Auf den ersten Blick unterscheidet sich Latronico nicht von den anderen Dörfern der Basilikata. Streift man durch das Gassenlabyrinth, fallen allerdings manche Dinge auf: Im Erdboden versenkte runde Spiegel, rostige Eisenlettern an Hausmauern. Auf einer Piazza weiße Striche, Grundrissen ähnelnd.
"A cielo aperto" - unter freiem Himmel - heißt das 2008 von Giovanna Bianco, Pino Valente und Pasquale Campanella ins Leben gerufene Projekt, das aus Latronico ein verstreutes Museum macht. Als Schaltzentrale dient die Wohnung von Elisabetta De Luca. Sie stammt aus Latronico und kehrte nach einem Arbeitsleben in Mailand zurück. Die Stillleben und Landschaftsszenen an den Wänden hat ihr Bruder Vincenzo gemalt, der bei einem Unfall ums Leben kam. Zum Gedenken hat Elisabetta den Verein "Vincenzo de Luca" gegründet. Etwa 50 Mitglieder finanzieren ihn. "Es ist uns wichtig, dass keine öffentlichen Gelder fließen", sagt sie.
Mit den Kunstwerken will der Verein ein Zeichen gegen Resignation setzen
Beim Essen erzählt das Künstlerpaar Pino Valente und Giovanna Bianco, wie das Projekt funktioniert. "Wir laden Kollegen ein, die einige Tage hier in einer Wohnung leben, die der Verein zur Verfügung stellt", sagt Pino. Der Dialog mit den Einheimischen und der Landschaft sei essenziell, ergänzt Giovanna. Nach ein paar Monaten, wenn der Gastkünstler Ideen gesammelt hat, wird das Projekt gemeinsam mit den Dorfbewohnern realisiert. "Noch haben wir jeden herumgekriegt", so Elisabetta. "Da wir nicht bezahlen können, müssen wir uns ins Zeug legen." Sie meint: mit den Köstlichkeiten, die sie am Herd zaubert.
In einer Garage unter ihrem Haus befindet sich das "Laboratorium". Hier wurden Stoffmasken für die künstlerische Adaption eines lokalen Mythos gebastelt, Steintafeln beschriftet oder Audio-Mitschnitte ausgewertet. Draußen auf einem Mauervorsprung prangt in weißen Lettern der Schriftzug "Ogni Dove", eine Installation des Künstlerpaares Bianco-Valente aus dem Jahr 2015. "Ogni Dove", "Jedes Wo", thematisiere das Phänomen Emigration, unter dem der italienische Süden leide. "A cielo aperto" soll ein Zeichen gegen die Resignation setzen.
Giuseppe Giacoia sieht das genauso. Der 42-Jährige arbeitet in Latronico als Möbelrestaurator. 20 Jahre hat er in Bologna gelebt. Als sein Vater erkrankte, kehrte er zurück. Zusammen mit seinem Bruder Giovanni, der nach Glasgow auswanderte, hat Giuseppe oberhalb des Dorfes die Installation "(T)here" geschaffen, auf einem mannshohen pyramidalen Felsblock. Bis auf eine glatt geschliffene Seite, in die geometrische Öffnungen gehauen wurden, ist der Kalkstein naturbelassen. In den Löchern steckten mit Schnörkeln und Zeichen verzierte Fliesen: Piktogramme für die Geschichten, die Dorfbewohner den Künstlern erzählten. Dass Besucher die Fliesen mitnahmen, war nicht geplant, ist aber für ihn in Ordnung. "So entstehen in Mailand oder Rom neue Geschichten, neue Verbindungen."