Partystadt Belgrad in Serbien:Feiern, bis der Aufschwung kommt

Lesezeit: 5 min

Fahrrad fahren im siebten Stock, Roséwein trinken aus der Flasche: In Belgrad wird das anarchische Nachtleben zwar zunehmend vermarktet. Aber es gibt immer noch ein paar Orte, an denen alle verrückt spielen.

Cornelius Pollmer

Der Ruf kann einer Stadt vorauseilen, oft hängt er ihr aber auch nach. Das gilt ganz besonders für den Beinamen "Partyhauptstadt", diesen seltsamen Wanderpokal der Lustreisenden, von dem man als Lokalpolitiker gewiss nicht weiß, ob man ihn überhaupt gewinnen möchte. Belgrad jedenfalls hat ihn gewonnen, irgendwann nach Tallinn, irgendwann vor Berlin, es gilt noch immer als Partyhauptstadt, aber was heißt das?

"Du hattest das Gefühl, morgen könnte es vorbei sein." Während des Krieges feierten die Szenegänger im Feuerschein der Bomben. Später siedelten sie über aufs Partyschiff. (Foto: AFP)

Es könnte bedeuten, dass es hier eine spannende Club- und Kulturszene gibt, es könnte aber auch heißen, dass dicke Engländer übers Wochenende im Easyjet einfliegen, um sich mit billigem Slibowitz das Hirn wegzuschädeln.

Wer Ruf und Realität im Jetzt vergleichen möchte, der sollte mit Ralph van der Zijden durch die Stadt radeln, einem Rastlosen, den das Leben quer durch Europa geflippert hat. Van der Zijden kommt aus den Niederlanden, er lebte mal eine Weile in Kosovo und veranstaltet heute Fahrradtouren durch Belgrad. Er hat den Krieg Ende der Neunziger miterlebt, doch scheint dieser ihm schon wieder sehr weit weg.

Mit einem Lächeln erzählt er an diesem warmen Tag im Mai von jungen Leuten in Belgrad, die sich damals "nach ein paar Tagen an das Chaos gewöhnt" hätten. Sie hätten Rooftop-Partys auf den Dächern der Stadt gefeiert und bei ein paar Bier den Bombenregen der Nato aus möglichst sicherer Entfernung beobachtet. "Du hattest das Gefühl, morgen könnte es vorbei sein", sagt van der Zijden, aber selbst aus dieser Not hätten sie noch eine Tugend gemacht: "Yeah, jeder hatte eine Freundin damals!"

Nach dem Krieg überkam Belgrad ein noch kräftigerer Vergnügungsdurst. Die Partyschiffe brummten, viel westliches Plastik kroch in die Balkan-Beats der DJs und in die Brüste junger Frauen. Selbst in der alten Pulverkammer unter der Festung von Belgrad tanzten und tranken die Menschen, und das ist natürlich ein gutes Zeichen, wenn eine Stadt für seine Pulverkammer keine Erstverwendung mehr hat - zumal in Belgrad, das in seiner Geschichte etwa 80-mal hin- und hererobert wurde.

Heute gibt es Frieden und Freude in Belgrad, aber auch einen unbewaffneten Konflikt darum, wer vom Eierkuchen die größten Stücke abbekommt. Es geht um die Frage, wie wild und frei diese Stadt bleiben möchte - und darum, welches Maß an Kommerzialisierung und Gentrifizierung erstrebenswert ist für einen Ort, an dem die Menschen nach dem ständigen Aufbruch auch mal einen Aufstieg erfahren möchten.

Das freie und wilde Belgrad ist jenes, das Ralph van der Zijden "den unentdecktesten Ort Europas" nennt. Am besten sucht man diesen Ort bei tiefer Nacht, und dann wird man bald im Bigz landen, einem mächtigen Sowjetbau im Stadtteil Senjak.

Selbst nach zwei Uhr bringen die Taxis mehr Menschen hier hin, als sie wieder mitnehmen; Künstler und Musiker, Designer und Verlorene. Über einem Eingang im siebten Stock steht: TT3. Und genauso darf man sich das hier vorstellen: Menschen fahren mit klingelnden Fahrrädern über die Flure, andere verbiegen Leuchtstäbe zu Spaßbrillen. Auf den Tischen stehen leere Rosé-Flaschen, die ohne den Umweg über Gläser geleert worden sind, und man muss nur ein paar Leuten in die Augen schauen, um zu wissen: Die Frage ist nicht, ob man hier Drogen kaufen kann. Die Frage ist nur, welche - und ob man nicht lieber die Finger davon lassen sollte.

Feiern auf einem Open-Air-Konzert in Belgrad. (Foto: AFP)

Das spätpubertäre Treiben im Bigz beginnt gerade erst so richtig zu blubbern, da senkt sich anderswo die Luft schon ins schal-süßliche. Zwei Kilometer weiter steht das Mikser-Haus, seine Betreiber haben an diesem Abend mit ein paar hundert Leuten für das jährliche Festival vorgeglüht, und dies offenbar erfolgreich. Ein Teppich aus Tuborg-Plastikbechern bedeckt den Boden, hier und da ragt ein Sitz aus gestapelten Eierkartonpaletten heraus. Das Apple-Powerbook, aus dem die Musik für die Nacht kam, glimmt noch ein bisschen, und selbst die grünen Sitzsäcke am Rand sehen zerknautscht und müde aus.

Auf den ersten Blick macht das keinen großen Unterschied, ob jemand den Rosé aus der Flasche oder das Tuborg aus dem Becher trinkt, hier wie dort hatten Menschen gewiss einen schönen Abend. Aber am Tag danach fallen sie weit auseinander, das freie Belgrad im Bigz und das vielleicht neue im Mikser-Haus.

Maja Lalic hangelt sich an einem pdf im Vollbildmodus entlang, wenn sie vom Mikser-Festival spricht, so groß und unübersichtlich ist das Projekt inzwischen geworden. Die Kerndaten: Das Mikser-Festival möchte ein Hort für "Kreativität und Innovation" sein, es zielt auf die regionale Kulturindustrie ab, und weil inzwischen 200.000 eher junge Menschen es besuchen, wird es von Firmen wie Chevrolet, Red Bull und Converse gesponsert.

Das Festival ist eine riesige Kollaborationsmaschine, "und wir versuchen", sagt Lalic, "neben den Projekten von Künstlern auch viele Lobby- und Geschäftstermine anzubieten". Die Projektfinanzierung ist inzwischen siebenstellig, das Ziel sei es, aus Kunst und Kultur "auch eine Ökonomie zu entwickeln, damit wir in diesem Land bleiben können und von unserer Arbeit leben".

Lalic ist kreative Direktorin des Mikser-Festivals, sie hat in den USA studiert und in New York gelebt, aber dann wollte sie versuchen, das gute Leben auch in ihrer Heimat zu finden. Ihr Weg soll auch die Botschaft des Festivals sein: "Macht etwas. Bittet um ein bisschen Hilfe, wenn ihr sie braucht, aber wartet nicht darauf, dass von selbst etwas passiert."

Was das genau bedeutet, wird als nächstes der Stadtteil Savamala erleben, ein etwas eingefallenes Gebiet, aus dem sich die industrielle Arbeit längst verzogen hat.

Das Mikser-Festival soll Savamala verändern. Architekten werden Häuser umgestalten, Sponsoren stehen Pate für Stadtentwicklungsprojekte, an deren Ende sie ihre Plakette an den Park, den Spielplatz, die Installation pappen dürfen. "Wir wollen mit dem Festival einen Entwurf davon liefern, wie es hier einmal aussehen soll", sagt Lalic. In ein paar Jahren schon werden sie dann an den nächsten Ort in Belgrad ziehen und dort wieder von vorne anfangen. Denn: "Unsere Rolle ist es, heruntergekommene Gebiete in der Stadt zu identifizieren und sie zu befruchten", sagt Lalic. Gentrifizierung sei da kein Schimpfwort, "wir wollen das!"

Lalic istauf Seite 50 des pdfs angekommen, vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Man würde jetzt sofort unterschreiben, egal was, aber dann läuft man doch die paar Meter vom Mikser-Haus zum Kulturzentrum KC Grad, um mal zu fragen, ob die Zukunft hier alle so leuchten sehen. Isidora und Luka sehen sie schon mal nicht so. Mit befreundeten Künstlern sitzen sie im Garten des Hauses, und sie alle erzählen Neues vom Mikser: Das Festival sei "eine neue Art der Kollektivierung", sagt Isidora, eine fragwürdige Monopolisierung der Kunst. Und es sei zudem eine "billige Ausrede für Gentrifizierung", sagt Luka. Außerdem und überhaupt, sagt Anna, lasse sich "deren Arbeit nicht mit unserer vergleichen. Die machen Kommerzkunst, das ist etwas völlig anderes".

Zum Mikser-Festival kommen regional bekannte Galeristen und große Architekten, zum Teil finanziert über die Scheckbücher von Weltkonzernen. Im KC Grad haben sie im ersten Stock eine Ausstellung unbekannter Künstler hingeschludert, mit unbekanntem Erfolg. Mikser bewirkt etwas, die Stadt verändert sich dadurch, man sieht Ergebnisse. Die Leute im Bigz und im KC Grad wollen eigentlich nur in Ruhe gelassen werden und ihren Kram machen.

Bei Mikser kommen am Ende Partys wie die mit den Tuborg-Bechern heraus. Partys, die vielleicht nett sind, die man so aber auch in jeder anderen europäischen Großstadt erleben könnte. Das gilt nicht für die Nächte im Bigz, wo das Lokalkolorit neonbunt leuchtet.

Belgrad kann beides wahrscheinlich gut gebrauchen, und weil man im Spiel "Guter Künstler, böser Künstler" jetzt auch nicht weiterkommt, fragt ein Journalist im KC Grad schließlich noch, ob es stimme, dass Belgrad das neue Berlin sei. Anna sagt, "Belgrad sollte nicht das neue Berlin sein. Belgrad sollte das neue Belgrad sein", und damit ist der Wanderpokalkrimi vorerst entschieden. Die Zeit, in der Belgrad einzig Partyhauptstadt gewesen sein soll, ist gewiss vorbei. Und nun? Tja.

Der Ruf kann einer Stadt vorauseilen, oft hängt er ihr auch nach, und manchmal ist es wohl einfach so, dass er etwas verloren durch die Straßen streift und selbst noch nicht so richtig weiß, was er der Welt da draußen eigentlich zu erzählen hat.

Informationen:

Anreise: Flüge von München nach Belgrad nonstop mit Lufthansa ab ca. 130 Euro

Unterkunft: Hotel Crystal, Telefon: 00381/117151000, DZ ab 120 Euro; crystalhotel-belgrade.rs

Arrangement: Ca. 40 deutsche Veranstalter haben Serbien im Programm, darunter Ikarus, Dr. Tigges und Lernidee Reisen. Ralph van der Zijden organisiert Radtouren: ibikebelgrade.com; das Bigz liegt am Bulevar Vojvode Mišica 17.

Mikser-Festival mikser.rs; Informationen über das KC Grad: gradbeograd.eu Weitere Auskünfte: serbien.travel; tob.rs

© SZ vom 12.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: