Reiseziel für 2020: Ostsee, Polen:Mit der Kraft der Fleischtomate

Lesezeit: 2 Min.

So ein großer Dorsch muss erst einmal an Bord gebracht werden. (Foto: Frank Sorge/imago)

Tipp für einen Urlaub ohne Flug: Dorschfischen in der polnischen Ostsee ist ein Abenteuer.

Von Dominik Prantl

Wer in der polnischen Ostsee Dorsch fischen möchte, sollte früher als um 4.45 Uhr am Hafen von Kołobrzeg, Kolberg, aufkreuzen. Das Boot legt zwar erst um fünf Uhr ab, aber am Heck haben sich bereits zwei sehr breite Landsmänner breitgemacht. Womöglich gehört ihnen der Fischkutter, jedenfalls benehmen sie sich so. Am Bug stehen wiederum ein paar eher grobschlächtige Typen, einer davon in Militärklamotten, eine Dose Bier in der Hand. Er wird den ganzen Tag eine Bierdose in der Hand halten. Dazwischen sitzen ein Familienvater in Jack-Wolfskin-Jacke und sein verschüchtert dreinblickender Sohn. Vielleich weiß er schon, dass er später seekrank werden wird.

Jenseits aller Sozialstudien ist das Dorschfischen ein großartiges Abenteuer. Das beginnt damit, dass niemand aus der dreiköpfigen Besatzung an Bord auch nur ein Wort Englisch, Bairisch oder wenigstens Sächsisch spricht, obwohl fast alle der 20 Kunden Deutsche sind. So wäre fast verborgen geblieben, dass es auch ein Frühstück zum tiefschwarzen Kaffee gibt: zentimeterdicke Wurstscheiben, ellenlange Brühpolnische, Fleischtomaten. Das braucht es auch. Jedes Mal, wenn bei einem Stopp der Motoren das Schiffshorn und damit das Signal zum Angeln ertönt, wird der recht heftige Seegang spürbar. Wasser spritzt aufs Deck, man kämpft ums Gleichgewicht, die Hände an der Angel. Schwimmwesten gibt es ebenso wenig wie eine Sicherheitseinweisung. Der Kapitän angelt selbst, direkt aus der Kajüte. Nach dem ersten Stopp hat er mehr Fische als wir sechs zusammen, also einen. Dabei verwendet er die gleichen Köder, etwa zehn Zentimeter lange, grell gefärbte Pilker. Zweifel kommen auf.

Nächster Stopp, Schiffshorn, Angeln raus. Das Boot wippt, es fängt an zu regnen, aber die Zweifel verfliegen. Der erste Fisch ist am Haken, und mit dem Biss kommt noch einmal der Gewissensbiss: Wie steht es eigentlich so um den Dorsch, der anderswo unter dem Namen Kabeljau firmiert? Ach was, die Rute ist sicher fairer als das Schleppnetz. Jetzt wird gedrillt, dass sich die Angel biegt, so ein 45 Zentimeter langer Dorsch muss erst einmal an Bord gebracht werden. Ein Prachtexemplar! Im nächsten Moment zieht einer der Hecksitzer einen sicher doppelt so schweren Fisch aus dem Wasser. Angeber.

Am Ende des Tages filetiert er auf der Rückfahrt in den Hafen seine Dorsche wie ein Künstler. Seine Ausbeute liegt bei sieben oder acht Fischen, unsere auch. Er mag der Profi sein. Wir hatten dafür mehr Spaß.

© SZ vom 16.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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