Technik:Der Wagen als Burg

Lesezeit: 2 min

Solaranlage, Wurmkomposter, Windrad: Der Wunsch nach Autarkie treibt Camping auf die Spitze.

Von Sinah Müller

Über den Wolken soll die Freiheit ja grenzenlos sein. Auf der Welt ist sie es meist nicht. Trotzdem, oder gerade deshalb, suchen sie alle: vom Dauercamper bis zum Weltenbummler, manche mit Zelt, manche mit Auto. Dort endet die Freiheit meist aber mit den Trinkwasservorräten, an Straßen, die in Geröll übergehen - oder am Platz des Nachbarcampers.

Vielleicht ist es diese nüchterne Erkenntnis, die den im Wohnmobil reisenden Urlauber veranlasst, nachzurüsten. Solarpaneels, Wasserfilter, Generatoren - alles, was den Campingwagenbesitzer ein Stück unabhängiger vom Stellplatz macht, ist zunehmend gefragt. In der Wohnmobil-Branche hat sich für diese Sehnsucht nach Verzicht auf Infrastruktur und Zivilisation ein Begriff eingebürgert: Autarkie. Für ein paar Tage schafft es jeder Wohnmobil-Fahrer, ohne externe Anschlüsse auszukommen. Autark aber könne man sich dann fühlen, "wenn man mindestens eine Woche, auch bei schlechtem Wetter, mit eigener Wärme-, Wasser- und Energieversorgung auskommt und trotzdem jeden Abend ein Dreigängemenü kochen kann", sagt Stephan Wirths, Geschäftsführer von Action Mobil, einem österreichischen Hersteller von Expeditionsfahrzeugen. Vier bis fünf ihrer bulligen Allradriesen verkauft die Firma pro Jahr; Wartezeit bei Bestellung: zwei Jahre. "Wir spüren mehr Nachfrage, vor allem aber Akzeptanz", sagt Wirths. Besitzer dieser Kolosse würden in der Szene nicht mehr belächelt, sondern bewundert.

Vor allem beim Innenausbau mag so mancher Camper vor Neid erblassen. Von der Sauna bis zur Fußbodenheizung ist alles möglich. Selbst Waschmaschinen werden eingebaut. Die Freiheit hat natürlich ihren Preis. Er beginnt bei 350 000 Euro. Mit Autarkie im philosophischen Sinn hat das nicht mehr viel zu tun: Dort bedeutet der Begriff Selbstgenügsamkeit.

Wer kauft solche Fahrzeuge? Laut Alexander Kempe, Pressereferent der Fachmesse Caravan Salon, Menschen, die Luxus mit einem Schuss Abenteuer verbinden wollen - und Zeit haben. Für zehn Urlaubstage lohnt sich so eine Anschaffung kaum. Wer in ein derartiges Gefährt investiert, hat weltweite Ziele, fährt quer durch die Mongolei oder wochenlang durch Wüsten. Zum Standard gehören Solarpaneels, meist werden sie auf dem Dach des Fahrzeugs montiert. Aber auch mithilfe von Windrädern wird Energie erzeugt; die Urlauber müssen also abends nicht im Dunkeln sitzen und können das Handy aufladen. Der Hersteller Action Mobil beispielsweise hat ein Windrad auf einer ausfahrbaren Teleskopstange befestigt. Das ist praktisch, wenn man Ziele hat, wo es eher stürmisch als sonnig ist. Das Trinkwasser kommt nicht mehr nur aus dem Reservetank, sondern aus Seen, Bächen oder den Wolken. Der niederländische Hersteller Blissmobil stattet seine Fahrzeuge mit Aufbereitungsanlagen aus, die Wasser über Schläuche ansaugen können. Wie die Feuerwehr.

Wer auch mit dem durchschnittlichen Wohnwagen autark werden möchte, kann sein Fahrzeug bei vielen Fachhändlern mit Brennstoffzellen und Solarmodulen für die Stromversorgung nachrüsten. Die Skandinavier sind besonders ideenreich. Sie verwenden Toiletten mit Brennkammern. Dort wird zu Asche, was sonst entsorgt werden muss. Helfer für ein unabhängiges Leben im Caravan findet man auch im Onlineshop des Anbieters Wohnwagon: die stromlose Espressomaschine oder den Wurmkomposter für drinnen. Der lässt sich praktischerweise auch als Küchenhocker verwenden.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: