Portugal:Viel Wirbel um die Welle

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Die Aufnahme, die die Geografie der Surfer verschoben hat: Der Hawaiianer Garrett McNamara reitet am 28. Januar 2013 die mehr als 30 Meter hohe Welle vor Nazaré. (Foto: REUTERS)

Bis vor wenigen Wochen war Nazaré ein verschlafenes Fischerdorf in Portugal. Dann entdeckten Surfer hier ein Naturphänomen und der Hawaiianer Garrett McNamara ritt eine unglaubliche Welle. Die Sogwirkung der Aktion ist gewaltig.

Von Fabian Heckenberger

Es gibt Momente, da kommt man dem Monströsen nur noch mit Albernheit bei. Vielleicht tragen die berüchtigtsten Wellen des Planeten deswegen so komische Namen. Vor Hawaii bricht eine Welle, die die Surfer Jaws getauft haben, wie die Kiefer des Weißen Hais. Die Wasserberge bei San Francisco heißen Mavericks, benannt nach den unzähmbaren Pferden im Wilden Westen. Vor Kapstadt grollen Dungeons, Kerker. Und Theahupoo auf Tahiti klingt nett, bedeutet aber: Das Ende des Weges, was wohl exakt die Erfahrung beschreibt, von ziemlich viel Wasser im Rücken auf das Riff geschleudert zu werden.

Die Welle vor Nazaré, dem kleinen portugiesischen Fischerdorf 120 Kilometer nördlich von Lissabon, hat keinen Namen. Sie ist einfach: die größte Welle der Welt. Wäre ja unsinnig, sie wegen solch einer Kleinigkeit zu taufen. So sehen das die alten Frauen, die in ihrer Tracht oben auf der Steilküste vor der Kirche der Nossa Senhora da Nazaré frischen Robalo, Wolfsbarsch, verkaufen. So sieht das in portugiesischer Gelassenheit auch Mama Celeste, Besitzerin und Köchin des Restaurants A Celeste, das jeden Winter mehrmals von den Wassermassen überflutet wird. "Die Welle ist einfach schon immer da", sagt die 76-Jährige, als sie wie jeden Mittag, die Kochmütze auf dem Kopf, ihren Käsekuchen verspeist. Mehr will sie dazu auch gar nicht sagen.

Die Welle kommt jeden Winter, rollt kilometerweit an, baut sich auf zu einem Berg, der in Weißwasser explodiert. Nach einem besonders heftigen Sturm knickte vor zwei Jahren der Leuchtturm am Südstrand unter den Brechern ein. Seitdem hängt er schief auf der Hafenmole. Sie werden ihn nicht wieder aufrichten. Die Welle kommt ja ohnehin irgendwann zurück. So war das immer. Kein Grund zur Aufregung. Bis zum 28. Januar 2013.

An diesem Tag ritt der Hawaiianer Garrett McNamara, Spitzname G-Mac, in Nazaré die vermutlich größte Welle, die jemals gesurft wurde. Mehr als 100 Fuß, also mehr als 30 Meter hoch. Offiziell bestätigt ist das noch nicht. Die Surfszene streitet sich noch mit den Experten vom Guinness-Buch der Rekorde, ob man die Welle vorne oder hinten misst. Und ob der Rekord gültig war, weil die Welle nicht wirklich brach, sondern unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammensackte.

Allerdings: Mittlerweile ist das schon fast egal, denn es gibt ein ikonisches Foto, das im Januar vom Surffotografen Tó Mané geschossen und von einem jungen Bodyboarder aus Nazaré namens Dino Casimiro im Netz verbreitet wurde. In den Tagen danach prangte das Bild auf Titelseiten von Magazinen und Tageszeitungen weltweit. Die mittelalterliche Festung an Nazarés Praia do Norte mit der roten Leuchtturmspitze. Dahinter: eine schäumende Wand mit einem Punkt darauf, der eine weiße Spur aus Gischt in das Wasser zieht. Der Punkt, das ist Garrett McNamara.

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Seitdem weiß die Welt, wo Nazaré liegt. Seitdem hat sich die Geografie der Surfszene verschoben. Die besten Wellenreiter verbringen die Monate von Dezember bis April nicht mehr nur auf Hawaii, sondern in Portugal. Der elfmalige Weltmeister Kelly Slater war vergangenen Winter dort, ebenso wie Sebastian Steudtner aus Nürnberg, der zu den zwei Dutzend Menschen weltweit gehört, die Wellen dieser Größe surfen. In Nazarés kleinem Hafen liegen plötzlich PS-starke Jetskis zwischen hölzernen Segelbooten. Die Riesenwellen bewegen sich zu schnell, als dass man hineinpaddeln könnte. Die Surfer lassen sich deswegen von ihrem Partner hineinziehen.

Am Schotterweg, der hinunter zur Festung am Nordstrand führt, parkt seit einigen Wochen ein roter VW-Bus, aus dem heraus ein geschäftstüchtiger Mann namens Jorge T-Shirts und Mützen verkauft. Sie tragen die Aufschrift: "Nazaré - The Biggest Wave of the World". Das ist nur ein kleiner Teil des Geschäfts, das in Nazaré gerade im Sog der Welle aufgebaut wird. Wenn McNamara in der Stadt ist, werden am Strand mittlerweile Fahnen mit seinem Konterfei gehisst. Wenn er und andere Big-Wave-Surfer an den großen Tagen mit ihren Brettern auf dem Meer unterwegs sind, bekommen die Kinder in Nazaré schulfrei, um von der Steilküste aus die neue Attraktion ihres Heimatortes bestaunen zu können.

Drinnen in der Festung hat die Stadt ein Museum eingerichtet: Bilder der Küste von Nazaré, Bilder von McNamara, eine Urkunde des Rekords für die damals höchste gesurfte Welle aus dem Jahr 2011. Die war allerdings nur 90 Fuß hoch. Bei Mama Celeste im Restaurant lehnt ein von McNamara signiertes Surfbrett an der Wand: "Celeste is da best" steht in bestem Slang darauf. Die Surfer haben das Fischrestaurant zu ihrem Stammlokal erklärt. Hier haben sie im Winter mit Weißwein McNamaras weltberühmten Ritt begossen, ebenso wie dessen Hochzeit, die er oben auf der Festung feierte. Natürlich mit den Wellen im Hintergrund. André, der Kellner, erklärt jedem Gast gerne und stolz, was G-Mac am liebsten isst: Grelos, gekochten Stängelkohl.

Auf dem Weg zur nächsten Welle: Garrett McNamara in Praia do Norte bei Nazaré. (Foto: REUTERS)

Der Fernsehsender Zon hat sich exklusiv die Übertragungsrechte gesichert, wenn McNamara die Wellen reitet. Dass Vasco da Gama vor seiner Reise nach Indien in Nazaré Station gemacht hat? Dass Stanley Kubrick vor Jahrzehnten als Fotograf die Altstadt in Schwarz-Weiß-Bildern in Szene setzte? Geschenkt. Die Welle hat so manches beiseitegespült: die hohe Arbeitslosigkeit, die Kriminalität am Strand. Stattdessen ist der Zirkus in der Stadt. Vorhang auf, todesmutige Surfer, Vorhang zu. "Wissen Sie, wann heute die Surfshow beginnt?", fragt ein Tourist auf der Promenade. Aber so läuft das natürlich nicht.

Eine zurechtgerückte Perspektive bietet sich an anderer Stelle. Wer verstehen will, was auf dem Meer vor Nazaré passiert, muss genau dorthin: raus aufs Meer. Sebastian Steudtner hat vorgeschlagen, mit einem Jetski rauszufahren, aber die Wellen sind an diesem Tag im April doch nur hütten- und nicht haushoch. Steudtner kennt eine Strömung, die einen, nun ja, recht gefahrlos auf dem Surfbrett hinaus an die Stelle bringt, wo nach den Atlantik-Stürmen 300 Meter vor dem Strand die großen Wellen brechen.

Zwischen dem Surfbrett und dem Meeresgrund liegen hier ungefähr fünf Kilometer Salzwasser. Wie ein Pfeil läuft ein Canyon im Meeresboden vom offenen Ozean auf die Festung vor Nazaré zu. 150 Kilometer lang. In diesem Graben sammeln sich die Wellen, laufen bis kurz vor die Küste, wo der Canyon sich abrupt verengt, der Meeresboden wie eine Stufe ansteigt und das Wasser sich zu dieser einmaligen Welle aufbäumt.

Steudtner reist seit mehr als einem Jahrzehnt den höchsten Brechern der Welt hinterher. Er liegt auf seinem Brett, unter ihm rollen die Wasserhügel vorbei. "So etwas wie das hier habe ich noch nie gesehen", sagt der 27-Jährige. Er verdient sein Geld nicht mit Sponsoren, er tritt nicht mehr im Fernsehen auf. Steudtner hält ab und zu Vorträge vor Managern in Anzügen - über Grenzerfahrungen. "Das ist Theorie, in Worten kann man nicht vermitteln, was für ein Gefühl es ist, solch eine Welle zu surfen."

Vor einigen Wochen ist Steudtner vor Nazaré fast ertrunken. Er trainiert das ganze Jahr über im Kraftraum und mit Apnoe-Tauchen für den Ernstfall. Ernstfall bedeutet: Hunderte Tonnen Weißwasser halten die Surfer nach einem Sturz minutenlang unter der Oberfläche. Als Steudtner auftauchte, war sein Sichtfeld auf Stecknadelkopfgröße geschrumpft. Alles, was er noch sah, war die Hand seines Partners, der ihn auf den Jetski zog. Surfen konnte Steudtner nicht mehr, aber bis zum Abend saß er noch am Strand und schaute hinaus. Er war fast gestorben. Er war aber auch die größte Welle der Welt gesurft. Für ihn war es einer der schönsten Tage seines Lebens.

Die Brecher in Nazaré haben keinen Namen. Noch nicht. In einer Marketingagentur in Porto grübeln sie gerade darüber. Sie haben für die Welle einen jährlichen Werbewert von einer Million Euro errechnet. Die Sandbank, auf die sie bricht, ist schon getauft. Von portugiesischen Fischern im 18. Jahrhundert. Werbewirksam ist der Name nicht: Die Bank, die Witwen macht.

Informationen

Portugal (Foto: SZ Grafik)

Anreise: Flug mit Lufthansa nach Lissabon hin und zurück ab 136 Euro pro Person, www.lh.de; weiter ca. 100 Kilometer per Mietwagen. Avis Portugal, Kleinwagen ab 59 Euro pro Tag, www.avis.de

Unterkunft: Lissabon: Hotel Inspira Santa Marta an der Avenida da Liberdade, DZ mit Frühstück ab 78 Euro pro Person, www.inspirahotels.com; Nazaré: Hotel Miramar, DZ mit Meerblick inklusive Frühstück ab 33 Euro pro Person, www.miramarnazarehotels.com

Reisearrangements: Dertour bietet Reisen nach Nazaré mit Flügen und den genannten Hotels an, www.dertour.de oder unter der Hotline 069/95885928.

Weitere Auskünfte: Informationen zur Welle am Nordstrand: www.praiadonorte.com.pt; Surfschule: www.nazaresurfschool.pt

© SZ vom 02.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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