Schweizer Bergwelt :Weiches Panorama

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Ruth Michel Richter, Konrad Richter: Wandern wie gemalt. Graubünden. Auf den Spuren bekannter Gemälde. Rotpunkt Verlag, Zürich 2014. 432 S., 36 Euro. (Foto: verlag)

Ruth Michel Richter und Konrad Richter sind für ihr Buch "Wandern wie gemalt" auf den Spuren bekannter Gemälde durch Graubünden gezogen. Dort haben sie eine sanfte und weiträumige alpine Welt erkundet.

Von Stefan Fischer

"Also vorläufig Arbeit genug, wenn auch nicht von der angenehmsten", hat der Maler Giovanni Giacometti im Herbst 1903 an seinen Freund Cuno Amiet geschrieben. Giacometti war nach Flims gereist, der Ort in Graubünden war damals bereits touristisch geprägt. Er hatte den Auftrag bekommen, drei Bilder zu malen für "ein großes Etablissement", wie er sich in dem Brief an den Maler-Freund ausdrückte: für die Kur- und Seebadanstalt Waldhaus Flims, die seit den späten 1870er-Jahren zu einem beachtlichen Hotelkomplex ausgebaut worden war. Giacomettis Aufgabe war es, Landschaftspanoramen zu schaffen, "mit den entsprechenden Hotels darin natürlich, die gleichzeitig als Reclame dienen sollen und als Placat reproduziert werden".

Giovanni Giacometti ist kein Einzelfall: Die Landschaftsmalerei aus der schweizerischen Bergwelt Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts war nicht selten Auftragskunst. Und es waren erstklassige Maler, die in diesem Genre arbeiteten: Neben Giovanni auch Augusto und Alberto Giacometti, dazu Giovanni Segantini, Ernst Ludwig Kirchner, Ferdinand Hodler und etliche mehr. Hans Conrad Escher hat bereits ein Jahrhundert zuvor, 1792, ein erstes 360-Grad-Panorama im Gotthardmassiv gezeichnet. Bei ihm sind wie bei kaum einem anderen Landschaftsmalerei und exakte topografische Schilderung zu einer neuen Kunstgattung verschmolzen. An diesem Punkt setzen die Autoren Ruth Michel Richter und Konrad Richter an in ihrem Buch "Wandern wie gemalt". Auf den Spuren bekannter Gemälde erkunden sie die Bergwelt Graubündens.

Das funktioniert erstaunlich gut - wieder einmal: Die Richters haben vor einigen Jahren bereits einen üppigen "Wandern wie gemalt"-Band über das Berner Oberland veröffentlicht. Und doch sind die beiden Bände sehr unterschiedlich; die Malerei ist eine gänzlich andere. Die Motive im Berner Oberland sind dramatischer: jäh aufragende Felswände, massive Gletscher, gigantische Wasserfälle, ewiges Eis. Die alpine Welt Graubündens ist sanfter, weicher, weiträumiger.

Die Autoren stellen auch die Frage, wann es überhaupt sinnvoll ist, etwas zu bewahren

Auf elegante Weise verschränken Konrad und Ruth Michel Richter Kunst- und Tourismusgeschichte, ihren eigenen Blick auf die Gebirgspanoramen mit den Blicken der Maler und haben dabei immer mehr im Sinn als nur den Tourismus. Wobei "Wandern wie gemalt" auch ein Reiseführer ist mit Routenbeschreibungen, Karten sowie Hotel- und Restaurant-Tipps. Aber so wie die Maler diese Landschaft in unterschiedlichen Graden der Entfremdung reflektiert haben in ihren Werken, besehen auch die Autoren sie von vielen Seiten. Im Vergleich zum späten 19. Jahrhundert sind etliche Täler, aber auch Hänge und selbst Gipfel wesentlich stärker verbaut. Die Richters trauern der vermeintlichen Idylle aber nicht nach, sondern stellen vielmehr die Frage, wie sinnvoll es im Einzelnen ist, etwas zu bewahren - für wen und warum? Und wann es Sinn ergibt, etwas Neues in Angriff zu nehmen, weil in überkommenen Strukturen niemand mehr leben kann und will.

Sie tun das etwa am Beispiel der kleinen Gemeinde Vrin, die vor Jahren bereits vom Schweizer Heimatschutz mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet worden ist für ihren zukunftsweisenden Umgang mit der Bausubstanz. Die Malerei, in diesem Fall von Hans Conrad Escher, erweist sich dabei als ein sehr sinnliches Vehikel, um all die Informationen zu transportieren, die dieses vielschichtige, trotz seiner Faktenfülle unbeschwerte und reich bebilderte Graubünden-Porträt ergeben.

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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