesetz verstoßen und mehrere tausend Stück Munition, sowie eine frei zugängliche Pistole zu Hause gelagert.

Seine "Sorglosigkeit" hat die Tat vermutlich erst möglich gemacht. Das Leid der Betroffenen kann man nicht gegeneinander abwägen, das Verhalten vor der Tat schon. Eine Straffreiheit für den Vater des Amokläufers würde kein Zeichen für einen verantwortungsbewussteren Umgang mit Waffen setzen."

Johanna Gregor Marktheidenfeld

© SZ vom 24.03.2009/sus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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