Portugal:Grenzerfahrung an der größten Welle der Welt

Lesezeit: 5 min

Drinnen in der Festung hat die Stadt ein Museum eingerichtet: Bilder der Küste von Nazaré, Bilder von McNamara, eine Urkunde des Rekords für die damals höchste gesurfte Welle aus dem Jahr 2011. Die war allerdings nur 90 Fuß hoch. Bei Mama Celeste im Restaurant lehnt ein von McNamara signiertes Surfbrett an der Wand: "Celeste is da best" steht in bestem Slang darauf. Die Surfer haben das Fischrestaurant zu ihrem Stammlokal erklärt. Hier haben sie im Winter mit Weißwein McNamaras weltberühmten Ritt begossen, ebenso wie dessen Hochzeit, die er oben auf der Festung feierte. Natürlich mit den Wellen im Hintergrund. André, der Kellner, erklärt jedem Gast gerne und stolz, was G-Mac am liebsten isst: Grelos, gekochten Stängelkohl.

Garrett McNamara Praia do Norte Nazaré Portugal

Auf dem Weg zur nächsten Welle: Garrett McNamara in Praia do Norte bei Nazaré.

(Foto: REUTERS)

Der Fernsehsender Zon hat sich exklusiv die Übertragungsrechte gesichert, wenn McNamara die Wellen reitet. Dass Vasco da Gama vor seiner Reise nach Indien in Nazaré Station gemacht hat? Dass Stanley Kubrick vor Jahrzehnten als Fotograf die Altstadt in Schwarz-Weiß-Bildern in Szene setzte? Geschenkt. Die Welle hat so manches beiseitegespült: die hohe Arbeitslosigkeit, die Kriminalität am Strand. Stattdessen ist der Zirkus in der Stadt. Vorhang auf, todesmutige Surfer, Vorhang zu. "Wissen Sie, wann heute die Surfshow beginnt?", fragt ein Tourist auf der Promenade. Aber so läuft das natürlich nicht.

Eine zurechtgerückte Perspektive bietet sich an anderer Stelle. Wer verstehen will, was auf dem Meer vor Nazaré passiert, muss genau dorthin: raus aufs Meer. Sebastian Steudtner hat vorgeschlagen, mit einem Jetski rauszufahren, aber die Wellen sind an diesem Tag im April doch nur hütten- und nicht haushoch. Steudtner kennt eine Strömung, die einen, nun ja, recht gefahrlos auf dem Surfbrett hinaus an die Stelle bringt, wo nach den Atlantik-Stürmen 300 Meter vor dem Strand die großen Wellen brechen.

Zwischen dem Surfbrett und dem Meeresgrund liegen hier ungefähr fünf Kilometer Salzwasser. Wie ein Pfeil läuft ein Canyon im Meeresboden vom offenen Ozean auf die Festung vor Nazaré zu. 150 Kilometer lang. In diesem Graben sammeln sich die Wellen, laufen bis kurz vor die Küste, wo der Canyon sich abrupt verengt, der Meeresboden wie eine Stufe ansteigt und das Wasser sich zu dieser einmaligen Welle aufbäumt.

Steudtner reist seit mehr als einem Jahrzehnt den höchsten Brechern der Welt hinterher. Er liegt auf seinem Brett, unter ihm rollen die Wasserhügel vorbei. "So etwas wie das hier habe ich noch nie gesehen", sagt der 27-Jährige. Er verdient sein Geld nicht mit Sponsoren, er tritt nicht mehr im Fernsehen auf. Steudtner hält ab und zu Vorträge vor Managern in Anzügen - über Grenzerfahrungen. "Das ist Theorie, in Worten kann man nicht vermitteln, was für ein Gefühl es ist, solch eine Welle zu surfen."

Vor einigen Wochen ist Steudtner vor Nazaré fast ertrunken. Er trainiert das ganze Jahr über im Kraftraum und mit Apnoe-Tauchen für den Ernstfall. Ernstfall bedeutet: Hunderte Tonnen Weißwasser halten die Surfer nach einem Sturz minutenlang unter der Oberfläche. Als Steudtner auftauchte, war sein Sichtfeld auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft. Alles, was er noch sah, war die Hand seines Partners, der ihn auf den Jetski zog. Surfen konnte Steudtner nicht mehr, aber bis zum Abend saß er noch am Strand und schaute hinaus. Er war fast gestorben. Er war aber auch die größte Welle der Welt gesurft. Für ihn war es einer der schönsten Tage seines Lebens.

Die Brecher in Nazaré haben keinen Namen. Noch nicht. In einer Marketingagentur in Porto grübeln sie gerade darüber. Sie haben für die Welle einen jährlichen Werbewert von einer Million Euro errechnet. Die Sandbank, auf die sie bricht, ist schon getauft. Von portugiesischen Fischern im 18. Jahrhundert. Werbewirksam ist der Name nicht: Die Bank, die Witwen macht.

Informationen

Portugal

Portugal

(Foto: SZ Grafik)

Anreise: Flug mit Lufthansa nach Lissabon hin und zurück ab 136 Euro pro Person, www.lh.de; weiter ca. 100 Kilometer per Mietwagen. Avis Portugal, Kleinwagen ab 59 Euro pro Tag, www.avis.de

Unterkunft: Lissabon: Hotel Inspira Santa Marta an der Avenida da Liberdade, DZ mit Frühstück ab 78 Euro pro Person, www.inspirahotels.com; Nazaré: Hotel Miramar, DZ mit Meerblick inklusive Frühstück ab 33 Euro pro Person, www.miramarnazarehotels.com

Reisearrangements: Dertour bietet Reisen nach Nazaré mit Flügen und den genannten Hotels an, www.dertour.de oder unter der Hotline 069/95885928.

Weitere Auskünfte: Informationen zur Welle am Nordstrand: www.praiadonorte.com.pt; Surfschule: www.nazaresurfschool.pt

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema