Kalkutta in Indien:Taxifahrt nur mit Gebet und Segen

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Ein Ambassador-Taxi durch den mörderischen Verkehr von Kalkutta zu lenken, geht nur mit dem Beistand der Götter - fabrikneue Autos müssen daher sofort zum Priester. Eine Jungfernfahrt.

Klaus Sieg

Jay Dev Chowdhury sitzt kerzengerade hinter dem großen Lenkrad. Vorsichtig lenkt er den gelben Ambassador durch die enge Gasse hinter dem New Market. Frauen in bunten Saris bahnen sich ihren Weg an Ständen und Händlern vorbei, die schreiend ihre Waren feilbieten. Jay Dev Chowdhury lässt das Gewusel hinter sich, biegt in die breite Nehru Road und fädelt den Wagen in den dichten Verkehr. Erleichtert stößt er den Atem aus.

Gemeinsames Leben, sogar die Hitze in Kalkutta belastet sowohl Fahrer als auch Taxis. (Foto: AFP)

Wohl selten sieht man in Kalkutta einen Taxifahrer so vorsichtig fahren. An mangelnder Erfahrung liegt das nicht. Der 44-Jährige fährt seit einem Vierteljahrhundert Taxi. Doch heute hat er seinen neuen Ambassador beim Händler abgeholt. "Ich besitze zwar schon sechs Taxen, trotzdem ist das ein besonderer Tag für mich." Jay Dev Chowdhury lächelt und streicht sich über seinen fast kahlen Schädel mit dem grauen Haarkranz.

Mit lautem Hupen fährt ein Bus von hinten heran. Wild gestikulierend schlägt der Gehilfe des Busfahrers auf das zerbeulte Blech des Monstrums. Jay Dev Chowdhury lenkt seinen Ambassador zur Seite und zwingt eine Motorrikscha zum Ausweichen, die wiederum einen Radfahrer abdrängt. Beim Vorbeifahren stößt der Bus eine schwarze Abgaswolke aus seinem klappernden Auspuff.

Auf Kalkuttas Straßen herrscht das Recht des Stärkeren. Die Nervosität des Taxiunternehmers ist also verständlich. Zumal der Neuwagen noch nicht die nötige spirituelle Ausstattung bekommen hat: den Segen. Um das zu ändern, geht die erste Fahrt in Richtung Süden, zum hinduistischen Kali-Tempel.

Jay Dev Chowdhury entspannt sich und beginnt, einige Mantras zu singen, "Hare Krishna, Hare Rama, Hare Krishna, Hare Rama". Mit der flachen Hand klopft er den Takt auf den Beifahrersitz, über den sich noch die Schonbezüge aus durchsichtigem Plastik spannen.

Der Ambassador ist das Yellow-Cab Kalkuttas. Der Wagen, der aussieht, als wäre er aus einem Tim-und-Struppi-Comic gerollt, prägt das Straßenbild der Metropole am Fluss Hugli wie kein anderes Gefährt - sieht man einmal von den aus Holz gebauten Rikschas ab, die hier noch von ausgemergelten Gestalten gezogen werden.

Der bucklige Ambassador hat das Blech und die Bodenfreiheit eines Panzers, aber weder Airbag noch Klimaanlage. Seit mehr als fünfzig Jahren produziert Hindustan Motors das hoffnungslos veraltete Gefährt, das eine indische Variante des englischen Morris Oxford ist, vor den Toren Kalkuttas. Die Technik ist bestechend einfach. Ersatzteile sind vergleichsweise preiswert. "Einen Ambassador reparieren zu lassen, kostet nicht viel", sagt Jay Dev Chowdhury, als er seinen Wagen über die Park Street mit ihren prächtigen Kolonialbauten lenkt.

Überall in Kalkutta wird der Ambassador auf offener Straße oder dem Bürgersteig repariert. Barfuß stehen die Mechaniker im Ölschlamm. Mit einfachen Kettenwinden ziehen sie ganze Aggregate aus dem tiefen Motorraum, tauschen Fenster und Türen oder eben mal ein Achslager.

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Trotzdem entscheiden sich private Autokäufer eher für ausländische Modelle oder einen Kleinwagen des indischen Mischkonzerns Tata. Die Stückzahlen bei Hindustan Motors gehen seit der wirtschaftlichen Öffnung Indiens in den neunziger Jahren massiv zurück. Dass der Wagen überhaupt noch vom Band läuft, ist der verlässlichen Order von Behörden und Armee sowie der unbeirrbaren Treue der Taxichauffeure zu verdanken.

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Einen Ambassador zu fahren, erfordert zwar den vollen Körpereinsatz des Fahrers. Dafür aber fühlen die Fahrgäste sich in dem Wagen wie auf einem Fels in der Brandung. Das Verkehrschaos prallt an dem Ambassador einfach ab. Und über die tiefen Schlaglöcher indischer Straßen schaukelt er in fast majestätischem Gleichmut.

Kurzer Stop auf dem Platz vor dem Park des Queen Victoria Memorials. Kutscher hocken auf ihren Droschken und warten auf Kundschaft. Jay Dev Chowdhury blickt durch den Gitterzaun auf den grünen Rasen und die Brunnen vor dem Memorial. Er komme gerne mit seinen Söhnen zum Memorial, sagt er. "Doch viel Zeit dafür bleibt mir nicht, meistens stehe ich hier mit dem Taxi und warte auf Kunden." Wenn er nicht selber fährt, muss er die Fahrer einteilen oder sich um einen seiner Wagen kümmern. Seine Taxen hat der Unternehmer über die Bank finanziert, abbezahlt sind erst zwei Wagen. Nachdem er Raten, Reparaturen, Benzin, korrupte Polizisten und die Fahrer bezahlt habe, bleibe wenig übrig, sagt er.

Mit seiner Frau und den beiden Söhnen wohnt er in einem kleinen Zwei-Zimmer-Haus in einem Slum im Stadtteil Tollygunge. Dafür aber gehen seine Söhne länger zur Schule, als er selbst es als Sohn eines Fabrikarbeiters konnte. "Aus ihnen soll einmal etwas Besseres werden", hofft der Vater.

Ein Segensspruch für den Neuwagen muss trotz der knappen Finanzen sein, auch wenn die Priester dafür rund einhundert Rupien verlangen. In einer Seitenstraße am Kali-Tempel bieten sie ihre Dienste an, nicht unweit von der Straße mit den Prostituierten. Kali ist die Lieblingsgöttin der Bengalen. Sie steht mit einem Fuß auf der Brust eines Mannes und trägt um die Hüfte eine Kette aus Totenschädeln. Kali steht für das Leben mit all seinen Widersprüchen. Die Zeremonie findet über der geöffneten Motorhaube statt.

Der Priester schlägt eine Kokosnuss auf dem Asphalt auf, träufelt die klebrige Milch auf Motor, Kotflügel, Polster und Lenkrad. Jay Dev Chowdhury hält ein Bündel qualmender Räucherstäbchen zwischen den gefalteten Händen. Dann spritzt der Priester Gangeswasser über den Motor. Mit dem Finger malt er einen roten Punkt auf den Luftfilter - und auf die Stirn des Taxiunternehmers. Mit leuchtenden Augen verteilt Jay Dev Chowdhury Zuckerkekse an die Umstehenden. Nun kann doch eigentlich nichts mehr schiefgehen, oder?

"Wenn Wahlkampf ist, kann es passieren, dass irgendwelche Politiker den Wagen beschlagnahmen, um Materialien zu transportieren." Jay Dev Chowdhury runzelt die Stirn. Doch schnell hellt sich seine Miene wieder auf. "Der Ambassador hat mir in meinem Leben Glück gebracht."

Der Taxiunternehmer rührt in der Lenkradschaltung, legt den ersten Gang ein und fährt in Richtung Norden davon. Er will über die Hugli-Brücke zum Bahnhof und später in der Parkstreet oder der Sudderstreet nach Touristen Ausschau halten. Vielleicht fährt er auch noch einmal in das Viertel Kumartuli, um sich eine Götterfigur aus Lehm für sein neues Auto zu besorgen. Schnell verschwinden die Rücklichter seines Ambassadors im Meer der Großstadtlichter.

© SZ vom 16.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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