Myanmar:"Strategie des Terrors"

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Buddhistische Extremisten demonstrieren in Myanmar gegen Hilfslieferungen für geflüchtete Rohingya. (Foto: Lauren DeCicca/Getty Images)

Die UN verurteilen die Gewalt an Muslimen in Myanmar. Dass Friedensaktivistin Suu Kyi schweigt, empört viele.

Von Tobias Matern, München

Es ist ein Dokument des Grauens. Darin sprechen Zeugen von Vergewaltigungen, von ermordeten Frauen und Babys, von Verschleppungen, von schwer fassbarer Brutalität. Verübt von staatlichen Sicherheitskräften an der muslimischen Minderheit der Rohingyas. Die Vereinten Nationen (UN) haben die Aussagen von mehr als 200 nach Bangladesch geflüchteten Rohingyas gesammelt. Das Fazit der Ermittler: Myanmars Sicherheitskräfte verfolgten eine "kalkulierte Strategie des Terrors" gegen die Rohingyas.

Nach dem UN-Report zeigte sich ein myanmarischer Regierungssprecher zumindest "besorgt" und versprach blumig, die Regierung werde "die notwendigen Maßnahmen ergreifen". Das sind immerhin neue Töne. Denn die Regierung hatte ähnliche Anschuldigungen regelmäßig kategorisch zurückgewiesen.

66 000 Menschen sind vor Gewalt und Verfolgung nach Bangladesch geflohen

Auslöser der jüngsten Gewaltwelle waren Attacken auf myanmarische Grenzposten im Oktober - nach Angaben der Polizei von Rohingya-Aktivisten verübt. Neun Menschen starben. Daraufhin begann die myanmarische Armee eine Offensive im westlichen Bundesstaat Rakhine, der laut myanmarischer Regierung mehr als 100 Menschen zum Opfer gefallen sind. Nach Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf Gespräche mit UN-Mitarbeitern beruft, könnte die Zahl der Opfer aber bei mehr als tausend liegen.

Als Reaktion auf die Armee-Offensive flohen mindestens 66 000 Rohingyas in größter Not in das Nachbarland Bangladesch. Dort campieren sie unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern. Doch auch in Bangladesch werden sie wie Aussätzige behandelt. Die Regierung in Dhaka stellte in dieser Woche Pläne vor, die Rohingyas auf die abgeschiedene, nicht erschlossene Insel Thengar Char zu verfrachten. Diese wird immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch nennt das Ansinnen "grausam und nicht anwendbar".

Von allen Seiten kommen internationale Solidaritäts-Bekundungen für die Rohingyas, auch Papst Franziskus zeigte sein Mitgefühl: "Sie sind gefoltert und getötet worden, weil sie an ihren Traditionen und ihrem muslimischen Glauben festhalten", sagte er. Die Gewalt gegen sie müsse ein Ende haben. Doch bisher nützen die Appelle nicht viel. Die Rohingyas werden in Myanmar seit Jahrzehnten benachteiligt, sie haben keine Bürgerrechte und somit auch nur eingeschränkten Zugang zu staatlichen Leistungen.

Sie gehören nach Einschätzung der Vereinten Nationen zu einer der am meist diskriminierten Volksgruppen der Welt. In Myanmar hat die Mehrheit der Gesellschaft eine tief sitzende Abneigung gegen die muslimische Minderheit, sagen Beobachter. Umstritten ist ihre Herkunft. Die Rohingyas selbst sehen sich als alteingesessene Bewohner Myanmars, die sich vor mehreren Generationen angesiedelt haben. Die meisten Myanmaren betrachten sie hingegen als illegale Einwanderer aus Bengalen. Weltweit gibt es etwa zwei Millionen Rohingyas, etwa 800 000 sollen im Rakhine-Staat leben, etwa 400 000 in Bangladesch, viele Tausend in Thailand und Malaysia. Das mehrheitlich muslimische Malaysia bemüht sich darum, die Rohingyas zu unterstützen, und schickte in dieser Woche ein Schiff mit 2300 Tonnen Hilfslieferungen nach Myanmar. Im Hafen von Yangon wurde es von einer Gruppe Demonstranten empfangen, darunter buddhistische Mönche, die empört "No Rohingya"-Schilder in die Luft hielten.

In der Krise richtet sich die internationale Aufmerksamkeit vor allem auf Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi. Offiziell ist sie Außenministerin Myanmars, laut Verfassung darf sie nicht Präsidentin werden. Aber de facto lenkt sie die Regierungsgeschäfte des südostasiatischen Landes. Die Heldin der Freiheitsbewegung erhielt bereits vor Wochen einen öffentlichen Brief von mehr als einem Dutzend empörten Friedensnobelpreisträgern, die sie scharf angriffen, weil sie nicht eindeutig für die Rohingyas Partei ergreife.

Suu Kyi widersetzte sich als Demokratie-Aktivistin ausdauernd der Militärdiktatur in Myanmar. Seit der schrittweisen Öffnung und Demokratisierung des Landes im Jahr 2010 ist aus der Aktivistin indes eine Politikerin geworden - und diese neue Rolle auszufüllen fällt ihr schwer. Vor allem ist es ihr noch nicht gelungen, das Militär dem Staatsapparat unterzuordnen. Aber sie weiß auch um die tief sitzenden Ressentiments in Myanmar gegen die Rohingyas. Diplomaten äußern sich immer wieder enttäuscht über ihre Politik. Auch Suu Kyi hatte lange Zeit die mutmaßlichen Gräueltaten gegen die Rohingyas kleingeredet. Nun versprach sie dem Hohen Vertreter der UN für Menschenrechte: Die Geschehnisse in Rakhine sollten untersucht werden.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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