Höhenwanderung:Zu Fuß über die Alpen

Vom Kampf gegen Nebel, Blasen und den Schweinehund: In sechs Tagen von Oberstdorf nach Meran - ein Routentagebuch.

Axel Täubert

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(Foto: Axel Täubert)

Viele hegen den Traum einer Alpenüberquerung zu Fuß, scheuen jedoch den zeitlichen Aufwand sowie die körperliche Anstrengung des Klassikers von München nach Venedig. Es geht auch einfacher: Die wesentlich kürzere Strecke von Oberstdorf nach Meran ist landschaftlich ebenso reizvoll und erlaubt am Ende das nahezu vergleichbare Gefühl "Ich hab's geschafft!" Außerdem ist die Tour mit gerade mal sechs Tagen Dauer in der Regel resturlaubstauglich. Blick auf die Braunschweiger Hütte (2758 m), die sich im Gletschersee spiegelt.

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(Foto: Axel Täubert)

Tag 1: (Aufstieg 1050 m, Abstieg 20m, Gehzeit ab Spielmannsau ca. 3h) Mit dem Zug fährt man von München aus am schnellsten mit dem ALEX ohne Umsteigen direkt nach Oberstdorf. Dort angekommen, startet man sofort vom Bahnhof aus oder lässt sich von einem Taxi zur Spielmannsau Alm fahren. Wir entscheiden uns für letzteres, der geteerte Wirtschaftsweg zur Alm sieht nicht verlockend aus. Einmal entlang der Trettach losgelaufen, kommt man wenig später auf einen rasch steiler werdenden Pfad, der sich zunächst dschungelartig durch großblättrigen Bewuchs schlängelt. Eigentlich kein Problem - wenn nicht diese Myriaden von Mücken wären! Blick von der Kemptner Hütte (1846 m) in Richtung Muttlerkopf (2366m)

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(Foto: Axel Täubert)

Mit zunehmender Höhe nehmen Vegetation sowie Insekten ab und man kreuzt auf ausgesetztem Weg mehrere kleine Wasserfälle. Das kalte Wasser scheint den Schuhen meines Begleiters Sebastian nicht gut zu bekommen. Von hinten kann ich beobachten, wie sich beide Sohlen kurz danach von den Fersen an lösen. Zum Glück sind wir da schon in Sichtweite der Kemptner Hütte, unserer ersten Übernachtungsstation. Selbst der mitgeführte Sekundenkleber kann das morsche Gummi nicht wieder fixieren, so dass wir morgen in Holzgau wohl neue Schuhe kaufen müssen.

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(Foto: Axel Täubert)

Nicht nur um den müden Beinen etwas Erholung von der noch ungewohnten Belastung des Tages zu gönnen, eignet sich der circa einen Kilometer lange Höhenweg zum Aussichtspunkt zurück Richtung Oberstdorf. Neben einem schönen Blick auf die umliegenden Berge, hat man hier nämlich auch Handyempfang für eine kurze Botschaft Richtung Heimat. Blick vom Aussichtspunkt Richtung Muttlerkopf (2366 m) und Mädelejoch (1973 m)

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(Foto: Axel Täubert)

Tag 2: (Aufstieg 1320 m, Abstieg 920 m, Gehzeit ca. 7h) Am nächsten Morgen geht es von der Kemptner Hütte zunächst gute 100 Höhenmeter hinauf zum Mädelejoch. Begleitet von Sebastians Flip-Flop Geräuschen überschreiten wir auf dem Kamm die Grenze zu Österreich und steigen hinunter in das immer enger werdende Höllenbachtal, vorbei am Simms Wasserfall. Später findet sich in Holzgau neben einem Brunnen mit Trinkwasser ein gut sortiertes Sportgeschäft mit einer großen Auswahl an Wanderschuhen. Um die verlorene Zeit wettzumachen, nehmen wir von Holzgau nach Bach einen Linienbus. Ab der Ortsmitte von Bach schlängelt sich rechter Hand ein teilweise steiler Wirtschaftsweg hinauf ins Parseiertal. Für die Mittagspause ist hier das nur wenige Minuten abseits des Weges liegende "Gasthaus Hermine" sehr zu empfehlen - köstlicher Kaiserschmarrn! Knapp eine Stunde später erreichen wir die Materialseilbahn zur Memminger Hütte. Falls man den bevorstehenden sehr steilen und 800 Höhenmeter währenden Aufstieg etwas leichtfüßiger bewältigen möchte, kann man hier gegen Entgelt sein Gepäck loswerden. Sebastian beklagt mittlerweile die ersten Blasen in seinen neuen Schuhen, und ich bekomme Rucksack und Kaiserschmarrn keinesfalls zusammen den Berg hinauf - wir wählen die leichtere Alternative. Blick auf die Memmingerhütte (2242 m) in Richtung Seeschartenspitze (2705 m) und Seechartenkopf (2664 m)

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(Foto: Axel Täubert)

Schnellen Schrittes sind wir in eineinhalb Stunden und noch vor unserem Gepäck oben, denn die Seilbahn fährt immer erst abends und voll beladen aufwärts. Der Transport lohnt sich für den Wirt gleich doppelt: Vor lauter Durst haben wir jeder ein Radler und zwei Skiwasser getrunken, bis mit unseren Rucksäcken auch unsere Trinkflaschen eingetroffen sind. Auf der Terrasse der Memminger Hütte (2242 m) mit dem Seekopfmassiv im Hintergrund

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(Foto: Axel Täubert)

Tag 3: (Aufstieg 470 m, Abstieg 2200 m, Gehzeit bis Galflunalm ca. 7h) Vor dem Frühstück genießen wir den Sonnenaufgang von der Terrasse der Memminger Hütte, der die Spitzen des gegenüberliegenden Massivs in rotes Licht taucht. Es dauert fast eine halbe Stunde, bis Sebastians wundgescheuerte Blasen mit Blasenpflaster und Leukoplast abgeklebt sind. Dann laufen wir los, ...

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(Foto: Axel Täubert)

... vorbei am Unteren Seewisee, in dessen glatter Oberfläche sich die Freispitze (2884 m) malerisch spiegelt.

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(Foto: Axel Täubert)

Nach einer leichten Kletterei überschreiten wir die Seescharte (2599 m) und machen uns auf den Weg hinunter ins Tal nach Zams. Gut die Hälfte der 2000 Höhenmeter geht es über den steilen Bergrücken der Seeschartenspitze hinab, später führt dann der fast ebene Pfad den Lochbach entlang.

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(Foto: Axel Täubert)

Das Tal ist hier noch weitläufig und erinnert an die Weite und Wildnis von Kanada. Leider führt der Weg bald weg vom schönen Lochbach. Während dieser sich in die immer enger und tiefer werdende Schlucht des Zammer Lochs stürzt, bleiben wir weiter oben auf einem teilweise stark ausgesetzten und in den Fels getriebenen Höhenweg. Als sich der Blick schließlich Richtung Zamser Kirchturm auftut, glauben wir uns bereits der Mittagspause nahe, unterschätzen dabei aber den restlichen schier endlosen Abstieg. Blick von der Seescharte (1955 m) entlang des Lochbachs in Richtung Zammer Loch

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(Foto: Axel Täubert)

In Zams gönnen wir uns eine üppige Mahlzeit und eine Stunde Rast, denn wir wollen noch rauf zum Krahberg, um über den neu angelegten Panoramaweg den Südhang des Venetbergs bis zur Galflunalm zu queren. Aussichtspunkt auf dem Krahberg (2208 m) mit Glander Spitze (2512 m) im Hintergrund

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(Foto: Axel Täubert)

Diese vom Wanderführer empfohlene Variante erweist sich als echtes Highlight. Fast eben zieht sich der Weg in großer Höhe den Hang entlang. Die tiefstehende Sonne legt ein warmes Licht über die Hänge, auf denen Heidekraut in den verschiedensten Rot- und Rosatönen erstrahlt, dazu der Blick auf die umliegenden Berge ... Sonst habe ich Alpenvereins-Senioren immer belächelt, die sich über ihre Bergblumenfotos freuen - hier kann auch ich nicht anders.  Panoramaweg am Südhang des Venetbergs

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(Foto: Axel Täubert)

Dass wir dann nochmals 250 Höhenmeter absteigen müssen, nehmen wir für diese Eindrücke  -zwar unter Schmerzen aber trotzdem gerne - in Kauf. Nach sieben Gehstunden und insgesamt drei Pausen kommen wir gegen 17:00 Uhr müde und  glücklich ... Blick vom Panoramaweg hinüber zum Sechszeiger (2392 m) und Hochzeiger (2560 m)

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... auf der überaus urigen Galflunalm an. Das Bier und die Käsespätzle schmecken an diesem Abend besonders gut! Abendstimmung in Galflunalm (1961 m)

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(Foto: Axel Täubert)

Tag 4: (Aufstieg 1630 m, Abstieg 1000 m, Gehzeit bis Pitztaler Jöchl ca. 4,5 Stunden) Heute heißt es püntklich aufstehen: Um 9.40 Uhr fährt der Bus in Wenns ab, der uns durch das lang gezogene Pitztal nach Mittelberg bringen soll. Diese knapp eine Stunde lange Fahrt ist standardmäßiger Bestandteil des E5. Gemäß dem Rat der Wirtin beschreiten wir den alten Almpfad, welcher kurz hinter der Lacher Alm rechts ab geht. Ein echter Geheimtipp: Die Route erweist sich nicht nur als wesentlich schneller, ... Weg ins Tal Richtung Wenns, vorbei an der Larcher Alm (1814 m)

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... sondern auch als bedeutend schöner als der neu angelegte Wirtschaftsweg. Unterwegs bedarf es allerdings eines gewissen Orientierungsvermögens. An der Endstation der Busfahrt angekommen, laufen wir den breiten Schotterweg bis zur Materialseilbahn und laden wiederum unsere Rücksäcke auf - diesmal jedoch erst, nachdem wir unsere Wasserflaschen entnommen haben.

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Im Gletscherskigebiet wird groß gebaut, der ursprüngliche Weg vorbei am Wasserfall ist gesperrt. Ein neuer Weg führt links vom Bach geradewegs auf den Fels zu und wandelt sich wenig später in einen wunderschönen, leicht begehbaren Steig. Trotzdem stößt man irgendwann auf die künstlich angelegte Skipiste, die sich wie eine riesige Narbe durch das Gestein zieht. Die Lust auf Skifahren in hochkommerziellen Gletschergebieten kann einem hier gründlich vergegen. Aufstieg von Mittelberg (1736 m) zur Braunschweiger Hütte (2758 m)

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900 Höhenmeter weiter oben wartet die Braunschweiger Hütte mit einer gemütlichen Jause und einemTraumblick auf den Pitztaler Gletscher. Gemäß empfohlener Etappenplanung wäre hier heute Endstation. Doch für den nächsten Tag gibt es eine Schlechtwetterwarnung und so beschließen wir - wider den inneren Schweinehund - doch noch das Pitztaler Jöchl zu überschreiten. Bei dem erwarteten Neuschnee und schlechter Sicht wäre das sonst keine so gute Idee. Die zusätzliche Stunde Anstrengung wird belohnt: mit nahezu unbegrenzter Fernsicht und einigen tollen Erinnerungsfotos. Oben angekommen, ergibt sich ein irgendwie unwirkliches Bild: Sommerskifahrer wedeln die Hänge hinunter, wir fühlen uns deplatziert zwischen Schneebar und Après-Ski. Genug für heute: Wir nehmen den Bus hinunter nach Sölden und weiter nach Vent. Dort soll morgen die fünfte Etappe starten. Pitztaler Gletscher mit Linker Fernerkogel (3277 m) im Vordergrund

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Tag 5: (Aufstieg 1110 m, Abstieg 0 m, Gehzeit bis Similiaunhütte ca. 4 Stunden) Die Wetterprognose war richtig: Starkregen prasselt am nächsten Morgen auf das Hüttendach. Da drehen wir uns in unseren gemütlichen Betten einfach nochmal um und schlafen ausnahmsweise bis 8:30 Uhr aus. Beim Aufbruch am späten Vormittag lässt der Regen langsam nach, das Wetter ist trüb und kalt.

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Am Ortsausgang Vent halten wir uns links und gehen in Richtung Martin Busch Hütte bergan. Links und rechts grasen hunderte von italienischen Schafen, die traditionell hier in Österreich den Sommer verbringen. Vorbei an Schäferhütten und steinzeitlichen Fundstellen erreicht man nach knapp zwei Stunden sowohl die Martin Busch Hütte als auch die Schneegrenze auf 2500 Meter. Spätestens jetzt sind wir froh, dass wir nicht erst heute das Pitztaler Jöchl überschritten haben, wie ursprünglich geplant. Auf der recht schlichten und nicht besonders spektakulär gelegenen Hütte, die der Reiseführer eigentlich als Endstation der fünften Etappe vorsieht, essen wir ausgiebig warm zu Mittag und trocknen unsere nassen Klamotten. Martin Busch Hütte (2501 m) im wolkenverhangenen Nieder Tal

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(Foto: Axel Täubert)

Durch den gestern herausgearbeiteten Vorsprung haben wir genug Zeit, die Strecke bis zur hochalpinen und noch sehr ursprünglichen Similiaunhütte zu schaffen. Wir spuren durch eine dicke Schicht Neuschnee gen Pass am rechten Hang des Gletschertals entlang. Nicht immer sind die Markierungen gut zu sehen und wir müssen aufpassen, dass wir den Einstieg zum Weg am Gletscher entlang, nicht verfehlen. Das Begehen des Ötztal-Gletschers sollte man besser vermeiden. Blick hinab ins Niederjochtal zurück Richtung Martin Busch Hütte (2501 m)

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(Foto: Axel Täubert)

Ungefähr 100 Meter vor der Hütte passieren wir die italienische Grenze. So richtig wird uns das aber erst beim köstlichen Cappucino auf der Similaun-Hütte bewusst. Und noch eins: Wir haben den höchsten Punkt unserer Alpenüberquerung erreicht!

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(Foto: Axel Täubert)

Tag 6 (Aufstieg 0 m, Abstieg 1300 m, Gehzeit ca. 2h nach Vernagt) Bei wolkenlosem Himmel, dafür jedoch klirrender Kälte, werden wir am nächsten Morgen für unsere Mühen am Vortrag belohnt: Der Sonnenaufgang ist einfach gewaltig und die Fernsicht grenzenlos. Blasen hin, Muskelkater her: Wer denkt bei dieser Aussicht schon an so was? Aussicht hinunter ins Schnalstal kurz nach der Grenze zu Italien.

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(Foto: Axel Täubert)

Unten Richtung Vent hängt ungefähr auf Höhe der Martin Busch Hütte eine dicke Wolkenschicht - unsere Entscheidung war also richtig. Morgenstimmung zurück in Richtung Niederjochtal und Martin Busch Hütte

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(Foto: Axel Täubert)

Den einzigen Nachteil unserer Herberge, die nicht vom DAV, sondern privatwirtschaftlich betrieben wird, erkennen wir bei der Abrechnung. Doch die höheren Preise für Kost und Logis zahlen wir für diese hochalpine Übernachtungserfahrung gern. Die Abzweigung zur Ötzi-Fundstelle lassen wir auf dem Weg zum letzten Etappenziel Vernagt rechts liegen und machen uns an den Abstieg. Zunächst überwindet man den größten Teil des Höhenunterschieds auf einem steilen und ausgesetzten Stieg, um kurze Zeit später mit dem saphirblauen Stausee vor Augen das flacher werdende Tisental zu durchschreiten. Die hochalpine Similaunhütte auf 3019 m

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(Foto: Axel Täubert)

Was dem Sommerskifahrer die Schneebar am Hangende, ist dem Alpenüberquerer die Jausenstation Tiesenhof: Der abschließende Einkehrschwung mit Bilderbuchpanorama lässt sich nirgends besser genießen. Etwas wehmütig und zugleich stolz realisieren wir das Ende unserer Tour. Auch wenn man jeden Muskel spürt und die Knochen schmerzen: Der Kopf fühlt sich so frei an, wie lange nicht - und das war ja schließlich auch ein Ziel bei dieser Unternehmung. Von Vernagt aus nehmen wir den Bus nach Naturs, um von dort weiter nach Meran zu fahren. Hier steigen wir in einen Nahverkehrszug nach Bozen und dort schließlich in den EC nach München. Endstation Tisenhof (1814 m) am Vernagt-Stausee

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(Foto: Axel Täubert)

Vorbereitung: Die Tour ist durchaus auch für Kurzentschlossene mit wenigen Tagen Vorbereitungmachbar. Am besten kauft man sich den Rother Wanderführer zum Fernwanderweg E5, der einem im Vorfeld sowohl bei der Auswahl des möglichst leichten Gepäcks, sowie bei Planung von An- und Abreise wertvolle Tipps gibt. Als Begleiter unterwegs nahezu unabdingbar, beschreibt dieser die Tagesettappen inklusiver einiger Varianten und deren Dauer klar und unmissverständlich. Weiteres Kartenmaterial ist an sich nicht notwendig. Auf den als Übernachtungsmöglichkeiten vorgeschlagenen Hütten sieht man den Führer zwischen Juni und September abends fast auf jedem Tisch liegen. Erfahrene und trittsichere Wanderer können von den dort angegebenen Gehzeiten circa ein Viertel abziehen. Und noch ein Tipp: Am besten startet man die Tour an einem Mittwoch oder Donnerstag, um nicht in den Tross der Bergschulen zu geraten, die in der Regel samstags und sonntags losgehen. Früherbstliche Färbung am Südhang des Venetbergs

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