Süddeutsche Zeitung

Reisefotograf Claudio Sieber:Leben im Fluss

Myanmar ist ein Land im Wandel. Claudio Sieber blickt auf die Menschen jenseits der Touristenpfade - und folgt dafür dem Wasser.

Von Katja Schnitzler

Sechs kurze Jahre lang lässt Claudio Sieber seinen Schweizer Heimatort St Gallen weit hinter sich, um in dieser Zeit zumindest einen kleinen Teil der Welt für sich zu entdecken. Denn der Blogger (travelbuddy.ch) und Reisefotograf will nicht von Land zu Land eilen, sondern sehen, erleben und schließlich - vielleicht - verstehen. Vier Monate benötigte er dafür in Myanmar, seinem nun geliebten Land, aus dem er hinausgeworfen wurde. Im Bild: Über Myanmars längste Brücke in eine andere Welt, eine Zugreise von Mandalay nach Hsipaw im Shan-Staat.

Sieber fand, seine Abenteuerlust und "minimale Pfadfinderkompetenz" sollten ausreichen, um knapp 1500 Kilometer auf Myanmars Flüssen zu meistern und den Ozean zu erreichen. Die Behörden hätten nur gerne auch noch eine Bewilligung für den Bootsbesitz sowie für die Flussfahrt gesehen - spätestens das abgelaufene Visum war zu viel des Schlechten, der Fotograf musste in andere Länder weiterziehen. Zuvor hatte Sieber besonders bei den Bewohnern abgelegener Gebiete vor allem eines kennengelernt: "unverfälschte Güte und Warmherzigkeit". Im Bild: Ein Farmer führt seine Büffel zur Flusstränke im Chidwin River, wo sie sich genüsslich von der Hitze erholen.

Die Myanmaren sind seiner Meinung nach die freundlichsten Menschen Südostasiens, "daher wird es lange dauern, bis das Lächeln weniger werden wird", meint er. Sieber fürchtet, dass künftig mit der wachsenden Zahl Touristen diese weniger als Besucher, sondern wie in anderen Reiseländern auch als Devisenbringer gesehen werden. Zur Zeit der Militärdiktatur konnten kaum Touristen in entlegenere Gebiete reisen. Während Orte wie der Inle-See oder Bagan inzwischen "von Urlaubern überrannt" würden, lägen Provinzen wie Shan, Kayah oder Chin weiterhin abseits gerade erst breit getretener Touristenpfade. Im Bild: eine 80-Jährige Dame vom Volk der Chin, nach einer Nasenflöte-Performance in Mindat

Das ganze Land befindet sich im Wandel und jeder will ein Teil davon sein - nicht nur wirtschaftlich. Mit der Öffnung und Demokratisierung Myanmars (früher Birma) lösten sich Probleme jedoch nicht in Luft auf: Einige ethnische Minderheiten werden unterdrückt, zudem kommt es zu religiösen Konflikten zwischen Muslimen und Buddhisten. Die muslimischen Rohingyas gehören nach Einschätzung der Vereinten Nationen zu einer der am meisten diskriminierten Volksgruppen der Welt. Im Bild: Auf einer befahrenen Straße in Rangun wird die Karosserie eines Familienwagens auseinandergeschweißt. Der Mechaniker trägt keine Schutzbrille, aber einen Sonnenschirmhut.

Aber auch dieser Anblick ist Myanmar, wenngleich ein sehr kleiner Teil: Naypyidaw, die abgelegene "Geisterhauptstadt" Myanmars. 2005 wurde die Kapitale von Rangun in die gigantische Planstadt verlegt, die achtmal so groß ist wie Berlin (lesen Sie hier ausführlich über die Stadt: "Es gibt in Naypyidaw so viele unterschiedliche Arten der Leere wie in der Arktis Schneesorten", schreibt SZ-Autor Jörg Häntzschel). Und auf der 22-spurigen Yaza Htarni Road "könnte wohl eine Boeing landen", staunt auch Claudio Sieber. Dies würde die Zahl der Passagiere auf der weitgehend leeren Straße tatsächlich in die Höhe schnellen lassen.

Für Fotograf Sieber - der zuvor Süd- und Nordamerika, Japan, Indien, Südkorea, China und Nepal bereist hatte - ist Myanmar mit der Öffnung des Landes aber "eines der letzten touristischen Dorados": Er rät, die bekannte Route Rangun-Inle-Bagan-Mandalay zu verlassen, um buddhistische Traditionen, Geisterglauben und Bräuche der Volksgruppen zu entdecken. Auf dem beliebten Inle-See etwa seien zwar auch Einbein-Ruderer unterwegs, die aber inzwischen vor allem für Fotos posierten, so Sieber: "Fische können in dem verschmutzten Wasser kaum überleben." Im Bild: Fischer im Irrawaddy-Delta nahe dem Andamanischen Meer

Eines seiner Lieblingsmotive aus seinem Lieblingsland ist denn auch ein sehr persönliches, weit weg von Postkartenmotiven: das Bild eines Chin-Jägers, der gerade sein Mittagessen - Klebreis - in Bananenblätter wickelt. "Mit Steinschleuder, rosa Mütze und Gummischlappen wird er mich kurz darauf über rauhe Pfade zur Spitze des Victoria Mountains führen", erzählt Sieber. Damit die jeweiligen Kulturen mit der wachsenden Besucherzahl nicht zu folkloristischen Kulissen degradiert werden, empfiehlt der Reisefotograf, Touren bei Anbietern mit einem möglichst nachhaltigen Konzept zu buchen.

Mit der Zunahme des Tourismus werde auch der Konkurrenzkampf wachsen, "also sollte man möglichst darauf achten, was man mit seinem Geld finanziert". Er selbst esse daher gerne an kleinen Straßenbuden, steige in weniger besuchten Hotelanlagen ab und versuche, möglichst wie die Einheimischen zu reisen - eine sparsame Taktik, die auch seine Weltreise verlängern könnte. Nur eben nicht die Tour durch Myanmar, wenn man auch die Genehmigungen für die persönliche Bootsfahrt auf dem Fluss spart, "dafür war dies das größte Abenteuer meines Lebens". Sieber hofft, bald wieder nach Myanmar reisen zu können. Im Bild: Eine Marktfrau verkauft in Rangun Korn und ist umringt von hungrigen Tauben.

Diese Fischerfamilie am Irrawaddy-Fluss nahm den Fotografen eine Nacht bei sich auf. Während der Trockenzeit im Januar und Februar ziehen sie von ihren Dörfern auf die Sandbänke, um zu fischen und Gemüse anzubauen, erzählt Sieber. Die gelbliche Paste im Gesicht, Thanaka, ist aus Baumrinde gerieben: Sie soll die Haut kühlen und vor der Sonne schützen und gelte als Make-up Myanmars. Knaben und Frauen tragen die Paste auf - so auch diese Fischerinnen, die Sieber in Szene setzte, ohne zu inszenieren: "Ich liebe es, unbekannte Alltagshelden in den Mittelpunkt zu stellen."

Der Blogger verständigte sich mit Mimik, Gestik, Bildern im Sand und Übersetzungs-App. "Auch persönliche Führer bei den Ethnien dolmetschten zudem für mich, einige können gut Englisch." Sieber ist es sehr wichtig, die Menschen respektvoll um Erlaubnis zu fragen, bevor er sie fotografiert - und ihnen auch zu danken, wenn sie dies ablehnen. Im Bild: Farmer mit Ochsenwagen bei der Ernte, auf dem Weg von Kalaw zum Inle-See

Doch in Myanmar seien die Menschen sehr offen für Porträts. Besonders gerne erinnert er sich an die Frau in Pyay, die einen Bund weißer Rüben auf dem Kopf vom Markt nach Hause trug - dort völlig normal, in unseren Augen jedoch ein beinahe komischer Anblick. Dennoch stellt selbst dieses Bild nicht bloß. Gerade in den Porträts sieht man den Respekt, den der Schweizer den Menschen unterwegs entgegenbringt, die ihm Augenblicke ihres Lebens schenken.

Mit dem Umbruch im Land "lechzen die Menschen nach allem, was neu ist. In den Städten gibt es schon mehr Handy-Shops als Pagoden - und das will in Myanmar etwas heißen", berichtet Sieber. Während die großen Städte nun schnell modernisiert würden, könnten die Dörfer trotz der einfachen Lebensumstände "charmanter kaum sein". Je nach Volksgruppe sei die Architektur anders geprägt, doch es dominieren Pfahlbauten und Holzhütten. Im Bild: Kakku ist ein antikes Pagodenfeld nahe Taunggyi, Hauptstadt des Shan-Staates.

Schön, aber nicht ungefährlich ist das Lichterfest Tazaungdaing. Es wird bei Vollmond im achten Monat des myanmarischen Kalenders gefeiert. Die meisten Ballons steigen wohl in Taunggyi im Shan-Hochland auf. Sie sind entweder mit Kerzen verziert - oder es hängen etliche Kilogramm Feuerwerksraketen daran. Diese zünden nach oben, zur Seite und hin und wieder in die Menge. Obgleich es immer wieder Tote und Verletzte gebe, werde an dem explosiven Ritual festgehalten, berichtet Sieber.

Aber trotz der kulturellen Unterschiede und absolutem Schneemangel in Myanmar, ähneln sich dennoch die Bilder: Wo hierzulande Eltern ihre Kinder auf Schlitten ziehen, ersetzt ein Palmblatt diesen in einem Dorf am Fluss Lay Mro. In ein paar Jahren werden die beiden vielleicht wieder die Straße zum Spielplatz machen, dieses Mal motorisiert ...

Halbstarke sind hier und dort auf den ersten Blick zu erkennen: In Bagan drehen zwei Straßenrowdies auf. Es sind auch Augenblicke wie diese, die das Leben der Menschen hinter den Urlaubsklischees in all seinen Facetten zeigen, die Claudio Sieber auf seinen Reisen festhält. Claudio Siebers fotografische Weltreise können Sie auf seiner Homepage claudiosieberphotography.com und auf seinem Blog travelbuddy.ch verfolgen.

In dieser Serie stellt SZ.de interessante Reisefotografen vor. Bislang ging es mit ihnen in die Metropolen der Welt, nach Vietnam, tief unter die Meeresoberfläche, zu indigenen Stämmen auf den Philippinen und mitten in die deutsche Städtelandschaft, an Vulkankrater sowie zur wahren Seele der Eisberge, nach Südamerika, Hongkong, nach Taiwan, Island, Bangladesch, in die US-Südstaaten, nach "Senegambia" und Rio de Janeiro sowie in den glühenden Sommer von Tadschikistan. Weitere Episoden zeigten bereits Reisen durch Schottland, Afrika, Armenien, Myanmar, Rumänien, Iran, Spitzbergen und Georgien sowie die Lieblingsorte eines Globetrotters, der alle Unesco-Welterbestätten abbilden will.

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