Great Ocean Road:Die Straße der Glücksritter

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Goldgräber, Surfer, Aborigines: Von jeher ist die wunderschöne Südküste Australiens zahllosen Abenteurern zum Verhängnis geworden. Heute jedoch haben hier so einige Menschen ihr Glück gefunden.

Ingo Hübner

Beim Abstieg ist genug Zeit, genug, um das ganze Drama noch einmal vor dem inneren Auge Revue passieren zu lassen. Im Hintergrund grollte das Meer bereits in kaum zu bändigender Wut. Kurz davor, sich zu entladen, Wellen mit alles auslöschender Kraft auf den Strand loszulassen.

(Foto: Grafik: Thiessat)

An diesem kämpfen zwei Männer. Der eine fest entschlossen, den großen letzten Freiheitskick mitzunehmen: mit dem Surfbrett die ultimative Todeswelle zu reiten. Der andere für die Genugtuung der bürgerlichen Moral: seinen verbrecherischen Gegner dem Gesetz zu übergeben. Schließlich erliegt der Gesetzeshüter der hypnotisierenden Konsequenz des anderen und lässt ihn aufs Wasser - so war's mit Patrick Swayze und Keanu Reeves in der Schlussszene von "Gefährliche Brandung" am Bell's Beach.

Zum Surfen kommen hier schon immer nur die Hartgesottenen her, vielleicht sogar nur die Todesmutigen. Der Strand ist weltbekannt für seine einzigartigen Wellen, ihre Höhe, ihre Dimension, ihre Gewalt. Oben ins Holzgeländer, am Anfang der Treppe, ist eingeritzt zu lesen: If you can't surf, fuck off! Vom Meer faucht der Wind, als wolle er einen von der Treppe reißen, schiefergraue Wolken hängen wie eine Drohung über dem endlosen Horizont. Herbe Schönheit, dieser Bell's Beach.

Was sagte Bob Smith im Surfworld Museum in Torquay noch gleich über den Strand? "Das meist schlechte Wetter dort ist gut für uns Surfer, es hält die Massen ab." Bob ist mit 58 Jahren immer noch auf der Suche nach der perfekten Welle und dabei muss er schon ziemlich viel Sonne abbekommen haben, denn er sieht ein bisschen nach in die Jahre gekommenem Sunnyboy aus: stechende, blaue Augen, struppiges, dunkelblondes Haar, ledrige, von Sommersprossen übersäte, braune Haut. Nur viel lässiger, mit T-Shirt und Jeans, die nackten Füße schauen unten raus.

Lehrer sei er gewesen, sagt er. Das nimmt ihm eh keiner ab. Im Museum hilft er nur gelegentlich aus, ein bisschen Papierkram erledigen, interessierten Touristen Geschichten vom Surfen erzählen und darüber wie alles begonnen hat, in Torquay und am Bell's Beach.

Auf den alten Schwarz-Weiß-Fotos sind sie zu sehen, die ersten Surfer mit ihren Longboards, Bademützen und gestreiften Anzügen. Schaut ein bisschen nach Urlaub vom Gefängnis aus. Das war in den 50ern, sagt Bob.

Aber viel lieber noch, als Geschichten zu erzählen, ist er selbst draußen auf dem Wasser. "Für den wahren Surfer ist die eine große Welle Glück in Vollendung", Bobs Augen werden bei diesen Worten ein wenig glasig, der Rausch hat ihn gepackt. Jetzt ist er gedanklich mittendrin, im Tunnel unter der Welle.

Adrenalinstoß, Todesangst, innere Ruhe, alles auf einmal. "Plötzlich hast du das Gefühl, als würde die Zeit stehen bleiben, die Welt eingefroren. Der Ritt ist tatsächlich nur wenige Sekunden lang, aber es kommt dir vor wie die Ewigkeit", sagt Bob. Ja Mann, das Fieber steckt an. Also das Brett gepackt und am Nachmittag selbst raus aufs Meer. Um es kurz und vor allem schmerzlos zu machen: Die eigenen Versuche haben sich gegen Bobs Beschreibungen sehr bescheiden ausgenommen.

Bob und das Surfworld Museum, Torquay und der Bell's Beach, schon der Beginn der Great Ocean Road hat viele Gesichter. Gewöhnlich haken Reiseveranstalter mit ihren Touristenbussen die Straße an einem Tag ab - und die Urlauber verpassen das meiste. Denn die Great Ocean Road und ihre Anwohner links und rechts davon erzählen coole Geschichten. Über Größe und Mut, von Glücksrittern und Glücklichen, von unbändiger Natur an der Küste, von stiller Natur im Hinterland.

Sie rollt weiter nach Lorne und Apollo Bay. Heute blitzende Badeorte, doch in den 1840er Jahren waren sie nichts weiter als dreckige Holzfällercamps in einem unzugänglichen Regenwald. Hier beginnt die Geschichte der Straße, eine schwarze in mancher Hinsicht. Nach den Holzfällern kamen die Farmer aus Melbourne und schließlich entdeckte irgendjemand Kohle. So entstand der Plan, die Gegend mit einer Straße an die Zivilisation anzubinden. Es dauerte jedoch noch bis 1919, ehe dieser konkrete Gestalt annahm.

Mehr als 3000 heimgekehrte Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg haben in den nächsten 13 Jahren dann der Küste diese Straße abgerungen. Eine Leistung, die kaum atemberaubender sein könnte als an den Stellen, wo die mit dem letzen Fitzelchen Regenwald bedeckten Bergzüge der Otway Ranges bis zur Küste vorstoßen und die Great Ocean Road förmlich eingeklemmt scheint zwischen den Elementen Wasser und Erde.

Menschen tragen aber auch Verantwortung dafür, dass von den ursprünglichen Regenwäldern, die das Land einst bedeckten, nur noch die besagten Fitzelchen übrig sind. Genau das, was heute im Cape Otway Nationalpark streng geschützt ist.

Eucalyptus regnans, auch Mountain Ash genannt, sei das gewaltigste Lebewesen dieser Erde, behaupten die Ranger des Parks gerne über die Riesenbäume. Und dann philosophieren sie über den feinen Unterschied zu den amerikanischen Redwoods, nämlich darüber, dass ihre Eukalypten auf jeden Fall in der Kategorie der blühenden Pflanzen vorne lägen. Das tun sie, während man auf einer hängebrückenartigen, schwingenden Stahlkonstruktion, die sich Otway fly tree top walk nennt, inmitten der Baumkronen steht, mit 40 Meter Nichts unter den Schuhsohlen.

Die Kunde vom gewaltigsten Lebewesen der Erde stützt sich jedoch auf ein, ebenfalls wackeliges, Fundament: Holzfällerlegenden. Sie berichten von einem Baum mit unglaublichen 150 Metern Höhe - bis heute ist nicht zweifelsfrei geklärt, ob das nur ein Märchen war. Zurzeit bringen es einige Exemplare im Park auf immerhin 80 bis 90 Meter - und vom Boden aus sehen auch sie imposant genug aus.

Die Geburt dieser Eukalypten fällt in die Zeit, als Issac Newton das Licht der Welt erblickte und Rembrandt Meisterwerke schuf. Riesenbäume, die alles schlucken, das Licht der Sonne, die Geräusche der Zivilisation. Inmitten von haushohem Wurzelwerk und Farnen, Kulissen wie aus einer Fantasy-Welt, kommt man sich schnell ganz klein vor.

Ein paar Minuten weiter in Richtung Kap ist die Macht des Waldes bereits wieder gebrochen. Auf einer ehemaligen Rodungsfläche haben Lizzie Corke und Shayne Neal das Cape Otway Centre for Conservation Ecology aufgebaut. Eine Herberge, die in Australien mittlerweile den Ruf genießt, ein Musterbeispiel für nachhaltigen Tourismus zu sein. "Komm rein, mach's Dir bequem, ich muss nur schnell meinen zwei Babys die Flasche geben", sagt eine blonde, sommersprossige Frau, die hinter dem Fliegengitter an der Tür steht und nicht viel älter als 20 zu sein scheint - Lizzie.

Wie sich im Raum neben dem Eingangsbereich herausstellt, sind die Babys mutterlose Wallabys, die Lizzie aufpäppelt. Verwaiste Koalas will sie auch bald bei sich aufnehmen, erzählt sie, während ein Wallaby gierig an der Milchflasche saugt. Viele Eltern werden nämlich überfahren und die Kleinen sind alleine hilflos. Die Flaschen sind leer, und Lizzie steckt die Wallaby zurück unter ihre warme Decke im Brutkasten.

Shayne, gerade von irgendwo aus dem Haus aufgetaucht, ist ebenfalls überraschend jung. Tatsächlich sind beide 27 und haben sich mit Anfang 20 in das Abenteuer ihres Lebens gestürzt, wie sie es nennen. "So jung haben wir das Risiko einfach nicht wahrgenommen", sagt Shayne und grinst breit. Alles haben die beiden so ökologisch verträglich wie nur möglich aufgebaut: Das Haus besteht aus Lehm, die Strom- und Wasserversorgung wird mit Solarzellen und Regenwasser bestritten.

Zahlreiche Preise haben sie dafür eingeheimst, Lizzie ist sogar von Premierminister Howard als jüngste Umweltschützerin geehrt worden. Und jetzt, jetzt sind sie glücklich, dass sie ihren Traum leben, sagen sie und lachen. Ach ja, und das Geschäft brummt und sie können den Australiern zeigen, wie nachhaltiges Leben funktioniert. Das ist nämlich eigentlich die erklärte Mission der beiden.

In der grauvioletten Abenddämmerung führen Shayne und Lizzie ihre Gäste auf den Koala Ridge Walk. Einen Wanderweg, den sie auf ihrem Grundstück angelegt haben, und der zeigen soll, wie Victorias Wälder überall wären, wenn der Mensch sie in Ruhe gelassen hätte. Graue Riesenkängurus malträtieren da in gebührendem Abstand zu ihren Beobachtern das Gras, glotzen teilnahmslos zurück.

Der Pfad führt in den angrenzenden Wald zurück und dort grunzt alsbald etwas wie ein Schwein, nur viel lang gezogener, lauter, röchelnder und gefährlicher klingend. Lizzie lacht, wir anderen erschrecken. "Typisches Reviergehabe der Koala-Männchen", sagt sie und richtet ihren Taschenlampenstrahl in Richtung des unheimlichen Geräuschs in die schemenhafte Krone eines Eukalyptusbaumes.

Tatsächlich, da sitzt ein kleines Pelzknäuel ganz niedlich in einer Astgabel, als ob es niemandem etwas zu Leide tun könnte. Ganz schön hinterfotzig, diese Koala-Männchen, veranstalten gruseliges Ökotainment.

Der nächste Tag beginnt in schlichtem Weiß: Ein Leuchtturm, hoch über dem Meer, markiert am Kap Otway den Anfang der Shipwreck Coast, die sich vom Kap nach Westen erstreckt. An ihr zerschellten Schiffe, starben Hunderte, wenn nicht Tausende.

Zunächst waren es die Sträflinge aus England auf dem Weg nach Sydney. Um 1850 herum waren es Glücksritter im Goldrausch, angelockt von den Funden in Victoria und New South Wales. Die beharrlichen Winde von Süden aus der Antarktis ließen die Pläne der Menschen jedoch allzu oft an der wenig einladenden Küste enden.

Im Port Campbell National Park, da, wo die fotogenen 12 Apostel im Meer stehen, kommt ihr forscher Charakter sehr deutlich zum Vorschein. Was macht Australien dort? Hört einfach auf. Kein sanfter Abgang zum Meer. Nein, ohne Ankündigung steht einfach eine 50 Meter hohe Sandsteinwand da. Eine knochenfarbene, in der milden Abendsonne warmgolden scheinende Grenze der Welt. Für die Schiffbrüchigen gab es an dieser Küste so gut wie keinen Weg nach oben aufs Land.

Dort tummeln sich diejenigen, die in den Reisebussen von AAT Kings oder sonst einem Veranstalter hierher gekommen sind, und jetzt einen 20-minütigen Fotostopp genießen dürfen. Während die Fahrer in ihren klimatisierten Bussen dösen oder auf dem in besten Wal-Mart-Dimensionen angelegten Parkplatz ein Pläuschchen mit einem Kollegen halten, hetzen die Touristen von einem Aussichtspunkt über der Küste zum nächsten.

Schnell hier ein Foto gemacht, "bitte geh ein Stück zur Seite, die Apostel müssen im Hintergrund mit drauf", sagt ein Mann zu seiner Frau und drückt den Auslöser noch mal, dann sind sie wieder weg. Dabei könnte man Tage hier stehen, die Kinnlade runtergeklappt, und staunen. Ein Stück weiter laufen und wieder staunen.

Wie sich das Meer wütend gegen die Küste wirft, einen Apostel hat es ja vor zwei Jahren wieder einmal gestürzt. Wie sich die Farbe des Himmels und der Küste in der Dämmerung ändert. Wie das Meer nachts klingt. Wie gewaltig das Universum nachts wirkt, wenn man den Park für sich allein hat. Wie man sich schließlich selbst ändert, wenn man länger bleibt. Staunen.

Durch platt gewalztes Farmland streckt sich die Straße weiter, immer schön schnurgerade dem Horizont entgegen. Plötzlich hat der Geist Zeit sich auf nichts als Grün zu konzentrieren, die Monotonie des Perfekten zu genießen. Was dabei rauskommt? Gute Frage. Aber kurz nach Warrnambool erhebt sich der Lavakegel Tower Hill aus der Ebene. Fast 30.000 Jahre schläft der Vulkan schon, in seinem Krater hat sich ein See gebildet, mit lauter kleineren Vulkaninseln drin. Keine schwefeldampfverseuchte Mondlandschaft ist das, sondern eine Art Miniaturparadies.

Im üppigen Grün der Landschaft stiefeln Emus herum, aus allen Ecken tönt Australiens Vogelwelt. Damals wie heute leben Aborigines hier, sie verwalten den Tower Hill und gewähren Besuchern Einblicke in ihre Welt und die des Vulkans. Robert Lowe ist einer von ihnen, mit über 60 scheinbar in Würde ergraut. Doch mit seiner Würde ist es noch nicht weit her: Die Haltung der Regierung gegenüber den Aborigines habe sich erst vor wenigen Jahren gebessert, erzählt er auf einem Spazierweg, der zu grauschwarz erstarrten Lavaergüssen führt.

Robert ist einer derjenigen, die die schlimmen Zeiten durchstehen mussten: Assimilierung auf allen Ebenen. Keine eigene Sprache sprechen, keine eigenen Traditionen pflegen, alles war verboten. "Ich selbst kann mich kaum in meiner Muttersprache verständigen", sagt er. Er deutet auf die aufgenähte Aborigine-Flagge auf seinem Hemd. "Aber wir sind stark, wir sind wieder wer", erklärt er.

Bei einem "Black Wattle"-Baum bleibt Robert stehen: "Vollständig verwertbar", er tätschelt beinahe behutsam den schwarzen Stamm. "Boomerangs, Speere, heilende Extrakte aus der Rinde. Wir dürfen all unser Wissen, unsere Sprache, unsere Kultur jetzt wieder offiziell an unsere Kinder weitergeben." Das ist es, was ihn glücklich und zufrieden macht, sagt er. Auch Robert hat jetzt glasige Augen.

Informationen

Tourism Victoria, Neue Mainzer Str. 22, 60311 Frankfurt, Tel. 069/2740 0677.

Die Great Ocean Road im Netz

Anreise: Qantas Airways fliegt täglich von Frankfurt über Singapur nach Melbourne. Tel. 01805/250 610.

Unterkunft: Hotels in Melbourne sowie entlang der Great Ocean (Lorne, Apollo Bay, Port Campbell) hat TUI im Programm.

Lorne: Mantra Erskine Beach Resort, Mountjoy Parade, direkt am Strand, viele Zimmer haben Ausblick aufs Meer, DZ ab 130 AU $, Tel: +61 (0)3 5289 1209.

Cape Otway: The Cape Otway Centre for Conservation and Ecology, 635 Lighthouse Road, im Preis für die Übernachtung sind geführte Wanderungen zu den "wilden" Koalas inbegriffen, DZ ab 190 AU $, Tel. +61 (0)3 5237 9297.

Port Campbell: Southern Ocean Villas, moderne, stilvoll eingerichtete Apartments, ab 180 AU $, 2 McCue St, Tel. +61 (0)3 5598 4200.

Dunkeld: Übernachtungsmöglichkeit bei einer Rückfahrt nach Melbourne: Aquila Eco Lodges, 586 Manns Road, spektakuläres Schlafen im Baumhaus in einer Buschlandschaft, ab 220 AU $, Tel. +61 (0)3 5577 2585, auch buchbar über Art of Travel in München, Tel. 089/2110 760.

Aktivitäten: Für einen Vormittag mal das Surfen ausprobieren? Go Ride a Wave bietet Schnupperstuden an, 143b Great Ocean Road, Anglesea, Tel. +61 (0)3 5263 2111.

Tree Top Walk im Cape Otway National Park

Führungen im Tower Hill: Worn Gundidj Aboriginie Cooperative, Tower Hill Game Reserve, Tel. +61 (0)3 5561 5315.

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