Mitten in Absurdistan:Schulwegbegleitung auf Samtpfoten

In Davos regnet es Geld und keiner vermisst es. Eine Katze in München benimmt sich wie ein Hund und bringt einen kleinen Jungen an den Rand der Verzweiflung. Und in Berlin dürfen Touristen ein bisschen Schwarzfahren.

SZ-Korrespondenten berichten Kurioses aus aller Welt

30 Bilder

Preparations For The Davos World Economic Forum 2013

Quelle: Bloomberg

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In Davos regnet es Geld und keiner vermisst es. Eine Katze in München benimmt sich wie ein Hund und bringt einen kleinen Jungen an den Rand der Verzweiflung. Und in Berlin dürfen Touristen ein bisschen Schwarzfahren.

Mitten in ... Davos

Ich schaue gerade auf mein Handy, da trifft mich ein Geldschein im Gesicht. 50 Franken. Ein zweiter, 10 Franken, segelt vor mir zu Boden. Ich schaue hoch. Das Geld scheint nirgendwo herzukommen. Auf der anderen Straßenseite ist eine Bank, eine Frau hebt am Automaten gerade etwas ab. Doch nein, die Scheine sind nicht von ihr. "Ich habe mein Geld im Portmonnaie", sagt sie. Ein älterer Herr mit Wanderschuhen schaut herüber: "Na, wie viel sind's? 70 Stutz?" - "60". Immerhin fast 50 Euro.

Wir warten ein paar Minuten, die beiden Scheine in der Hand. Niemand kommt zurück, um sein Geld zu suchen, niemand fragt, worauf wir warten. Der Alte zuckt mit den Schultern. "Das vermisst hier wohl keiner", sagt er. Es vergehen noch ein paar Minuten. Der Alte wendet sich zum Gehen. "Nehmen Sie's mit. Ist ein gutes Souvenir aus Davos."

Charlotte Theile, SZ vom 28./29. Juni 2014

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Quelle: Martin Arz

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Mitten in ... München

Katzen, so sagt man, sind höchst unabhängige Wesen. Sie gehen ihren eigenen Weg, sind unberechenbar für ihre Besitzer. Meister Yoda heißt die kleine schwarz-weiße Katze, die sich bei uns schon frühmorgens unter der Hecke versteckt und augenscheinlich einen Plan verfolgt. Kaum verlassen die Kinder das Haus, flitzt sie hinterher. Meist sind das nur ein paar Meter.

Doch heute klingelt es 20 Minuten später an der Tür: völlig aufgelöst der Jüngste, das Tier schaut treu zu ihm hoch. Es war bis vor den Eingang zur Schule mitgelaufen. Verscheuchen, sich verstecken - nichts half. Und so musste Yoda zurückeskortiert werden, in großer Sorge, sie würde den Heimweg nicht finden.

Jetzt aber schnell, die Schule beginnt gleich. Im Auto sagt der Zweitklässler: "Das nimmt mir die Lehrerin nie ab, so etwas machen doch nur Hunde."

Ulrike Heidenreich, SZ vom 28./29. Juni 2014

Schaffner bei Fahrkartenkontrolle

Quelle: dpa

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Mitten in ... Berlin

Wer auf dem deprimierenden Flughafen Schönefeld landet, will sofort weg. Taxi ins Zentrum kostet ein Vermögen, also Regionalbahn. Einziges Problem: An der Station gibt es nur vier Fahrkartenautomaten. Die sind so kompliziert, dass Berlin-Neulinge eine halbe Stunde brauchen, bis das Ticket gedruckt ist. Menschentrauben bilden sich vor den Automaten.

Deshalb haben wir schon vor der Rückkehr aus Tel Aviv Fahrkarten gekauft. Selig laufen wir an den Automaten vorbei, 20 Minuten nach der Landung fahren wir los. Prompt kommt eine Kontrolleurin. Zwei Engländer haben keine Tickets. Sie kaufen welche im Zug. Seltsam, das ist seit einem Jahr nicht mehr erlaubt. Oder? Die Schaffnerin lächelt: "Geht natürlich nicht. Aber was sollen die für einen Eindruck von Berlin bekommen, wenn sie gleich beim Schwarzfahren erwischt werden?"

Thorsten Schmitz, SZ vom 28./29. Juni 2014

491714365

Quelle: AFP

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Mitten in ... Himera

Ob Reisebegleiter gute Miene zur Ruine machen oder in lautes Lamentieren verfallen, wenn die Besichtigung historischer Stätten droht, ist eine Sache des Geschicks. Wenn es echt was zu sehen gibt, steigen die Chancen: Pompeij, Ritterburgen und so. In Himera, Nordsizilien, gibt es fast nichts zu sehen. Daran sind die miesen Karthager schuld, welche die griechische Großstadt 409 v. Chr. dem Erdboden gleichmachten. Welchen Sinn es haben solle, wandten die Begleiter ein, etwas anzuschauen, was man gar nicht anschauen kann, weil, zur Hölle, es seit 2400 Jahren verschwunden ist? Das Argument, das sei ja gerade das Spannende, wurde roh verlacht. Der Ausflug entfiel.

Am Abend saßen wir auf der Piazza einer real existierenden Stadt und sprachen über das Vergängliche aller Größe, allen Ruhms. Es ging um Spaniens Nationalmannschaft. (Im Bild: Spaniens Fernando Torres nach dem WM-Aus)

Joachim Käppner, SZ vom 28./29. Juni 2014

Felipe VI Letizia Spanien König Königin

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Madrid

Es ist der zweite Tag der Herrschaft Felipes VI., und es ist zwei Tage nach dem Debakel der Spanier bei der Fußball-WM. Der Andenkenladen hinter der Oper verramscht die roten Trikots mit den Namen der gefallenen Helden: vorher 19,99 Euro, nun 4,99. Der Pächter Enrico hat die rot-gelb-roten Fahnen mit der Parole "Weltmeister 2010-2014" schon weggepackt und will auch die Pappkronen mit dem Aufdruck "Die Könige 2010-2014" ins Altpapier geben, als zwei Engländerinnen den Laden betreten. Sie wollen zwei Kronen für je 3,99, sie seien Felipe-und-Letizia-Fans, sagen sie. Eine glückliche Fügung: Das spanische "Los Reyes" heißt nicht nur "die Könige", sondern auch "das Königspaar". Schnell pappt Enrico auf die Jahreszahl 2010 einen Aufkleber mit den Konterfeis der Majestäten. Die Kronen kosten nun 5,99. Es lebe der König!

Thomas Urban, SZ vom 21./22. Juni 2014

Eiswürfel Zange Glas

Quelle: Robert Haas

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Mitten in ... Washington

Ein Hauptstadtlokal, die Terrasse, ein Tisch voller Europäer. Fast 40 Grad. "Erst mal eine Runde Leitungswasser?", fragt der Kellner. Eine nette Sitte bei den Amerikanern: Die Gäste löschen ihren Durst, bevor sie darüber nachdenken, wie sie ihren Durst löschen. "Bitte ohne Eis, das Wasser", sagen die Europäer. Wenn Europäer nicht gerade Caipirinha trinken, verachten sie Eis in Getränken. Sie halten Eiswürfel für erkältungsfördernd, übelschmeckend oder gar für eine weitere imperialistische Unsitte. "Ja, Eis", sagt der Kellner. "Nein", sagen gleich mehrere Europäer - "without". Der Kellner nickt. Sein Blick sagt: So welche seid ihr also: verschroben, womöglich asozial. No ice. No ice! Bald bringt ein Gehilfe sieben Plastikbecher, bis oben voll mit Eis. Die Europäer saugen resigniert an den Strohhalmen. Zurzeit schmilzt es ja immerhin recht schnell.

Nicolas Richter, SZ vom 21./22. Juni 2014

A Johann Wolfgang von Goethe plastic statue, designed by Ottmar Hoerl stands at the campus of the Goethe University in Frankfurt

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... München

Sie hat dem Amerikaner in die richtige U-Bahn geholfen, er ist auf dem Weg zum Deutschkurs. Jetzt steht sie ihm erwartungsvoll gegenüber: die junge blond gelockte Frau, etwas schüchtern, der braun gebrannte Ami in kurzen Hosen und Converse. Sie findet ihn augenscheinlich gut, nur will sich ein Gespräch nicht so recht entwickeln. Der Ami scannt die anderen weiblichen Fahrgäste. Seine Helferin versucht, ihn mit aufmunternden Sätzen für die deutsche Sprache zu motivieren und für sich. Da verhilft ihr die Haltestelle "Goetheplatz" zu einem Einfall. Sie zeigt auf das Schild und lächelt. "Goethe", liest er vor. "Yes", sagt sie, "he wrote some poems and other things." Ihr Trumpf folgt in charmantem Englisch-Bayrisch: "Actually he was a european traveller!" Goethe, der alte Backpacker. Da muss der Sprachstudent leider aussteigen.

Lisa Rüffer, SZ vom 21./22. Juni 2014

Im Bild: Goethestatue auf dem Campus der Frankfurter Goethe-Universität

Eis

Quelle: iStockphoto/online.sdeleben

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Mitten in ... Istanbul

Eine schmal-steile Straße in Cihangir, Menschen wimmeln vor sich hin und durcheinander. Dann, aus dem Nichts, vor dem Kiosk an der Ecke: Rudelbildung. Sechs, vielleicht sieben junge Männer wirken, noch verbal, auf den Ladenvorsteher ein. Das Crescendo ist beeindruckend, und auch sonst rechtfertigen die Männer zwar manchen Verdacht, aber gewiss nicht jenen, in ihrer Freizeit heimlich Pantomime zu tanzen. Optisch, ein jeder: eher der Typ Gassenhauer. Die Auseinandersetzung wird heftiger, sie droht, sich zu verkörperlichen, aber dann wird plötzlich doch eine Einigung erzielt, offenbar zu Gunsten aller. Einer der Männer legt einen Schein auf den Tisch und der Ladenvorsteher drückt jedem aus der Gruppe ein Magnum-Mandel in die Hand. Große Zufriedenheit, In-die-Sonne-blinzeln, schoko-knackende erste Bisse.

Cornelius Pollmer, SZ vom 21./22. Juni 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Yangshuo

Ferien. Tandem-Tour zwischen den Reisfeldern von Yangshuo. Gejohle. Bis die Kette reißt. Dann schieben, bis zur Straße. Anruf beim Hotel. "Kein Problem. 15 Minuten." Wir warten. Einmal taucht in der Ferne eine Blechkiste auf, ein Dreirad mit Motor. Der Sohn, aufgeregt: "Ist er das?" "Klaaar", sage ich und schicke mein gutmütiges väterliches Lachen hinterher, das übersetzt in etwa bedeutet: "Ach, mein süßer, unwissender Sohn. Wir sind fünf Leute und zwei Tandems, natürlich wird uns das Hotel einen Kleinbus schicken. Oder einen klapprigen Laster. Auf jeden Fall keinen motorisierten Rollstuhl." In dem Moment hält das Dreirad auf uns zu. Bremst. An der Seite prangen rote Schriftzeichen: "Mobiler Fahrradreparateur". Ein Glatzkopf springt heraus: "Hier bin ich!" Das war Meister Wu. Yangshuos Reisfeld-ADAC.

Kai Strittmatter, SZ vom 14./15. Juni 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Stuttgart

Am Marienplatz, im Süden der Stadt, ist Stuttgart wie Berlin. Sagen die Stuttgarter. Es gibt einige extrem hippe Bars dort, und: eine extrem hippe Eisdiele. Da haben sie sogar eine Kellnerin aus Berlin; nirgends ist Stuttgart so sehr Berlin wie in ihren Händen. "Weeeste schon?", fragt sie, es klingt wie: Bestell doch mal! "Drei Kugeln", sagen wir. Aber welche? Auf der Karte: 20 Sorten. "Vanille und Schokolade", verkünden wir. "Hatt ick eh schon notiert", verkündet die Kellnerin. "Wat noch?" Wir vertiefen uns peinlich lang in die Liste. In dem Moment, in dem wir Pistazie bestellen wollen, sagt die Kellnerin: "Pistazie." Und geht. Was war das denn jetzt? Die Kellnerin erklärt das später: "Entweder du hast in der Karte zu lang uff Pistazie gekiekt. Oder wir zwei haben da so ne Verbindung." Beim besten Willen: Das mit der Karte können wir uns nicht vorstellen.

Roman Deininger, SZ vom 14./15. Juni 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Schiras

Der Mann sucht Augenkontakt, was nicht einfach ist, weil alle stehen, er aber sitzt am Boden auf dem belebten Zugang zum Schāh-Tscherāgh-Heiligtum in Schiras. "Leg da die Hand drauf", sagt er, also geht man in die Hocke, legt die Hand auf eine Handvoll Kichererbsen, zieht sie wieder zurück, und der Alte beginnt, das Schicksal zu ordnen: drei Erbsen nach rechts, die Familie, ein paar nach links, Freunde, ein paar nach oben, eine einzelne abseits, eine leere Hülse kickt er aufs Pflaster. Er erklärt: Hier alles gut, dort auch, viel Glück überall. Die einzelne Erbse? "Da kommt noch etwas." Er hält die Hand auf. 20 000 Rial, 50 Cent, reichen nicht. Das Doppelte möchte er, die Inflation rast ja gerade in Iran - und bei so viel Glück. Aber dann ein Foto, bitte. Er willigt ein, doch die Erbsen bedeckt er mit der Hand. Das Glück mag käuflich sein, er ist es nicht.

Monika Maier-Albang, SZ vom 14./15. Juni 2014

TURKEY- WINE

Quelle: AFP

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Mitten in ... Özbağ

Wer länger in Berlin lebt, kennt das Gefühl: Man kann sich keinen Ort auf der Welt vorstellen, der annähernd an Berlin heranreicht. Deshalb verlassen die Berliner ihre Stadt nur im Notfall - was soll man woanders, wenn man in Berlin sein kann? Die Berliner Familie, die in Zentralanatolien unterwegs ist, fühlt sich deshalb sehr, sehr fremd. Graue Hügel, mehr Steppe als Landschaft. Die Orte karg und einsam, keiner versteht einen. An einer Autobahnraststätte das erste Gespräch. Ein älterer Mann fragt in gebrochenem Englisch, woher man komme. Berlin, sagt die Familie. "Ah, Berlin!", sagt er und wechselt in das flüssige Deutsch von Türken, die in Deutschland gelebt haben. "Kreuzberg, Kottbusser Tor!" Und mit einem Mal fühlen sich die Berliner wie so viele Deutsche, wenn sie auf Mallorca ein Schnitzelrestaurant entdecken: angekommen.

Verena Mayer, SZ vom 14./15. Juni 2014

Alan Bates und Anthony Quinn in Alexis Zorbas

Quelle: Cinetext Bildarchiv

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Mitten in ... Zakynthos

Es ist ganz schön was los auf der ionischen Insel Zakynthos. Und bei einigen Wirten hat sich das hier sonst übliche zurückhaltende Wesen dem recht unangenehm aggressiven Charakter der Ägäis-Kollegen angepasst. Am Hafen runter zur Faneroméni-Kirche werden wir sogar so blöd angequatscht, dass uns schier der Appetit vergeht, obwohl uns die 30 Segel-Meilen recht hungrig gemacht haben. Wie gut, dass Klaus fast perfekt Griechisch spricht. Er geht einfach zum Apotheker und fragt: "Wo gehen Sie essen, wenn Sie gut essen wollen?" Der Apotheker nimmt einen Zettel, notiert "Messathes" und gibt eine Wegbeschreibung. Ein Traum: 50 Meter weg vom Trubel, nur Einheimische, feinstes Essen, der Wirt singt mit zwei Gästen, nein, nicht Taräng-Zorbas, sondern griechische und italienische Lieder. Das Leben ist schön.

Karl Forster, SZ vom 7./8./9. Juni 2014

Im Bild: Szene aus "Alexis Zorbas" mit Alan Bates und Anthony Quinn

Winfried Hermann nachdenklich

Quelle: dpa

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Mitten in ... Stuttgart

Geisterstunde. Mitten im Stuttgarter Zentrum hört man nichts als den Wind. Kein Auto auf der Straße, kein Fußgänger. Oder doch, ein einziger, ein ganzes Stück weiter, ein Herr mit Glatze. Er steht an einer roten Ampel an einer einspurigen Straße, vor einem lächerlich kurzen Überweg. Die korrekteste schwäbische Hausfrau würde da jetzt drüber laufen! Aber der Herr im Anzug wartet dreißig Sekunden, fast eine Minute. Er hat sich kein einziges Mal umgedreht, er ist allein mit der Ampel und dem Wind. Aus der Nähe kommt einem der Herr bekannt vor: Ist das nicht dieser Stuttgarter Grünen-Politiker, von dem die CDU immer sagt, er sei der Falsche für seinen Job? Tatsache. Winfried Hermann heißt der Mann, und er ist, liebe CDU, mindestens in diesem Moment zur Geisterstunde ein ganz und gar vorbildlicher Verkehrsminister.

Roman Deininger, SZ vom 7./8./9. Juni 2014

Publikum beim "Oben ohne" Open Air in München, 2013

Quelle: Alessandra Schellnegger

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Mitten in ... Stockholm

Da gehen die coolen Stockholmer hin, hatte man mir gesagt, die alternativen, die wilden. Freitagabend zum Konzert unter der Brücke nach Hammarbyhamnen. Ich bin vorbereitet, hab festes Schuhwerk angezogen, Taschentücher eingesteckt, genügend Kaffee getrunken. Genügend Bier wäre wohl besser gewesen. Vorglühen ist in Stockholm besonders wichtig, erklärt Susanna, die ich am Eingang kennenlerne. Weil Alkohol überall so teuer ist. Alle anderen haben das beherzigt, schon um halb zehn ist die Stimmung auf dem Höhepunkt. Keine Stunde später ist aus dem Tanzen ein müdes Wippen geworden. Das Konzert ist vorbei, ein DJ hat übernommen, der Platz leert sich. Auch Susanna packt ihre Sachen. "Wo geht's jetzt hin?", frage ich sie. "Na, nach Hause". Sie legt ihre Wange auf die gefalteten Hände. Schlafen. Die wilden Stockholmer.

Silke Bigalke, SZ vom 7./8./9. Juni 2014

Cockpit Bangkok Flugzeug

Quelle: Martin Wittmann

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Mitten in ... Bangkok

Im Flugzeug von Koh Samui nach Bangkok fotografiere ich alles. Den Knopf fürs Leselicht. Den schlafenden Passagier. Die kleine Toilette. Die Gepäckfächer, auf und zu. Was ich da mache, fragt ein Steward interessiert, und ich erzähle von meinem Neffen, der Flugzeuge bewundert, aber noch nie eines von innen gesehen hat. Die Fotos sind für ihn. Das gefällt dem Steward, und so holt er mich nach der Landung tatsächlich ins Cockpit. Tausend Knöpfe, Lampen, Schalter, alles blinkt. Ich mache Foto um Foto, das Erfüllen der Neffen-Träume verschwimmt nun mit dem der eigenen. Ob ich nicht mal ans Steuer möchte, fragt der nette Pilot und steht auf. Schon sitze ich, nun fotografiert er mich - und gibt mir seine Kapitäns-Mütze. Was nun bleibt von dieser Reise? Ein Fotoalbum und eine Erkenntnis fürs Leben: Je kleiner die Kappe, desto größer das Herz.

Martin Wittmann, SZ vom 7./8./9. Juni 2014

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Quelle: SZ

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Mitten in ... Yogyakarta

Die Garküche steht strategisch günstig, genau vor der Markthalle. Durchs Tor sind Frauen hinter Gemüsebergen zu erkennen. Ein Teil ihres Angebots wandert draußen direkt in den Wok. Hochgefühl beim Bestellen, so wie hier sollte Fastfood überall sein. Kurze Wege vom Markt auf den Teller, Geschmacksvielfalt statt genormter Kettenrestaurants. Kleine Essensstände bieten Bratreis an, Satay-Spießchen, frittierte Bananen. Dieser hier hat sich auf Bakso spezialisiert, Fleischklößchensuppe, angeblich war sie Barack Obamas Lieblingsgericht, als der als kleiner Junge in Indonesien lebte. Nudeln in die Schale, Frühlingszwiebeln, Fleischbällchen, Brühe und Sambal-Soße. Dann streut der Koch noch eine Prise weißes Wunderpulver darüber. Er würzt damit alle Speisen, sagt er, und zeigt ein Tütchen vor: Mononatriumglutamat aus Japan.

Christoph Heinlein, SZ vom 30./31. Mai 2014

S-Bahn Berlin

Quelle: Soeren Stache/dpa

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Mitten in ... Berlin

Die S5 ruckzuckelt zum Hackeschen Markt. Auf der Sitzgruppe nebenan haben sich gerade Tanja und Katrin erkannt, es gibt offenbar einiges zu besprechen beim dem Wiedersehen. Tanja: "Wie jeht et Yvonne?" Katrin: "Yvonne? Der jeht's jut, in der Geschlossenen, die wird jetzt uff Lithium umjestellt. Mit Christian is ja aber ooch nich mehr..." Tanja, auf ihr Telefon zeigend: "Wie viele Namen ick allein unter C stehen habe. Christin, drei Mal, Christian,..." Katrin, aus dem Fenster auf werdende Neubauten schauend: "Alles leer! Bestimmt für die Ausländer, aber wir können doch nich Gott und die Welt aufnehmen." Tanja: "Lass mich mal ne Regierung gründen, dann herrscht Zuch!" Die S-Bahn zuckelt weiter, und da denkt man jetzt lieber nicht drüber nach, wie das wäre: in einem Land zu leben, dass von Kanzlerin Tanja regiert wird.

Cornelius Pollmer, SZ vom 30./31. Mai 2014

Federal Forces Occupy Mare Favela Complex

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Rio de Janeiro

Es ist doch immer auch beruhigend, wenn sich im Leben nicht zu viel ändert. An diesem Terminal des Flughafens Galeão von Rio de Janeiro hängen wie seit unserem ersten Besuch in den Achtzigern die Decken so tief, dass große Menschen sich sicher den Kopf anhauen. Die Rolltreppen quietschen, und die Gepäckbänder ächzen. Von Umbau keine Spur. Auf der Fahrt in die Stadt geht es mitten durchs chaotische Zentrum, weil sinnigerweise kurz vor der Fußball-WM die Ringautobahn Perimetral abgebaut wurde. Dafür hat die Sonne gerade den Nieselregen vertrieben, es leuchten die Strände und das Meer. Vor unserer Unterkunft stehen nach wie vor Militärpolizisten, weil um die Ecke eine Favela beginnt, und weil der Staat vor Armenvierteln Angst hat. Wir werden also gut bewacht, wenn die WM am 12. Juni höchstwahrscheinlich los geht.

Peter Burghardt, SZ vom 30./31. Mai 2014

Regen in Hamburg

Quelle: dpa

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Mitten in ... Hamburg

Tagelang war es das große Gesprächsthema auf dem Spielplatz: "An den Landungsbrücken ist ein Mädchen ins Wasser gefallen, hast Du das gehört?" Emilie hieß sie, fünf Jahre alt. Sie spielte an der Kante, während ihre Eltern nach der Stadtbesichtigung nebenan im Fischrestaurant saßen. Plötzlich rutschte sie ab und fiel ins Hafenbecken, wo schaumiges Wasser immer so scheinbar träge umherschwappt. Man würde sein Kind notfalls wieder rausziehen können, dachte man immer. Doch Emilie verschwand binnen Sekunden, die Strömung sog sie unter die Pontons. Ihr Vater sprang hinterher, vergeblich. Erst nach 30 Minuten fand sie die Feuerwehr. Das war Ende April. Jetzt, ein kleines Wunder: "Hast Du gehört, das Mädchen ist aus dem Koma erwacht!" - "Gott sei Dank!" Man wird sein Kind nie mehr herumhüpfen lassen, am Hafen.

Marc Widmann, SZ vom 30./31. Mai 2014

People rest as they wait to buy Olympic tickets at a ticket office in Beijing

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Peking

Der Gully läuft schon wieder über. Anruf beim Straßenkomitee. Es klingelt. Und klingelt. Und klingelt. Irgendwann nimmt einer ab. Geraschel, Knacksen, dann als Lebenszeichen ein abgehacktes "A!" Wir erklären uns. Nachdenkliche Stille. Dann ein Flüstern: "Da müsst ihr das Nachbarschaftskomitee anrufen." Na gut, das untersteht doch dem Straßenkomitee, dürften wir bitte die Telefonnummer haben? "Mmmmh ..." Pause. "Das ist grad schlecht." Wieso denn? "Ich seh' nichts." Hä? Schnaufen. "Die ruhen sich hier alle aus." Ja und? "Gut, ich such mal." Geraschel. Dann: "Tut mir leid, ich seh' wirklich nichts. Hier ist es so dunkel." Im Ernst? Der andere, fast empört: "Soll ich etwa das Licht anmachen?" Ein Blick auf die Uhr: Viertel vor zwei, nachmittags. Beijing, Beijing, the city that always sleeps.

Kai Strittmatter, SZ vom 24./25. Mai 2014

Fregatte Niedersachsen

Quelle: Ingo Wagner/dpa

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Mitten in ... London

Mittags am Themse-Ufer vor dem Tower of London. Die goldbetressten Kanoniere der King's Troop Royal Horse Artillery beziehen Position. Am anderen Ufer liegt die deutsche Fregatte Niedersachsen. Entlang ihrer Reling steht die Besatzung aufgereiht, auch ihre Uniformen recht flott. Der Anlass ist feierlich: Vor 300 Jahren bestieg im Hannoveraner Georg I. erstmals ein deutscher Monarch den britischen Thron. Punkt zwölf beginnt das Schiff, seine Kanonen abzufeuern, 21 Schuss Salut. Dann befiehlt der Parade Commander, die zeremoniellen Schüsse zu erwidern. Die polierten 13-Pfünder der Horse Artillery böllern, dass dem Betrachter fast die Hose wegfliegt; eine Kanone schickt einen hübschen Rauchring über den Fluss. Erstaunlich friedliche Erfahrung: Deutsche schießen, Briten schießen - und am Ende klatschen die Touristen.

Alexander Menden, SZ vom 24./25. Mai 2014

NANA MOUSKOURI IN FRANKFURTS ALTER OPER

Quelle: DPA

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Mitten in ... München

Mit ihr hatte in dieser Nacht niemand gerechnet. Ist sie es wirklich? Schnell das Smartphone gezückt, ein Bildervergleich. Tatsächlich: In der Münchner Bar steht Nana Mouskouri, die griechische Schlagersängerin, als Überraschungsgast. Die schulterlangen Haare sind immer noch tiefschwarz, natürlich fehlen auch die markante Brille und das Wallegewand nicht. Sie greift zum Mikrofon, singt die ersten paar Takte, bald grölen die jungen Leute vor ihr textsicher mit, die übrigen Gäste klatschen. Keck zwinkert sie dem FC-Bayern-Fan am Nebentisch zu. Und der grinst zurück. Auch mit 80 Jahren kann sie die Menge noch begeistern. Aber nicht etwa mit "Weiße Rosen aus Athen". Was Nana Mouskouri und das Publikum da so inbrünstig schmettern, stammt von Helene Fischer und geht so: "Atemloooooos - durch die Nacht."

Carolin Gasteiger, SZ vom 24./25. Mai 2014

Cutty Sark

Quelle: Getty Images

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Mitten in ... Wien

Diese Wiener sind ausgesprochen unheimliche Wesen. Eigentlich tun sie nur so, als würden sie in unserer Welt leben. In Wahrheit aber spielt sich ihre Existenz in einem Lichtjahre entfernten Universum ab. Und wenn man das erst einmal kapiert hat, findet man hier nichts und niemanden mehr seltsam. Nicht die imperialen Tortenkreationen, nicht das ewige Burgtheater, nicht den Kaffee, die alten Knochen in der Kapuzinergruft oder gar den Opernball. Und sicher auch nicht diesen Mann, der da durch die Wollzeile beim Stephansdom gelaufen kommt. Er trägt einen Vier-Mast-Großsegler unterm Arm. Tags drauf spaziert er über den Naschmarkt, das sperrige Schiffsmodell ist selbstverständlich wieder dabei. Gassi-Gehen mit einem Windjammer. Ja richtig: Österreich war einmal eine große Seefahrernation, und gleich hinter Villach lag Triest.

Jutta Czeguhn, SZ vom 24./25. Mai 2014

A worker sweeps water off a street at the Central Business District in Beijing

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Peking

Chinesen bohnern zu Hause, dass jede schwäbische Hausfrau vor Neid erblassen müsste. Vor der Haustür allerdings lassen sie es lässiger angehen. Neulich drang aus dem Gully bei uns mal wieder der zähe Schlick, der sehr nach den Suppen riecht, die in der Nudelküche nebenan gekocht werden. Aussehen tut das Zeug allerdings eher nach Ölteppich im Golf von Mexiko. Ölteppich mit Akne. Gäbe es Möwen in Peking, sie würden vor unserer Haustür kläglich verenden. Es gibt hier allerdings nur uns, und wir versuchen jeden Morgen mit einem Dreisprung, unser Gefieder zu retten. Meist gelingt das ganz gut, nur manchmal tritt eines unserer mit Schulranzen beladenen Kinder daneben und gleitet langsam, fast in Zeitlupe, hinein in den Modder. Das hilflose Flügelzucken, der resignierte Blick. Ölpest, man kennt das aus dem Fernsehen.

Kai Strittmatter, SZ vom 17./18. Mai 2014

Pope Francis applauds during a meeting with teachers and students from Italian Catholic schools in St. Peter's Square at the Vatican

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Buenos Aires

Wer manchmal mit dem Fahrrad durch Buenos Aires fährt, sieht die tollsten Dinge. Man wird auf dem Radweg zwar gelegentlich von Motorrädern überholt, weil sich auf der Straße daneben die Autos stauen, und weicht Mülltonnen und Fußgängern aus. Radwege sind Rennstrecke, Promenade und Abstellplatz. Aber kürzlich entdeckte ich einen interessanten Obst-und-Gemüse-Laden: Er nennt sich "Habemus papa" und steht in der Straße Austria im Barrio Norte. "Habemos papam" haben wir auch, der Papst Franziskus stammt ja von hier, weshalb an vereinzelten Fenstern noch gelb-weiße Banner des Vatikans hängen, meistens neben der himmelblau-weißen Flagge Argentiniens. Papa heißt außer Papst jedoch auch Kartoffel, das Kilo weißer Kartoffeln in dem Laden kostet 14 Pesos, 1,30 Euro, und schwarzer Kartoffeln 9 Pesos, 82 Cents.

Peter Burghardt, SZ vom 17./18. Mai 2014

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Quelle: Anoek de Groot/AFP

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Mitten in ... Amsterdam

Ein schwäbisches Rentnerpaar spaziert durch das Rotlichtviertel, sie entlang der Schaufenster, er entlang der Gracht. Sie interessiert sich für die nackten Damen hinter den Scheiben; er für das dreckige Wasser im Kanal. "Jetzt gugg doch a mal", sagt sie. Er guckt aber bloß aufs Wasser. Die Frau stellt sich direkt vor ein Fenster und fotografiert eine dralle Brünette. Zwei Mal, drei Mal. Und Querformat. Die Brünette klopft wütend von innen gegen die Scheibe: "No photo!" Die Schwäbin klopft von außen freundlich zurück. Dann reißt ihr ein tätowierter Muskelberg das Handy aus der Hand. Die Frau packt den Berg sofort am Kragen, sie redet mit ihm wie mit einem Hund: "Gib's wieder her! Du gibst sofort das Telefon her!" Der Türsteher gehorcht völlig verdutzt. Die Frau sagt: "Na also." Zehn Meter weiter verschwindet ihr Ehemann in der Menge.

Roman Deininger, SZ vom 16./17. Mai 2014

Hund auf Stuhl

Quelle: Stephanie Pilick/dpa

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Mitten in ... Berlin

"Fräulein Dickes" heißt das Café am Prenzlauer Berg, es erfüllt alle Erwartungen. Die junge Bedienung, die kein Wort Deutsch spricht, nimmt die Bestellung auf; ihre Bewegungen sind von aufreizender Langsamkeit. Kennt die sich aus im Torten-Business? Auch der bärtige Kollege, der hinten in der schmalen Küche die vollwertigen Feinkosthäppchen komponiert, glotzt ständig auf die hölzerne Tafel, offenbar ist auch er neu hier. Die Cappuccino-Mamis und die Touristen stehen Schlange vor der Kasse, aber alle behalten die Nerven: Die elegische Schöne hat eine beruhigende Wirkung. Frage: Was ist hier los? Die Antwort kommt im reinsten Londonerisch: Leider befinde sich die Chefin im Hundekrankenhaus, weil ihr Liebling gebissen wurde, von einem echten Straßenköter. Und das Fräulein Dickes muss ja irgendwie weiterleben. Ach, Berlin.

Christian Mayer, SZ vom 17./18. Mai 2014

Low clouds hover over the Los Angeles downtown skyline in Los Angeles

Quelle: REUTERS

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Mitten in ... Los Angeles

Großer Auflauf am Abend vor einer Galerie in Downtown Los Angeles. Vor ein paar Jahren herrschte hier nach Sonnenuntergang Lebensgefahr, jetzt gehört das Stadtzentrum zu den hippsten Stadtteilen. In der Galerie werden Fotos von Leee Black Childers ausgestellt, dem ehemaligen Assistenten von Andy Warhol. Nur zu sehen bekommt man die Fotos von Junkies, Punks, Dragqueens und Studio-54-Gästen nicht, eine scheinbar unendliche Schlange hat sich vor dem Eingang gebildet. Ein Mann im Rollstuhl fährt die Schlange der missmutig Wartenden ab, er steuert auf den Hipster hinter mir zu und fragt: "Warum lächelst du nicht?" Der junge Mann zischt: "Ich habe nichts zu lächeln, ich steh' in der Schlange, wie du siehst." Der Rollstuhl-Mann gibt nicht auf: "Schau mich an", sagt er. "Ich hätte Grund, nicht zu lächeln. Aber ich tu's trotzdem."

Thorsten Schmitz, SZ vom 5./6. April 2014

DCODE MUSIC FESTIVAL

Quelle: picture alliance / dpa

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Mitten in ... München

Das größte Schlachtfeld im Kampf gegen das Sich-alt-Fühlen ist das Rockkonzert: Je weiter hinten man dort steht, desto älter fühlt man sich, nicht andersherum. Etwa bei Franz Ferdinand, einer Band, die für Mittdreißiger das ist, was U2 für Fünfzigjährige sind oder die Stones für Leute, die den echten Franz Ferdinand noch kennenlernen durften. Hinten an der Bar stehen die Fußwipper mit Geheimratsecken, vor der Bühne springen die Jungen. Zum Glück gibt es die Zeitmaschine Bier. Langsam trinken wir uns zurück ins Studium und damit nach vorne. Dort hüpfen wir wie einst, zweimal, dreimal - bis der Freund das Gesicht unter der hohen Stirn verzieht: das rechte Außenband zwickt. Rückzug an die traurige Bar, wo die Humpelnden auf die Alten treffen. Die wippen übrigens immer noch mit dem Fuß, und das beneidenswert schmerzfrei.

Martin Wittmann, SZ vom 5./6. April 2014

© SZ/cag
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