Mallorca:Geschlossene Gesellschaft

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Der mallorquinische Adel verschlief die Entwicklung der Insel und hat heute auch im Tourismus das Nachsehen.

Brunhild Seeler-Herzog

Der Caballero Don Jaume zog eine 14-Jährige auf sein Pferd und preschte mit ihr zu seinem hoch über der Bucht von Palma gelegenen Landgut Son Vida. An der grandiosen Aussicht auf die umgebenden Berge und das Meer konnte sie sich dort allerdings kaum erfreuen, denn er hielt das Mädchen fortan gefangen und schwängerte es.

Mallorca
:Ballermann, Betonburgen, Badebuchten

Die Insel steht bei machen für Beton und Ballermann. Dennoch gibt es auch hier traumhafte Plätze.

Bei seinem Tod im Jahre 1781 forderte der uneheliche Sohn vergebens seinen Erbteil, Son Vida ging an die kinderlose Witwe des Edelmannes.

Wenig edel kämpften Mallorcas Adelige auch beim nächsten Familienstreit ums Erbe, gut 120 Jahre später. Da starb Dona Joana-Adelaida an einer Lungenentzündung. Sagten die einen. Sie wurde mit Arsen vergiftet, munkelten die anderen.

Vergiftet war auf alle Fälle die Familienatmosphäre, denn die Verblichene hatte ihr sagenhaftes Vermögen, zu dem auch wiederum Son Vida gehörte, ihren Neffen vermacht. Die Erben in direkter Linie sollten sich mit klangvollen Titeln bescheiden.

Der Streit vor Gericht war so skandalös, dass nicht nur das Urteil verkündet, sondern gleichzeitig Mallorcas Nobleza ins Gewissen geredet wurde: "Vor mehr als einem Jahrhundert wurde die Grundherrschaft abgeschafft, doch die moralische und gesellschaftliche Herrschaft war Euch geblieben. Setzt Ihr alles daran, auch diese noch zu verlieren?"

"Wir dachten, das würde immer so weitergehen"

Heute, gut einhundert Jahre später, sagt Dona Margalida Gual de Torrella i Masanet: "Wir haben nie darüber nachgedacht, dass wir jemals etwas verlieren könnten. Wir hatten so viel, dass wir dachten, das würde immer so weitergehen."

Die Familiengeschichte der Torrellas reicht weit zurück. Ihre Vorfahren waren dabei gewesen, als König Jaume der Eroberer und seine Mitstreiter am 31. Dezember 1229 nach Belagerungen und Kämpfen siegreich waren und die Insel untereinander aufteilten.

Gen Mallorca zu ziehen und es den Mauren nach mehr als 300 Jahren wieder abzujagen, diesen Plan hatten Adel, Geistlichkeit und die reiche Kaufmannschaft Kataloniens und des Roussillon schon ein Jahr zuvor ausgeheckt.

Im Tross der Eroberer kämpften auch die Vorfahren José Franciscos de Villalonga y Morell, der folglich zum Uradel der Insel gehört. Die Frau, die sieben Jahrhunderte später das zu einem Schloss umgestaltete Landgut Son Vida von ihrem Ehemann zum Geschenk erhielt, war die Schwester seines Großvaters.

Siegestaumel und Kampfgetümmel

José Francisco kennt sich in Gegenwart und Vergangenheit gleich gut aus und ist Sekretär der Uniãn de la Nobleza del Antiguo Reino de Mallorca. Das unabhängige Königreich Mallorca bestand nur bis 1349, da ließ der König von Aragonien Mallorcas König Jaume III., seinem Schwager, in der Schlacht von Lluchmayor den Kopf abschlagen, nachdem er sich sein Reich bereits einverleibt hatte.

Beide Ereignisse, Siegestaumel und Kampfgetümmel, hat Fausto Morell i Bellet 1902 in monumentalen Ölgemälden wiedergegeben, die in Son Vida eine ganze Wand einnehmen. Auch Fausto Morell, ein heute hochgeschätzter Maler, gehört zu José Franciscos Vorfahren, dessen Altvordere Ferdinand dem Katholischen und Karl V. zu Diensten standen.

José Franciscos Familie residierte im heutigen Museu de Mallorca wie auch im Palau Solleric, wo Don Fausto einst sein Atelier hatte. "Dort wurde im Familienkreis auch schon mal eine Oper aufgeführt", erzählt José Franciscos Mutter, Dona Fanny, "schließlich standen dort drei Konzertflügel."

In seiner Ahnentafel sähe Mallorcas Adel am liebsten jene, die mit Jaume dem Eroberer auf die Insel gekommen waren. Und doch ist der Vorfahr etlicher großer Adelsfamilien ein Muselmane: Joan Abennàsser Arrom.

Der hatte mit den christlichen Eroberern kollaboriert und war zum Dank zum primerísimo civis maioricarum ernannt worden. Das Geschlecht der Abennàsser ging schließlich in dem der Santacília auf. Pere de Santacília, der noch heute würdevoll aus seinem Goldrahmen auf die Touristenschar im Herrenhaus der Gärten von Alfàbia herabschaut, hat in 25 Jahren 325 Menschen ermorden lassen. Er starb mit 80 Jahren, im Bett.

Er war einer der Anführer der verfeindeten Adelsclane, die mehr als 100 Jahre aus Mallorca ein einziges Schlachtfeld gemacht hatten.

Diesem dunklen Punkt in der Geschichte der Inselaristokratie, ihren jahrhundertelangen Fehden, und auch ihren Finten, hat Aina Le-Senne ein Buch gewidmet. So beschreibt die blaublütige Historikerin die Verschmelzung der Familien von Rittern mit denen von Kaufleuten, denn ein Adliger durfte sein Geld nicht mit Handel verdienen.

Also musste man erfinderisch sein. Mit Kaperbriefen versehen und mit Strohmännern in offiziösen Handelsgesellschaften hat sich mancher Edelmann ein Zubrot verdient. Man handelte mit Saubohnen und Satin, bekam Perücken aus Paris, schickte 276 Stück Käse nach Marseille oder 13 Sklaven nach Genua.

"Wir sind eben Phönizier, ein Volk von Händlern", kommentiert Aina Le-Senne. Ihre acht Kinder hat sie liberal erzogen; sie wurden Architekten, Landwirte, Banker, Flugkapitäne. Hochfliegende Pläne hatte auch der Großvater ihres verstorbenen Mannes, Joaquín Gual de Torrella.

Er war Präsident der ersten Luftfahrtgesellschaft Mallorcas. Doch nach zwei Bruchlandungen seiner Flugapparate geriet das Unternehmen ebenfalls in Turbulenzen, die es nicht überstand. Aber was macht das schon, wenn man über ganz andere Kontakte zum Himmel verfügt.

"Mit dem Bischof von Girona haben die Torrellas schon im Jahr 875 vor Gericht gestritten", hatte Aina Le-Sennes Schwager Xim immer wieder gern erzählt. Außerdem gehört noch ein Papst, Alexander VI., zur Familie.

"Wir lebten jahrhundertelang in einer fabulösen Pracht", sagt Dona Margalida, Xims Tochter. "Und das alles ist in nur 50 Jahren einfach irgendwie weggesackt." Eine Entwicklung, der Llorenç Villalonga in seinen Romanen "Mort de Dama" (1931) und "Bearn" (1956) nachspürt: Da führte die marginierte Gruppe des mallorquinischen Adels ihr verschlafenes Leben in dem um die Kathedrale gelegenen Stadtviertel, wo sie "mit den Kanonikern und den Katzen in immerwährender Siesta" vor sich hindämmerte.

Bis sie durch die ersten Touristen des europäischen Geld- und Blutadels in den 1920er Jahren jäh aufgeschreckt wurde, weil lautstarke Partys dieses Leben störten.

Schon bei den Freiheitskriegen gegen Napoleon, ein Jahrhundert zuvor, hatte man sich molestiert gefühlt durch das neumodische Gedankengut aus Frankreich, zumal einige Töchter aus bestem Hause es spannender fanden, mal von Fremden hofiert zu werden, als immer und ewig die eigenen Verwandten heiraten zu müssen.

Grundbesitz am Meer uninteressant

Doch die Eltern waren keineswegs geneigt, die wohlgefügte Welt der Endogamie aufzugeben, schließlich hatte man damit über Jahrhunderte hinweg Macht und Moral, Pekuniäres und Politik auf der Insel bestimmen können.

Nun war plötzlich in der Literatur von Gefühlen, von der Freiheit, seinen Partner selbst zu wählen die Rede, und da vermählte ein aufgeklärter Bischof schon mal einen Adelssohn mit der Tochter eines Metzgermeisters oder eines Flickschusters.

Ein Jahrhundert zuvor noch hatte Pere de Dezcallar seine Schwester ermordet, weil sie heimlich einen Notar geehelicht hatte. Die Dezcallars waren steinreich, sie besaßen das Salzmonopol und außerdem die Münze samt Besenrecht: Was beim Münzen an Gold abfiel, durften sie für sich persönlich zusammenfegen lassen.

"Wir besaßen damals so viel, dass es auf ein bisschen gar nicht ankam", sagt auch Xims Tochter Margalida. "Grundbesitz am Meer war uninteressant, da wuchs ja fast nichts. Aber für die Militärs war er strategisch interessant.

Also haben wir ihnen das Land geliehen. Später haben sie es nicht mehr rausgerückt. Die Kaufleute waren da schlauer. Die haben sich immer alles schwarz auf weiß geben lassen."

Tischleindeckdich samt Goldesel

Viele Inselaristokraten verschliefen Mallorcas Entwicklung, überließen die Industrialisierung dem reichen Bürgertum und mussten zusehen, wie mit der neuen Tourismuswelle der 1960er Jahre der angeblich uninteressante Grundbesitz am Meer zum Tischleindeckdich samt Goldesel mutierte.

Ihre Ländereien im Inselinnern warfen nicht mehr genügend ab, und ihre Landarbeiter konnten sich ihr täglich Brot in den Küstenhotels einfacher verdienen. Die Krise war da, der Zug abgefahren. Einige konnten noch aufspringen.

Wie die Dezcallars. Die Eheschließung mit einem Bürgerlichen würden die Dezcallars heute sicherlich diplomatischer handhaben. Zu ihren Nachfahren gehören Diplomaten wie Jorge Dezcallar, er ist Chef des Geheimdienstes und Botschafter beim Vatikan gewesen.

Das ehrwürdige Altstadtpalais, wo seine Vorfahren Mallorcas Münzen prägten, ist noch heute Familienresidenz. Wenn schon kein Gold mehr, dann wenigstens Perlen, muss sich ein weiteres Mitglied der weit verzweigten Familie gesagt haben.

Guillem Dezcallar hat sein dickes Aktienpaket an den vom Nordkap bis nach Feuerland in Dutyfreeshops und an Bord unzähliger Airlines vermarkteten Perlas Majãrica rechtzeitig mit dickem Gewinn verkauft, bevor die Nachfolger das Unternehmen fast in den Ruin trieben.

Auch José und Neffe Pere de Montaner Cerdà hatten eine gute Idee. Sie inszenierten auf einem ihrer Landsitze mittelalterliche Ritterturniere, Abendessen inklusive, und die Touristen kamen in Scharen.

Cousin Pere de Montaner i Alonso hingegen beschäftigt sich als Historiker streng wissenschaftlich mit der Vergangenheit. Er ist Chef des Stadtarchivs und der in der Zeit Philipps V. errichteten Familienbibliothek mit ihren etwa 10.000 Bänden vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, Inkunabeln, Stichen, Landkarten.

Die Pflege ihrer Bibliotheken lag der Aristokratie besonders am Herzen. "Wir haben das große Glück, dass unsere Archive nicht von Bomben zerstört wurden. Dafür kämpfen wir mit einem anderen Problem: die eisenhaltige Tinte hat etliche Urkunden angegriffen; wir müssen uns beeilen, wenn nicht einige Texte unwiederbringlich verloren gehen sollen", sagt José Francisco.

"Wir sind kein elitärer Verein"

"Wir lebten mit der Geschichte und in der Geschichte. Von Jaume dem Eroberer wurde bei uns zu Hause nur in der Gegenwart gesprochen", sagt Xims Tochter Margalida. Sie hat drei erwachsene Kinder. Welche Werte hat sie ihnen vermittelt? "Liebe. Respekt. Traditionsbewusstsein. Eine gepflegte Sprache. Höflichkeit."

Beim Adel mehr Edles? "Natürlich nicht. Auch da gibt es Drogen, Schulden, Armut", sagt Margalida.

Und falls die Kinder doch bürgerlich heiraten? "Wir sind kein elitärer Verein", versichert José Francisco. Freilich, wäre ein Adliger dabei - das würde ihn schon freuen.

Im Palau Solleric, der heute der Stadt Palma gehört, und in dem früher Kaiserin Sisi zu Besuch weilte und Urgroßonkel Fausto beim Malen zuschaute, da geben sich heute bei Vernissagen Schickeria und Geldadel ein Stelldichein. Doch der Jetset interessiert nicht.

Dahin geht man nicht. Der Adel Mallorcas ist eine geschlossene Gesellschaft. "In einige dieser Kreise dringt kein Außenstehender ein", sagt Dona Margalida. Und sowieso sei man mit den eigenen Familienfeiern vollauf beschäftigt.

Die Autorin lebt seit mehr als 20 Jahren auf Mallorca und hat mehrere Bücher über die Insel publiziert. Zuletzt im Picus-Verlag: Fiesta im Schnee der Mandelblüten.

© SZ vom 7.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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