Gesundheit:Der tiefere Sinn der Milzwurst

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Essen als Erbe der Väter: Wie fettes Fleisch gesund und Olivenöl krank macht

Christina Berndt

Milch ist das natürlichste Nahrungsmittel der Welt - möchte man meinen. Schon als Babys werden wir damit gepäppelt, später genießen wir das Weiß aus dem Kuheuter in allen erdenklichen Varianten, als Käse, Butter, Joghurt oder Rahm. Doch so normal dem Mitteleuropäer die Milch erscheinen mag: Viele Asiaten und Afrikaner ekeln sich nicht nur vor Roquefort und Gorgonzola, weil diese schließlich aus verschimmeltem Euter-Saft bestehen, sie vertragen Milchprodukte auch einfach nicht.

(Foto: Fotos: Corbis, Imago, pixelquelle.de)

Doch komisch sind keineswegs die Asiaten. Während der Verdauungstrakt dieser Menschen ursprünglicher ist, haben die Europäer, die jenseits des Säuglingsalters noch Milch in rauen Mengen verzehren, eine ungewöhnliche Entwicklung genommen. Weil sie sich schon früh die Kuh zum Freund gemacht haben, hat sich ihr genetisches Repertoire in nunmehr 10.000 Jahren an das neue Nahrungsmittel gewöhnt. Mehrere Mutationen führten seither dazu, dass Europäer Milch in all ihren Varianten wunderbar vertragen, während der große Rest der Welt vielfach an einer Laktose-Intoleranz leidet. In Europa waren die Mutationen ein klarer Evolutionsvorteil. Denn wer Milch zu sich nehmen konnte, hatte eine zusätzliche Nahrungsquelle. Wer die Milch-Mutationen nicht besitzt, dem kann das nahrhafte Weiß ganz schön unangenehm werden. Ein auffälliges Beispiel sind die Pima-Indianer, die in Mexiko und Arizona leben. Weil sie trotz ihrer Milch-feindlichen Gene die Ernährungsgewohnheiten der anderen, europäischstämmigen Nordamerikaner übernommen haben, sind heute zwei von drei Pima extrem übergewichtig. Und Zuckerkrankheit ist unter diesen Indianern so weit verbreitet wie der Käse auf dem Frühstückstisch der Deutschen.

Menschen sollen eben essen, was schon ihre Vorfahren auf den Tisch brachten, sagt Gary Paul Nabhan. Der Ethnobiologe vom Center for Sustainable Environments an der Northern Arizona University kämpft seit Jahren dafür, sich auch beim Essen auf Tradition zu besinnen. Seine Erkenntnis: Die Menschen haben sich mit der Zeit an ihre Umwelt angepasst. "Es gibt unzählige Wechselwirkungen zwischen unseren kulinarischen Vorlieben, unseren Genen, der Ernährung unserer Vorfahren und unserer regionalen Herkunft", sagt Nabhan, der eine Kampagne ins Leben gerufen hat, die sich "Amerikas gefährdeten Esstraditionen" widmet. Schließlich, so Nabhan, ging es den Inuit in der Arktis über die Jahrtausende gut, obwohl es rund um den Nordpol kaum Obst, Gemüse und Kohlehydrate gab. Stattdessen ernähren sich die Inuit vornehmlich von fettem Fisch und Fleisch. Trotzdem waren Bluthochdruck, Herzinfarkt und Diabetes den Völkern des hohen Nordens fremd. Diese Krankheiten grassieren erst unter den Inuit, seit sie westlichen Ernährungsstil pflegen.

(Foto: N/A)

Was für Inuit und Pima-Indianer gilt, habe auch hier zu Lande seinen Sinn, sagt die Berliner Ernährungsmedizinerin Ute Gola. Auch die Deutschen sollten sich stärker auf ihre traditionellen Ernährungsweisen besinnen. "Die Stoffwechselwege gewöhnen sich an die Ernährung", sagt sie. Das gelte sogar in den verschiedenen deutschen Landstrichen und damit beispielsweise für Milzwurst und überbackenes Hirn: "Dass in Bayern traditionell viele Innereien gegessen werden, ist gut für die Menschen dort", sagt Gola. "Auf diese Weise können sie sich mit Omega-3-Fettsäuren versorgen, auch wenn sie relativ wenig Fisch essen."

Weil sich Menschen über Jahrhunderte an die Ernährungsweise ihrer Vorfahren angepasst haben, sei eine plötzliche Umstellung auf moderne, vermeintlich gesunde fremde Speisezettel nicht unbedingt sinnvoll, betont die Ernährungsmedizinerin, die auch an der Universität Hohenheim lehrt. Das gelte zum Beispiel für die "Mittelmeer- Diät", die in zahllosen Ratgebern gepriesen wird. Viel Olivenöl, Kräuter und mediterranes Gemüse sollen demnach das Leben verlängern. "Anlass für die Mittelmeer-Bewegung war aber die Kreta- Studie von 1952", moniert Ute Gola. Dafür wurden Menschen an sieben verschiedenen Orten der Welt beobachtet. Das Fazit: Die Kreter lebten am längsten und am gesündesten. Die Studie sei aber hanebüchen gewesen, meint Gola. "So wurden griechische Dörfchen mit einer Eisenbahnersiedlung in den USA verglichen", sagt sie. "Auf Kreta gab es damals keinen einzigen Trecker." Vielmehr lebten die Kreter in Großfamilien, arbeiteten viel und nahmen regelmäßig gemeinsame Mahlzeiten ein. "Das war eben eine besonders artgerechte Lebensweise", so Gola. In Westeuropa und den USA hätten die Menschen zu dieser Zeit dagegen Konserven favorisiert: "Industriell verarbeitetes Essen galt in den Fünfzigerjahren als ungemein chic."

Des einen Genuss, des anderen Gesundheitsrisiko?

Das lange Leben der Mittelmeerbewohner bedeutet somit noch lange nicht, dass es dem Durchschnittsdeutschen besser ginge, wenn er sich wie ein Kreter Bauer ernähren würde. Tatsächlich hat Antonia Trichopoulou von der Universität Athen festgestellt, dass eine mediterrane Ernährung wie in den Fünfzigerjahren zwar griechische Senioren, nicht aber deutsche und niederländische länger leben lässt. In Deutschland steigt die Sterblichkeit durch eine mediterrane Diät sogar leicht, fand die griechische Epidemiologin heraus, nachdem sie die Ernährungsgewohnheiten von fast 75.000 älteren Europäern ausgewertet hatte. Vermutlich ist der Organismus der Mitteleuropäer weniger an die mediterranen Inhaltsstoffe gewöhnt und kann sie auch nicht so gut verwerten. Stattdessen könnten ihn die Mengen Olivenöl sogar belasten. Denn kretische Originalgerichte schwimmen in Öl: 31 Kilogramm davon verzehrt jeder Kreter im Jahresdurchschnitt.

"Obwohl die Gene der Menschen zu 99,9 Prozent identisch sind, haben sich in den letzten Jahrtausenden traditionelle Küchen entwickelt, um die Bewohner einer bestimmten Region optimal zu ernähren", sagt Gary Paul Nabhan. Dafür spricht auch eine Studie von der Universität im niederländischen Utrecht. Demnach haben pflanzliche Östrogene aus Soja keinen positiven Effekt auf die Herzen holländischer Frauen, obwohl das bei Japanerinnen offenbar der Fall ist. "Tofu ist vor allem dann sinnvoll, wenn ein Mensch von klein auf viel davon gegessen hat", folgert Ute Gola. "Mit Mitte 50 kann man zwar auch noch auf Soja umstellen. Aber man hat dann nicht mehr so viel davon." Es sei durchaus ratsam, bei dem Speiseplan aus der Kindheit zu bleiben, "sofern der ordentlich war".

Noch dazu ist der Vitamingehalt von mediterranem Gemüse, das in hiesigen Supermärkten liegt, nicht unbedingt mit dem vergleichbar, das unter griechischer Sonne reif gepflückt wurde, gibt Ute Gola zu bedenken. "Dass die Deutschen im Winter viel Kohl essen, ist gesund." Selbst das Fleisch zum Weißkohl lange zu kochen, sei richtig: Dadurch würden die Nährstoffe besser verfügbar gemacht.

Die Berlinerin glaubt sogar, dass Ernährungstraditionen bis in die Familien hinein eine biologische Ursache haben könnten. Nicht umsonst würden Rezepte von Generation zu Generation weitergegeben. "Es ist auffällig, dass viele Familien, in denen es eine Veranlagung für Zuckerkrankheit gibt, nicht sehr süß essen", sagt Gola. Für solche Menschen sei die "Globalisierung des Geschmacks" besonders fatal: "Wenn Dr. Oetker entscheidet, wie süß ein Kuchen ist, und Nestle über den Zuckergehalt im Joghurt, dann ist das Essen nicht mehr an die eigentlichen Bedürfnisse der Menschen angepasst." Für Gary Paul Nabhan ist die Sache klar: "Die Indianer Nordamerikas haben ein Antidot gegen zahlreiche Krankheiten gefunden", sagt er. "Sie sind einfach zu ihren traditionellen Ernährungsweisen zurückgekehrt."

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