Malediven:Ein Rochenjob

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Wissenschaftler begleiten Touristen beim Tauchen mit Mantas auf den Malediven. Dort, im Baa-Atoll, halten sich die Tiere besonders gern auf.

Von Herbert Stiglmaier

Die Beschreibung der Mantas jenseits von wissenschaftlichen Erkenntnissen fällt kurz aus bei Guy Stevens: "anmutig, charismatisch, schön". Im Jahr 2003 kam der 37-jährige Meeresbiologe auf die Insel Landaa Giraavaru, um Touristen die Unterwasserwelt zu erklären. Damals entdeckte er einen Ort, der sein Leben verändern sollte: Hanifaru, einen auf den ersten Blick unsichtbaren Platz. Eine geologische Besonderheit, die von der Unesco 2011 zusammen mit dem gesamten Baa-Atoll zum Biosphären-Reservat erklärt wurde: ein Unterwasser-Riff, nur einen Meter unter der Meeresoberfläche, etwa so groß wie ein Fußballfeld, in der Form eines Sacks mit nur einer einzigen schmalen Öffnung. Durch diese maritime Sackgasse werden in der Regenzeit von Mai bis Oktober durch den Südwest-Monsun große Mengen Plankton gespült. Wenn die Strömung, die Mondphase und die Gezeiten stimmen, dann ist der Tisch für die Mantas reich gedeckt.

Beim "Manta Talk" im Salon des Tauchbootes Explorer erklärt Guy Stevens seine Erkenntnisse über die schwarzen Schatten. Für die schnorchelnden und tauchenden Gäste ist das eine Gelegenheit, ganz nah an der Feldforschung über Mantas zu sein, die bei jeder der mehrtägigen Expeditionen mit dem Boot mit neuen Ergebnissen gefüttert wird. Ermöglicht wird Stevens Arbeit durch einen Hotel-Konzern, der seit mehr als zehn Jahren eine Forschungsstation unterstützt und im Gegenzug seinen Gästen die Begegnung mit den Mantas unter wissenschaftlicher Begleitung bieten kann.

Unter Mantas: Der weiße Bauch der Tiere ist mit mehr oder weniger schwarzen Flecken in unterschiedlicher Anordnung individuell ausgeprägt. (Foto: imago)

Besonders gut lassen die Tiere sich beim Fressen und in der "Cleaning Station" beobachten. Dort sind, zum einzigen Mal auf dieser Reise, die Taucher im Vorteil gegenüber den Schnorchlern, denn reinigen lassen sich die Mantas in einer Wassertiefe von acht bis 20 Metern. Im Riff von Dighu Thila zum Bespiel, das zum Baa-Atoll gehört. Nahe der Insel Landaa Giraavaru gleiten die Taucher ins Wasser. Unter ihnen tut sich ein Meeresgebirge von etwa 300 Metern Länge auf. Auf dem Kamm befindet sich "das Spa, die Zahnarztpraxis und der Pub der Mantas", wie Guy Stevens das nennt. Im Zeitlupentempo gleiten die Tiere über das Riff, flankiert von Putzerfischen, die hier auf Nahrung warten. Während sich die Mantas mit der Strömung durch die Waschanlage treiben lassen, fressen ihnen die schwimmenden Dienstleister Schuppen und Pilze von der Haut, aus dem Maul und den Kiemen. Eine gesundheitserhaltende Maßnahme und eine soziale dazu, denn nur hier und beim Fressen kommen die Riesenrochen ihren Artgenossen nahe. Ansonsten verbringen sie ihr Leben allein, sieht man vom Akt der Zeugung ab. Für uns die Gelegenheit, fünf Riff-Mantas hintereinander durchs Riff gleitend zu sehen. Seltener auf den Malediven werden die Riesenmantas gesichtet, die hauptsächlich im offenen Meer leben. Je drei Tauch- und Schnorchelgänge können die 20 Gäste auf der einwöchigen Reise mit der Explorer durch das Baa-, Rasdú- und Ari-Atoll pro Tag erleben. Darunter ist auch ein nächtlicher Schnorchel-Ausflug.

Der Forscher erklärt den Fischern, dass ein lebendiger Manta mehr Einkommen bringt als ein toter

Ziel des Beibootes ist das dunkle Wasser vor der Insel Fesdu. Zwei starke Lampen locken das Plankton an. Als Erster kommt ein Shrimp vorbei, der sich fortan für den Hauptdarsteller des Abends hält. Schließlich tauchen sie aus der Tiefe auf: zwei große Mantas mit einer Spannweite von weit über drei Metern. Viele Feinde haben sie nicht. Nur den Orca und den Tigerhai, die sie aber schon von Weitem sehen können dank ihres 270-Grad-Sehradius. Der größte Feind der Mantas ist der Mensch - und das, obwohl die Fleischqualität der Tiere als minderwertig gilt. Wären da nicht die Kiemen, deren Verzehr in China eine große Wirkung im Ausfiltern von Umweltgiften zugeschrieben wird. Viele Tiere verenden außerdem in Treibnetzen, denn Mantas können trotz aller Beweglichkeit nicht rückwärts schwimmen und haben keine Chance, der tödlichen Falle zu entkommen. Guy Stevens sieht den Manta-Schutz, der unter der einheimischen Bevölkerung umstritten ist, pragmatisch: "Ich frage die Manta-Jäger und -Fischer einfach: "Wie viel sind Fleisch und Kiemen eurer toten Mantas wert und wie viel eure lebendigen Tiere, die all die Touristen auf die Malediven locken?" Laut der Schutzorganisation Manta Trust werden weltweit jährlich mehr als 140 Millionen Dollar mit Manta-Tourismus erwirtschaftet, 8,1 Millionen Dollar davon auf den Malediven.

Kernpunkt der wissenschaftlichen Arbeit, von der die Gäste auf der Explorer profitieren, ist die Identifikation der Mantas. Mit rund 2000 genau zugeordneten Exemplaren, deren Wege und Gewohnheiten er seit mehr als zehn Jahren verfolgt, verfügt Stevens über einen wissenschaftlichen Schatz. Der "Ausweis" der Tiere ist dabei deren weiße Bauchunterseite: Sie ist mit mehr oder weniger schwarzen Flecken in unterschiedlicher Anordnung bestückt. Verletzungen, die durch den Kontakt mit Schiffsschrauben oder Harpunen entstanden sind, ergeben weitere unveränderliche Kennzeichen.

Die besten Beobachtungen lassen sich bei schlechtem Wetter machen. "Manta-Wetter" - das bedeutet Wellengang und Wind. "Wir haben bei unseren Forschungen eine eindeutige Korrelation zwischen Windgeschwindigkeiten, Fressaktivität und Fortpflanzungshäufigkeit festgestellt", sagt Guy Stevens. Und wenn solche Bedingungen vorherrschen, fährt er mit dem kleinen Schlauchboot raus.

Vor Hanifaru sichtet er eines Mittags 30 Mantas und meldet das per Funk. Wieder so eine Situation, in der die Schnorchler im Vorteil sind: Während die Taucher sich noch mit allerlei Technik behängen, nehmen die Schnorchler Brille und Flossen und schwimmen hinein in die einzigartige Szenerie: Schwarze Schatten huschen an ihnen vorbei. Dann kommen die Tiere auf die Beobachter zu, mit weit aufgerissenen Mäulern, die aussehen wie Kühlergrills, untereinander geringfügig versetzt wie eine Düsenjägerstaffel ohne Lärm. Man nennt dieses Sozialverhalten "Chain Feeding", Fressen in der Kette. So grasen die Tiere jeden Kubikzentimeter Wasser nach Plankton ab. Dabei kommen die Mantas den Menschen sehr nah, berühren sie sogar - und fühlen sich an wie nasses Leder.

Spielerisch wirkt die zweite Fresstechnik: Die Rochen durchpflügen das Wasser vertikal vom Meeresgrund zur Oberfläche und schlagen dabei Saltos, um sich die Kleinstlebewesen mit höherem Wasserdruck einverleiben zu können. Ein Gefühl, das wir als Schnorchler gut nachvollziehen können, als wir gegen die Strömung zurück zum Boot schwimmen. Die Faszination für die Tiere nach dieser Begegnung ist groß. Aber ihre Geheimnisse bleiben.

Am Ende eines seiner "Manta Talks" zeigt Guy Stevens eine besondere Seite seiner Powerpoint-Präsentation. Darauf stehen Fragen wie "Wie alt können Mantas werden?", "Wann werden Mantas trächtig?" oder "Wie schnell wachsen sie?". Stevens sagt: "Diese Seite ist schon fünf Jahre alt. Ich konnte seither nicht eine dieser Fragen beantworten."

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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