Kulturhauptstadt 2008:Stavanger - Die Fährte der Lachse

Lesezeit: 8 min

Mit der Strömung zu den Schätzen der Fjorde: Im Hinterland von Stavanger können Touristen den begehrten Fischen hinterherjagen.

Stefan Fischer

Der erste Augenschein erweckt womöglich den Eindruck, dass es sich bei den drolligen Figuren unten am Fluss um nordische Sagengestalten handelt, die sich gegenwärtigen Moden angepasst haben.

Auf "Laksegard" im Hinterland von Stavanger. (Foto: Foto: dpa)

Trolle, die ihr wenig vorteilhaftes Äußeres abgelegt haben und, der Zeit gehorchend, in Teletubbie-Kostüme geschlüpft sind. Bei genauerem Hinsehen wird der Beobachter allerdings feststellen, dass es sich lediglich um Touristen handelt.

Sie stecken in so genannten Überlebensanzügen; woran allein schon abzulesen ist, dass es ihnen nicht in erster Linie darum geht, gut auszusehen. Sie sollen nicht ertrinken.

Teletubbie-Touristen

Denn immerhin werden diese Teletubbie-Touristen im zwar nicht reißenden, aber doch flott dahinfließenden Suldalslågen versuchen, sich an die Schwanzflossen von Lachsen zu heften.

Die Strömung wird sie den Fischen entgegen schwemmen, und sie werden den Kopf stets unter Wasser halten, um durch die Taucherbrille nur ja einen der scheuen, flinken Räuber zu erblicken. Da kann ein Überlebensanzug nichts schaden, auch wenn diese Lachssafari nicht gefährlich ist.

Selbst wenn der Veranstalter Björn Mo während seiner Einweisung für einen kurzen Moment - unfreiwillig, denn er spricht kein Deutsch - einen anderen Eindruck erweckt.

Dann nämlich, wenn er eine deutsche Illustrierte in die Höhe hält und stolz erzählt, dass darin eine große Geschichte über ihn und seine Lachssafari abgedruckt wurde. Auf der Frontseite der Illustrierten steht zu lesen:

"So entkamen wir der Hölle". Aber, zum Glück, für die Titelgeschichte im Heft hat es nicht gereicht mit der Lachssafari. Die Hölle liegt eben nicht am Suldalslågen.

Der Teletubbie-Einteiler sorgt also zuverlässig dafür, dass man nicht untergeht, so entfallen lästige Schwimmbewegungen, die einen nur vom Lachsegucken abhalten würden. Obendrein polstert er die Safari-Teilnehmer, für den Fall, dass doch einmal ein Steilufer oder ein Brückenpfeiler bedrohlich nahe kommen sollten.

Adelige Angler

Kalt wird einem indessen in jedem Fall, die Anzüge sind nicht vollständig wasserdicht, und der Suldalslågen ist ein Fluss in den norwegischen Fjorden.

Sein Wasser erreicht demnach zu keiner Jahreszeit eine Temperatur, die man guten Gewissens als warm bezeichnen möchte. Björn Mo macht gleichwohl nur über Weihnachten und für zwei, drei Wochen im Januar Pause.

Die Norweger haben übrigens ein schönes Wort für diesen Freizeitspaß: Laksegard. Weil Norwegisch aber keine Weltsprache ist, will sich Björn Mo den Begriff "Lachssafari" schützen lassen.

Mo hat dieses spezielle Schnorchel-Abenteuer erfunden und fürchtet Nachahmer; die Idee dazu hatte er, als er vor einigen Jahren, mit eben einem solchen Überlebensanzug angetan, dabei half, die Lachspopulation im Suldalslågen zu zählen.

Dass ale norwegischen Mädchen blonde Haare haben ist nur ein Gerücht. Irgendwo gibt es bestimmt auch eine brünette Norwegerin. (Foto: Foto: dpa)

Die Lachse. Ihretwegen wurde das Suldal vor mehr als einem Jahrhundert touristisch erschlossen, jenes Hinterland des Städtchens Sand in der Region Ryfylke, wo die sanften Dünen Südnorwegens abgelöst werden durch die wesentlich schroffere Fjordlandschaft, zwei Bootsstunden nördlich von Stavanger, der viertgrößten Stadt Norwegens - mit 110 000 Einwohnern.

Ein englischer Lord, Archer mit Namen, pachtete im späten 19. Jahrhundert die Fischrechte im Suldalslågen auf mehrere Jahrzehnte. Weitere Briten folgten ihm als Unterpächter; nicht alle waren Lords, aber die Einheimischen nannten sie so, weil sie repräsentative Herrenhäuser entlang des Flusses errichteten.

Tödliche Expedition

Einer von ihnen war Victor Campbell, der 1912 an Robert F. Scotts Polarexpedition teilgenommen hat. Die Schneeschuhe, in denen er sich zum Südpol vorkämpfte, von dem er nicht mehr lebend zurückkehren sollte, ließ er in Suldal herstellen. Die Region war einmal bekannt gewesen für ihre hochwertigen Schneeschuhe.

Eines dieser herrschaftlichen Häuser steht heute noch, jenes von Montagu Richard Waldo Sibthorp aus dem ostenglischen Lincoln. Es dient inzwischen als Hotel und beherbergt eines der besten Restaurants in Ryfylke: das Lakseslottet Lindum.

Im Garten des Lachsschlosses, nicht weit vom Ufer des Suldalslågen, steht ein riesiger Badezuber, angeblich der größte seiner Art in Norwegen, dessen Wasser von einem Kohleofen beheizt wird und in dem man auch bei bescheidener Außentemperatur bis lange in die Nacht planschen kann, am besten mit einem kühlen Bier.

Über das Bier ist ein Streit entbrannt im Umland von Stavanger. Die lokale Tou-Brauerei ist von einem größeren Unternehmen aus Oslo aufgekauft worden. Und als sei das nicht schon schlimm genug, wurde obendrein noch die Produktion dieses Bieres in die norwegische Hauptstadt verlagert. Seither wird Tou von weiten Teilen der lokalen Bevölkerung boykottiert. Man ist umgestiegen auf Bier aus Kristiansand.

Im Suldalslågen beginnt die Lachssaison sehr spät, erst Mitte Juli, und dauert dann zwei Monate. Kennern ist Lachs nicht gleich Lachs, die Fische unterscheiden sich je nach Gewässer. In der Nähe der Mündung des Suldalslågen in den Sandsfjord gibt es eine Stromschnelle, an der ein so genanntes Lachsstudio untergebracht ist.

Schwache Zuchtlachse

Besucher können wie in einem Aquarium Lachse und Forellen beobachten, die sich über künstliche Stufen an der Stromschnelle vorbei den Fluss hinauf zu den Laichplätzen arbeiten.

Wildlachse benötigen diese Stufen in der Regel nicht, Zuchtlachse hingegen sind zu schwach, um mit einem Satz über den kleinen Wasserfall hinaufzuspringen, sie nehmen den Umweg über die Stufen des Studios - und werden dort herausgefischt, um eine genetische Vermischung der unterschiedlichen Lachspopulationen zu verhindern.

Einen Wildlachs bekommt man indessen äußerst selten vorgesetzt, das gilt selbst in ausgezeichneten Fischrestaurants. Der Bedarf ist viel zu groß, und so greift auch Jostein Medhus, Küchenchef des "Straen" in Stavanger, auf gezüchtete Lachse zurück. Medhus ist einer jener Köche, die ein wenig Raffinesse in die traditionell recht schlichte norwegische Küche eingeführt haben.

Einst gab es mehr als 70 Konservenfabriken

In Stavanger selbst waren lange Zeit Sprotten wichtiger als Lachse. Die Stadt, von einer Landzunge gegen das offene Meer hin geschützt, war für Jahrzehnte aufgrund der hohen Fangquoten und der Notwendigkeit der raschen Weiterverarbeitung dieser kleinen Fische ein Zentrum der Konservenindustrie.

In den 1920er Jahren gab es hier zeitweise mehr als 70 Konservenfabriken. Einige technische Neuerungen traten von Stavanger aus ihren Siegeszug an, so wurde hier jene Lasche erfunden, die den Dosenöffner erübrigte, und an der man noch bis in die jüngere Vergangenheit jede Getränkedose aufriss, ehe dieser so genannte pull-ring durch das neue Patent stay-on-tab ersetzt wurde.

Um die Sprotten führte Norwegen einen annähernd zehn Jahre währenden Rechtsstreit gegen Frankreich, den es im Jahr 1914 letztlich verlor. Den Norwegern war damit fortan untersagt, ihre Fischkonserven unter der Bezeichnung Sardinen zu verkaufen.

Wichtigster Exportmarkt war Deutschland, und nicht zuletzt vor dem Hintergrund dieser gerichtlichen Auseinandersetzung am Vorabend des Ersten Weltkrieges erklärt sich, dass sich die Fabriken in Stavanger fortan auf diesen Markt konzentrierten und dafür die Etiketten der für das Kaiserreich bestimmten Dosen mit deutschfreundlichen Aufschriften versahen.

So lange zwischen München und Hamburg noch französische Produkte zu bekommen waren, konnten die Kunden also wählen zwischen welschen Sardinen und "Hindenburg-Brislingen" aus Stavanger. Auch die Sorte "Deutschland, Deutschland, über alles" fehlte nicht im Sortiment.

Inzwischen haben die Fabriken in Stavanger geschlossen. Ein Dosenmuseum erinnert seit mehr als 20 Jahren noch an den einst lebensnotwendigen Industriezweig. Aber selbst das liegt versteckt in der Altstadt, ein paar Meter zurückversetzt hinter die Fassaden der weiß getünchten Holzhäuser in der Øvre Strandgate, die so etwas wie ein Freilichtmuseum ist.

Wenn auch ein bewohntes; das Zentrum ist indessen auf die andere Seite des schmalen Hafenbeckens gewechselt, und so konnte diese malerische Gasse durch aufwändige Renovierungsarbeiten in ihrer überkommenen Form konserviert werden.

Stavangers Holzhäuser

Allerdings werden auch heute noch sehr viele Häuser aus Holz gebaut, so auch in der neuen Siedlung am Fuß der imposanten Hängebrücke, unter der alle Fähren und Frachter, die sich in die Fjorde aufmachen, hindurch müssen, weshalb die Siedlung zweifelsohne zu den Schaufenstern der Stadt gehört.

Stavanger hat nach wie vor die größte Dichte an Holzhäusern in Nordeuropa. Auf halbem Weg zwischen dem Ankerplatz der Fähren und der Hängebrücke präsentiert sich das neue industrielle Standbein der Stadt, ja des ganzen Landes - ebenfalls in einem Museum, das sowohl wegen seiner Architektur als auch wegen seiner Ausstellung besuchenswert ist.

Mehr als 30 Jahre liegt es inzwischen zurück, dass vor der Küste Norwegens Öl gefunden wurde. Es hat den Reichtum Norwegens begründet, und wenn der Staat auch einen beträchtlichen Teil der Gewinne aufspart für spätere Generationen, so sichert das Öl schon heute einen hohen Lebensstandard.

In Stavanger haben sie nicht vergessen, welchen Preis es dafür zu bezahlen galt. Im Herzstück des Ölmuseums, wo nachgestellt ist, wie die riesigen Bohrer von einer Reihe Arbeiter bedient werden, hängen an der Wand einige Tafeln mit großformatigen Fotografien, die an den 27. März 1980 erinnern.

In den Abendstunden dieses von den Bewohnern Stavangers verfluchten Tages kippte die Ölbohrinsel "Alexander L. Kielland" um, 123 Menschen fanden den Tod, nur 89 kamen mit dem Leben davon.

Aber auf dem Meer ist auch das Glück zu finden. Vom Öl zum Öl führt die Geschichte Stavangers, von den eingelegten Fischen zu den Bohrinseln. In diesem Jahr hat der britische Künstler Antony Gormley ein Kunstprojekt vollendet, das sich über die gesamte Stadt erstreckt.

23 identische Bronzeabgüsse seines Körpers hat Gormley im Stadtgebiet aufgestellt. Sie wirken, als würden sie mit urwüchsiger Kraft aus dem Boden streben, nach wie vor im Wachsen begriffen. Und alle blicken sie in dieselbe Richtung, nach Westen, hinaus auf die Nordsee. Dort, wo sich immer aufs Neue das Schicksal Stavangers entscheidet.

Schicksalhafte Stunden

Nicht weit von Stavanger, Richtung Flughafen an der Møllebucht im Hafrsfjord, steckt noch mehr Metall im Boden: Nicht aus ihm aufstrebend, sondern hineingerammt in den steinigen Untergrund. Drei Schwerter, für die der Begriff übermannshoch reichlich verniedlichend ist.

Auch sie gemahnen an schicksalhafte Stunden, an die Vereinigung dreier Königreiche zu Norwegen im späten 9. Jahrhundert. Die entscheidende Schlacht hat an dieser Bucht statt gefunden. Den entscheidenden Streich führte Harald I. mit dem Beinamen Schönhaar.

Die Sage berichtet, dass seiner Verlobten Gyda, einer Prinzessin aus Hordaland, Haralds Reich zu klein war - und Schönhaar diesen Anwurf nicht auf sich sitzen lassen konnte.

Die Jahrhunderte zuvor war Norwegen zersplittert in kleine und kleinste Herrschaftsgebiete, beinahe jedes Tal hatte einen eigenen König. In Stavanger sind aus dieser Epoche noch einige Eiszeithöfe erhalten: Lang gestreckte, in den Boden gegrabene Holzhäuser mit Grasdächern. Sie haben nur einen Raum, in dem alles Platz fand.

Die Feuerstellen, die Schlafplätze, sogar fürs Vieh gab es einen separaten Eingang am Ende dieser Häuser. Im vierten und fünften Jahrhundert hatten die Bewohner einen freien Blick von ihrer Anhöhe hinunter über die Gestade der Buchten hinaus aufs Meer. Warum diese Menschen dreihundert Jahre später verschwanden, ist nicht ganz klar.

Danach jedenfalls begann die Zeit der Wikinger. Heute verstellen die Hochhäuser der Außenbezirke von Stavanger den Blick von den Eiszeithöfen aufs Meer. Ein bizarres Nebeneinander.

Schön pragmatisch

Im Zweifel, so hat es den Anschein, siegt in Norwegen eben der Pragmatismus. Ein weiteres Beispiel: In der Ortschaft Årdal im Hjelmeland, an der Reichsstraße 13, einer der schönsten Norwegens, weil sie durch die Fjordlandschaft führt, steht eine Holzkirche. Sie wurde, da die Bevölkerung stetig wuchs, zweimal erweitert.

Hierzu hat man kurzerhand die Chorseite ausgesägt und die Kirche verlängert. Die Bauherren gaben sich keine Mühe, die mehrmalige Streckung des Gebäudes zu kaschieren. Sowohl innen als auch außen sind die Bauabschnitte deutlich voneinander zu unterscheiden; nicht der architektonische Eindruck, sondern der Nutzwert ist entscheidend.

Die Ausmalung der Renaissance-Kirche stammt teilweise von dem deutschen Kirchenmaler Gottfried Hendtzschel. Einige der Heiligenbilder, die direkt auf die hölzernen Wände aufgetragen sind, ähneln ein wenig den Figuren aus Wilhelm Buschs Bildergeschichten.

Von einer dritten Erweiterung, die vor einhundert Jahren notwendig gewesen wäre, hat man in Årdal allerdings Abstand genommen - und ein neues Gotteshaus errichtet. Mitgenommen von der alten zur neuen Kirche hat man auch die Grabsteine und -kreuze.

Unter Palmen

Nur wenige sind rund um die alte Holzkirche verblieben, die heute nur noch zu besonderen Anlässen wie Taufen und Hochzeiten benutzt wird. Wenn man den Kirchhof betritt, bemerkt man deshalb nicht gleich, dass man über ein Gräberfeld hinweg läuft, über den alten Friedhof von Årdal.

Nicht weit von Årdal, etwas südlich, offenbart die Fjordlandschaft zwei sehr gegensätzliche Naturphänomene. An ihnen kann man ganz gut die Spannweite der klimatischen Bedingungen im südlichen Norwegen ermessen. Da ist zum einen die Palmeninsel Sør-Hidle, und daneben der Lysefjord.

Sanft und - in Ansätzen - mediterran präsentiert sich Sør-Hidle: Siri und Olav Bryn haben einen eineinhalb Hektar großen Garten angelegt, Flor og Fjære, in dem unter anderem Palmen und Olivenbäume wachsen. Nicht von Natur aus, das wäre sehr verwunderlich am 59. Breitengrad, auf dem auch die Orkney-Inseln liegen.

Durch einen Pinienhain von kalten Winden geschützt und durch den Golfstrom erwärmt, gedeihen die importierten exotischen Pflanzen in den Sommermonaten aber recht gut auf der Insel.

Den Winter über müssen die meisten Pflanzen allerdings nach Stavanger in ein Gewächshaus gebracht werden. Und selbst im Sommer entsteht nicht der Eindruck üppiger Vegetation - Flor og Fjære wirkt reichlich steril.

Wesentlich typischer ist der schroffe, karge Lysefjord mit seinen zahlreichen Wasserfällen und bis zu sechshundert Meter hohen Felswänden. Auf den Preikestolen kann man hinauf fahren, er ragt einer Kanzel gleich in den Fjord, der Anblick ist gigantisch. Egal, ob von oben hinunter oder, von einem Schiff im Fjord aus, hinauf.

© SZ vom 9.9.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: