Schon der Name stimmt. Die Long Street in Kapstadt ist wirklich lang. Mehr als drei Kilometer schiebt sie sich kerzengerade durchs Zentrum. Aber allein an der Länge liegt es nicht, dass hier für alle etwas geboten ist: für die Backpacker und die Pauschaltouristen genauso wie für den gut informierten Kapstädter, der genau weiß, wo er hinwill. Warum? Diese Frage lässt sich am besten bei Nacht beantworten. Und die fängt auf der Long Street schon früh an.
Im Gegensatz zu anderen Ausgehmeilen mutiert jene der Kapstädter bei Tag nämlich nicht zu einem unansehnlichen Kulissenfriedhof, dem der Weichzeichner der Nacht schmerzlich fehlt. Rein architektonisch betrachtet ist die Long Street sogar eine der hübschesten Straßen, die Kapstadt zu bieten hat. Viktorianische Kolonialhäuser mit weiß verzierten, schmiedeeisernen Balkonen stehen neben prächtigen Art-déco-Villen. Antiquitätengeschäfte und Fundgruben wie Merchants on Long, Afrikas erster Concept Store für Design und Mode, wechseln sich mit Restaurants, Bars und Clubs ab. So mancher Shoppingtrip endet da am Tresen. Nur in welchem der vielen Lokale, die hier gerne mal per Musikbeschallung ihr Revier abstecken?
Uno July und Lukhona Sitole wissen es. Uno alias Tommy Jinxx ist klein und zierlich, sein Rap-Partner Lukhona alias Jimmy Flexx im Blaumann groß und hager. Beide zusammen ergeben die Hip-Hop-Band Ill Skillz. Gerade haben sie in London ihre neue Platte "Notes From the Native Yards" produziert. Doch Kapstadt ist nach wie vor ihre Heimat, die Township, in der beide leben, der Kosmos, aus dem sie für ihre Musik schöpfen, die Long Street dagegen ist ihr öffentliches Wohnzimmer.
Uno July und Lukhona Sitole rappen in Kapstadt - und sie kennen das Nachtleben der Stadt, in der sich gerade eine Bier-Revolution vollzieht.
(Foto: Ill Skillz Entertainment)"Diese Straße besteht aus schrägen Typen", sagt Lukhona Sitole, während er an einem kleinen Holztisch auf dem Trottoir vor der Royale Eatery sitzt. Wer sich nicht zu Hause die ersten Drinks genehmigt, um Geld zu sparen, trifft sich vor dem Feiern zum gemeinsamen Abendessen, und hier gibt es laut den beiden Kapstadts beste Burger. Die hoch aufgetürmten Doppeldecker, die großflächig tätowierte Kellnerinnen aus dem Lokal tragen, sind tatsächlich köstlich. Genauso wie die frisch gepressten Fruchtsäfte, das Bier der lokalen Brauerei oder der süße Sahnecocktail, den Uno July ordert. Er trinkt keinen Alkohol.
Im Zuge der WM-Vorbereitung hat sich in Kapstadt in den vergangenen Jahren eine lebendige Gastroszene entwickelt, sodass es schwerfällt, sich für ein Lokal zu entscheiden. Ein, zwei Jahre vor dem Anpfiff fing es mit Kaffee an. Da eröffneten die ersten Röstereien in einer Stadt, deren Bevölkerung wie eigentlich überall in Südafrika aus Rooibostee-Trinkern besteht. Wenn überhaupt Kaffee bestellt wurde, dann der günstige Filterkaffee aus der Kanne. Das hat sich radikal verändert. Cafés wie Bean There, Truth und Skinny Legs überbieten sich in ihrer Version der italienischen Kaffeekunst. Selbst in Khayelitsha, einer der bekanntesten Townships Kapstadts, kann man seit Kurzem hervorragenden Espresso, Cappuccino und Latte Macchiato ordern. Aus Fair-Trade-Kaffeebohnen, versteht sich.
Was mit der Begeisterung für lokal gerösteten Kaffee losging, hat sich mittlerweile auf den kompletten Gastronomiebereich ausgedehnt. Mit dem Neighbourgoods Market jeden Samstag gibt es im Viertel Woodstock einen Feinkostmarkt, der es mit dem Borough Market in London aufnehmen kann. Und auch die Inneneinrichtung der Restaurants orientiert sich am globalen Hipster-Schick: breite Holzdielen, auf denen bunt zusammengewürfeltes Mobiliar, gerne mit Flohmarkt-Touch, steht. Die Wände schmückt - am liebsten dicht an dicht in Petersburger Hängung - ein wildes Potpourri aus Zeichnungen, Fotos und Gemälden. Bestes Beispiel ist die Royale Eatery selbst, sie könnte ihre Burger genauso in San Francisco, Berlin oder Kopenhagen verkaufen. Zu denselben Preisen.
An unserem Tisch marschiert ein Trupp junger Männer vorbei. Arbeiter, erklärt Uno. Sie sind auf dem Weg zum Bahnhof ein paar Kilometer weiter südlich. Einen Blick für das bunte Getümmel in den sich langsam füllenden Burgerläden, Fish-and-Chips-Buden oder Pop-up-Restaurants in der Long Street haben sie nicht. Ein erster Hinweis auf die vielen Paralleluniversen, aus denen Kapstadt besteht: Wer in welchem Viertel wohnt, was für einen Job er hat und wie er seine Freizeit gestaltet, das entscheidet hier oft immer noch die Hautfarbe. Weiße verdienen in Südafrika im Schnitt sechs Mal so viel wie Schwarze. Ein Burger in der Royale Eatery ist bei dem Verdienst eines Arbeiters nicht drin.
Uno July und Lukhona Sitole sind schwarz. Und sie sind erfolgreich. Doch ihre Wurzeln haben sie nicht vergessen. Uno July ist sogar aus dem Zentrum zurück nach Gugulethu gezogen, die Township, in der er zuerst wohnte, als er nach Kapstadt kam. Wer dort lebt, weiß, wie ungerecht die Ressourcen dieser Stadt verteilt sind. In ihren Texten rappen Ill Skillz darüber. Aber auch die Long Street zeigt: Viele Läden sind von weißen Besserverdienern bevölkert. Weiße Kellner dagegen sind die absolute Ausnahme. Hat Mandelas Kampf also nichts gebracht?