USA:Keine Spur von Johnny Cash

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Nashville, Memphis, Hendersonville - in der Heimat des Countrysängers in den Südstaaten der USA bewahren nur Freunde sein Andenken.

Tom Noga

Memorial Gardens in Hendersonville, Tennessee, ist ein Friedhof, wie man ihn tausendfach in den USA findet. Eine Wiese, die sich über einen Hügel zieht, die Gräber in Reih und Glied, schachbrettartig angeordnet und schmucklos. Weit und breit findet sich kein Hinweis auf Johnny Cash und seine Frau June Carter, die hier ihre letzte Ruhe gefunden haben.

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Es gibt sie noch in den USA: Ranger und Cowboys, die große Viehherden durchs weite Land treiben. Auch Touristen können mit von der Partie sein - natürlich nur, wenn sie auch mit anpacken.

Doch Courtney Wilson kennt den Weg zu ihrem Grab. Etwas wacklig geht der hagere Mittachtziger voraus. Wilson ist Pfarrer und ein Freund der Familie, er hat die Kinder der Cashs getraut und June und Johnny beerdigt. Zwei Tage vor Johnny Cashs Tod hat er den Sänger noch im Krankenhaus besucht: "Wir beteten und gaben uns die Hand, wir wussten beide, dass es das letzte Mal war."

Die Gruft des Musikerpaars ist nüchtern und schlicht. Auf der Grabplatte stehen die Worte "I walk the line". So heißt Johnny Cashs erster Nummer-eins-Hit 1956, "Walk the Line" heißt auch der biographische Spielfilm aus dem Jahr 2005, der Cashs Leben auf eine dieser Boy-meets-Girl-Geschichten reduziert, die Hollywood so liebt, mit ein paar Drogen, viel Musik und ganz viel Verklärung. "I walk the line".

Treu blieb er June Carter, der Liebe seines Lebens und seinem Glauben, den Cash wie kaum ein anderer Sänger immer wieder thematisierte.

Courtney Wilson deutet auf den Turm seiner Kirche, der First Baptist Church, weit hinten am Horizont. Jeden Sonntag erschien June Carter dort zum Gottesdienst, wenn sie nicht gerade mit ihrem Mann auf Tournee war. Auch Johnny Cash hat die First Baptist Church eine Zeitlang besucht. Aber weil ihm Fans vor der Kirche auflauerten, betete er meist für sich allein, in seinem Haus in den Wäldern am Old Hickory Lake. Heute existiert das Haus nicht mehr. Auch sonst erinnert wenig in Hendersonville an den berühmtesten Einwohner der kleinen Stadt.

Die Straße vor dem Friedhof wurde laut Stadtplan in Johnny Cash Parkway umbenannt, auf den Straßenschildern aber heißt sie immer noch Main Street. "Wie er wirklich war?" Courtney Wilson zuckt mit den Achseln.

Eine halbe Autostunde südlich liegt Nashville. Die Stadt am Cumberland River ist die Country-Metropole, "Music City USA", wie es in einer Eigenwerbung heißt. 90 Plattenfirmen und mehr als 300 Musikverlage sind hier ansässig, 5500 Musiker registriert.

Die Country Music Association hat hier ihren Hauptsitz, und natürlich werden die Country Music Awards, nach dem Grammy die zweitwichtigste musikalische Auszeichnung der USA, in Nashville verliehen. Im Ausgehviertel um den Broadway reiht sich Kneipe an Kneipe, in jeder spielen Bands - fast jede hat einen Song von Johnny Cash im Repertoire.

Das offizielle Nashville dagegen verhält sich spröde gegenüber dem Mann, der Country in aller Welt populär gemacht und mehr Platten verkauft hat als jeder andere in diesem Genre, jedenfalls bevor Leute wie Garth Brooks und Shania Twain der Musik des ländlichen Südens ein Pop-Publikum erschlossen haben.

In der Country Music Hall of Fame, einem gigantischen Museum, gibt es natürlich auch zu Johnny Cash einen Schaukasten, aber es ist einer von vielen: Drei Sätze zu seinem Leben, "I Walk the Line" aus der Musikbox - das war's. Und im Museum der Grand Ole Opry wird er gar nicht erst erwähnt.

Die Opry ist Amerikas langlebigste Radio-Show. 1925 als Tanzvergnügen in einem Heuschuppen gegründet, wird die Show heute aus dem Opryland übertragen, einem gigantischen Unterhaltungskomplex auf der grünen Wiese. Opryland besteht aus einem Hotel mit 3000 Betten, Vergnügungspark, Einkaufszentrum und einer Konzerthalle für 4400 Besucher. Am Samstagabend schieben sich Menschenmassen über den Parkplatz.

Die Männer in Bluejeans, mit Stetsons auf den Köpfen, die Frauen in knöchellangen, wehenden Röcken zu den obligatorischen Cowboystiefeln. Vor der Opry werden sie von Schauspielern begrüßt, die Country-Altstars darstellen. Ein schwarzhaariger Mann im roten Westernanzug öffnet sein Jackett. Auf der Innenseite steht "Hi" - das soll also Porter Wagoner sein, eine Art amerikanischer Heino. Aber ist er nicht blond?

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"Eigentlich schon", antwortet der Darsteller verlegen, "deshalb werde ich auch oft für Johnny Cash gehalten."

(Foto: Grafik: Melissa Wolf)

Erstaunlich genug diese Verwechslung, schließlich trat Johnny Cash immer in Schwarz auf, um sich von den Wagoners dieser Welt in ihren papageienbunten Bühnenanzügen abzusetzen. Und zur Opry hatte er immer ein gespaltenes Verhältnis. 1965 trat er während seines Auftritts die Bodenscheinwerfer aus und wurde auf Lebenszeit verbannt.

1967 machte die Opry einen Rückzieher, Johnny Cash war zu groß geworden, um ihn zu ignorieren. Heute fällt es schwer, sich Johnny Cash in der Opry vorzustellen, angesichts der kunterbunten Programmmixtur.

In Richtung Memphis, wo Johnny Cashs Karriere begann, ändert sich die Topographie. Keine Wälder und Hügel mehr, stattdessen abgeerntete Baumwollfelder. Im Radio läuft Cashs "Folsom Prison Blues" mit der legendären Textzeile "I shot a man in Reno, just to watch him die". In den 1960ern ist Cash in Folsom aufgetreten, später auch in St.Quentin, einem der härtesten Gefängnisse der USA. Und Marshall Grant war dabei.

Marshall Grant war immer dabei, von den frühen fünfziger Jahren bis 1976, als er sich mit Cash wegen dessen Tablettensucht verkrachte und kurz darauf die Kündigung erhielt. Später haben sie sich wieder vertragen, aber das ist eine andere Geschichte. Mit Luther Perkins an der elektrischen Gitarre bildete der Bassist Marshall Grant die Tennessee2, die Begleitband von Johnny Cash.

Grant sitzt in einem Restaurant in Hernando, Mississippi, gleich hinter der Grenze zu Tennessee. Die Speisekarte ist überschaubar, es gibt Burger und Sandwiches. Um ihn herum vierschrötige Männer mit Baseballkappen, die über viel zu dünnem Kaffee brüten und jeden Ankömmling misstrauisch beäugen. Marshall Grant ist groß und schlank, sein Haar schütter.

Er ginge für Anfang 60 durch, tatsächlich ist er 79: "Nüchtern war Johnny Cash der beste Mensch, der je gelebt hat, nur Jesus hat ihn überragt. Aber auf Amphetaminen wurde er das exakte Gegenteil, dann behandelte er jeden wie Dreck, seine Musiker, seine Eltern - einfach alle."

Die Nebenstraße da draußen, Grant zeigt aus dem Fenster, so sahen früher die Highways aus: einspurig, voller Schlaglöcher. Tourneen waren Stress: abends der Auftritt, nachts ein Nickerchen, im Morgengrauen raus und dann stundenlang unterwegs zum nächsten Konzert - tagein, tagaus.

Irgendwann waren die Pillen da. Johnny Cash kam nie mehr davon los, anders als im Film, der 1968 mit der Hochzeit eines drogenfreien Johnny Cash endet. Der Film. Marshall Grant schnaubt verächtlich. Dieses Happy End...

In Wirklichkeit kamen nach den Amphetaminen die Operationen und mit ihnen die Schmerzmittel. Am Ende konnte Johnny Cash nicht mehr sehen und hören, Lunge und Nieren kollabierten. "Aber letztlich waren es seine Dämonen, die ihn umgebracht haben", sagt Grant: "Der Tod des Bruders, den er nie verwunden hat, die eigene Sündigkeit und das Erbe einer Kindheit in bitterer Armut: Seine Eltern hatten nichts, absolut nichts, und diese Erfahrung prägt einen."

In Memphis, der Hafenstadt am Mississippi, dreht sich alles um Elvis. Das ehemalige Studio von Sun Records, wo seine Karriere begann, veranstaltet im Stundenrhythmus Führungen. Johnny Cash, der seine ersten Platten ebenfalls für Sun aufnahm, wird nur in einem Nebensatz erwähnt.

Nur auf der Beale Street ist das anders, der Amüsiermeile von Memphis. Doch während der Broadway in Nashville eine Talentschmiede für junge Country-Musiker ist, wird hier das Gestern beschworen. So auch von Gary Hardy and the Memphis 2 im Blues City Café.

Gary Hardy trägt eine randlose Brille, und seine Haare sind nicht mehr ganz so blond. Er ist wer in Memphis. In den 1980ern leitete er das Sun Studio, heute firmiert er als musikalischer Direktor der Galloway Church, der Kirche, in der Johnny Cash zum allerersten Mal auftrat. Eigentlich der ideale Ort für ein Museum, sinniert Gary Hardy.

Aber die Gemeinde hat kein Interesse, was hat Cash mit Memphis zu tun, heißt es, er war doch nur von 1954 bis '58 hier. "Aber er hat diese Stadt geliebt", beharrt Hardy, "und er ist nur wegen seiner Leidenschaft für June weggezogen, schließlich lebte Vivian hier, seine erste Frau - Sie verstehen?"

Vielleicht ist Johnny Cash deshalb nirgends richtig zu fassen: In Memphis war er zu kurz, Nashville hat er nicht gemocht und Hendersonville ist nur ein zu groß geratenes Dorf. Sicher liegt es auch an seiner Vielschichtigkeit: Cash hat Cowboy-Lieder gesungen und sich für die Rechte der Indianer eingesetzt, er war Patriot und gegen den Vietnamkrieg, er ist mit Bob Dylan auf dem legendären Folkfestival in Newport aufgetreten und hat in seinen letzten Jahren Songs von New-Wave-Musikern wie Depeche Mode und Nick Cave aufgenommen.

Wie Cash ist Hardy auf einer Baumwollplantage groß geworden - mit der Kirche als Mittelpunkt. Dort kam er mit Musik in Kontakt, dort fand das soziale Leben statt. Und wie Cash ist er mit der strengen Religion des Südens und ihrer archaischen Bilderwelt aufgewachsen. "Unkeusche Gedanken, Rock'n'Roll - das war Sünde, und wer sündigte, kam in die Hölle. Auch deshalb nahm Johnny Cash religiöse Lieder auf: als Buße für die vielen Mörderballaden."

Weiter nach Dyess in Arkansas, wo Johnny Cash seine Kindheit verbrachte. Es geht über den Mississippi, Richtung Norden durch eine flache, menschenleere Landschaft. Dyess ist eine Ansammlung von Mobile Homes, transportablen Fertighäusern. Im Zentrum eine Südstaatenvilla, unbewohnt, die Fenster eingeschlagen. Vom Kino nebenan steht nur noch die halbe Vorderfront.

Das Rathaus ist in einem Container untergebracht. Drinnen Fotos von Johnny Cash. Die Fotos sind der Grundstock, für das, was einmal das Johnny-Cash-Museum in der Villa nebenan werden soll. Um die 800.000 Dollar sind für Renovierung und Umbau veranschlagt, Gönner sollen das Projekt finanzieren. "Aktuell belaufen sich die Spenden auf 20.000 Dollar", sagt Bürgermeister Larry Sims.

An der Wand hängt eine Luftaufnahme von Dyess in den 1930er Jahren. Von einem runden Platz im Zentrum gehen sternförmig Straßen ab. Und an den Ortsrändern schließen sich Parzellen an, wie mit dem Lineal gezogen, jede einzelne mit einem kleinen Haus darauf. Eine Stadt vom Reißbrett für damals 20.000 Einwohner. Johnny Cash war zweieinhalb, als seine Eltern nach Dyess zogen. Die Regierung unter Roosevelt bot Farmern, die während der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren alles verloren hatten, 20 Morgen Land, einen Muli und einen Lieferwagen, ein Haus mit zwei Schlafzimmern und Lebensmittel für ein Jahr.

Einzige Bedingung: Sie mussten das Land bewirtschaften und von den Erträgen das Haus abbezahlen. Eine gute Idee, aber sie hat nicht funktioniert. "Diese Leute waren Baumwollpflücker", erläutert Sims, "sie waren es nicht gewohnt, eigenständig zu arbeiten. Nach zwei, drei Jahren gingen die meisten pleite."

Nur eines dieser Farmhäuser existiert noch - das, in dem Johnny Cash aufwuchs. Es steht einsam in diesem großen unendlichen, eingeebneten Nichts, davor ein Schild: "Fotos knipsen fünf Dollar", während die Welt drumherum Gefahr läuft, im Regen zu versinken.

Ein düsteres, unheimliches Bild - wie aus einem Johnny-Cash-Song.

Informationen

Anreise: United Airlines von München über Washington bzw. Chicago nach Nashville und Memphis ab 615 Euro, www.unitedairlines.de

Weitere Auskünfte: Grand Ole Opry, 2800 Opryland Drive, Nashville, www.opry.com; Country Music Hall of Fame, 222 S 5th Avenue, Nashville, www.countrymusichalloffame.com; Sun Studio, 706 Union Avenue, Memphis, www.sunstudio.com; Blues City Cafe, 138 Beale Street, Memphis, www.bluescitycafe.com

© SZ vom 10.01.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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