Georgien:Betten und Buchstaben

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Das Schriftstellerhaus in der georgischen Hauptstadt Tiflis ist ein Refugium für Literaten. Neuerdings dürfen auch Touristen in der Jugendstilvilla übernachten. In ihrem Garten ist noch dazu eines der besten Restaurants der Stadt.

Von Hans Gasser

Es ist ein wenig unheimlich, nachts im Schriftstellerhaus anzukommen. Aus unerfindlichen Gründen landen die meisten Flüge aus Europa in Tiflis mitten in der Nacht. Man steigt also völlig übermüdet die herrschaftlich geschwungene Holztreppe hinauf in ein leeres, spärlich beleuchtetes, großbürgerliches Haus. Und blickt im zweiten Stock einem Tiger ins offene Maul. Daneben liegt, etwas friedlicher, ein Löwe. Lebensecht ausgestopft. Dass die beiden in Glaskästen ruhen, macht die Sache kaum besser. Noch weniger, als man vom Nachtportier erfährt, dass sich in dem mit Intarsienparkett ausgelegten Flur der Schriftsteller Paolo Jaschwili mit einer Schrotflinte erschossen hat, aus Gram über die Gleichschaltung der georgischen Literatur in der Stalinzeit.

Schöner kann man in ganz Tiflis nicht sitzen: Der Garten des Schriftstellerhauses. (Foto: Irakli Bluishvili)

Bei Licht betrachtet ist das "Writers House of Georgia" allerdings ein Glücksfall. Sowohl für Schriftsteller als auch für Gäste, die eines der fünf edel eingerichteten Zimmer unter dem Dach ergattert haben. Freunde guten Essens kommen hier ebenfalls auf ihre Kosten.

Dass das so ist, hat mit zwei Frauen zu tun. Die eine ist Natascha Lomouri, die Direktorin des Schriftstellerhauses. Die andere heißt Tekuna Gachechiladze. Sie ist die bekannteste Köchin des Landes und serviert ihren Gästen in dem mit alten Bäumen bestandenen und von hohen Mauern eingefassten Garten der Villa modern interpretierte georgische Küche. "Ich habe mir die Idee, Zimmer für Schriftsteller und Künstler einzurichten, von Literaturhäusern in Berlin und anderswo abgeschaut", sagt die Direktorin Natascha Lomouri, eine energiegeladene Frau Mitte vierzig, die in Bologna studiert hat. Dass in ihrem Haus nun auch Touristen übernachten können, liege daran, "dass wir kein Budget haben, Schriftsteller aus dem Ausland hier zu beherbergen". Lomouri will das ändern und sich künftig um Stipendien dafür bemühen.

Die fünf Suiten unter dem Dach sind mit feinen Stoffen und antiken Möbeln ausgestattet. (Foto: Irakli Bluishvili)

Unterdessen können Gäste in der Jugendstilvilla übernachten, die der Brandyfabrikant und Kunstmäzen Dawit Saradschischwili bauen ließ, um sie 1905 seiner Frau zum 25. Hochzeitstag zu schenken. Saradschischwili war damals der wohl reichste Mann Georgiens, öffnete sein Haus aber für die Künstler seiner Zeit, förderte die gute Ausbildung an Schulen und schickte viele Künstler zum Lernen an ausländische Universitäten. Bei der Ausstattung, die seit der Renovierung 2013 wieder in altem Glanz zu sehen ist, scheute er keine Kosten: feinste Holzarbeiten und Möbel aus Paris, die Terrasse ziert ein filigranes Mosaik von Villeroy & Boch. Der ehemalige Ballsaal im Hochparterre wird heute vor allem für Lesungen, Buchvorstellungen und Bildungsveranstaltungen aller Art genutzt. "Wir haben das Haus geöffnet für die Allgemeinheit", sagt Direktorin Lomouri. "Das hat dem georgischen Schriftstellerverband nicht gefallen." Denn diesem gehörte das Haus, nachdem es von den Sowjets 1921 enteignet worden war, bis 2007. "Viele alte Schriftsteller hatten hier ihre Büros, aber sonst hatte niemand Zugang." Nun gehört die Villa dem Kulturministerium, sie ist offen für alle, es gibt jeden Tag ein bis zwei Veranstaltungen und einmal im Jahr das Literaturfestival.

Nachts unheimlich: Die Präparate von zwei Raubtieren, die einer der Hauseigentümer mal in Paris gekauft hat. (Foto: Hans Gasser)

Die fünf Zimmer unter dem Dach wurden vom Designer Guga Kotetishvili geschmackvoll und opulent mit feinen Tapeten, renovierten antiken Möbeln und teuren modernen Lampen eingerichtet. Jedes wurde nach einem Schriftsteller oder Übersetzer benannt, der in Beziehung zu Georgien stand, etwa Boris Pasternak, John Steinbeck oder Marjory Wardrop.

Als Gast kann man sich wie ein Belle-Époque-Bewohner dieses ehrwürdigen Hauses fühlen, vor allem, nachdem es abends für die Öffentlichkeit geschlossen wird. Offen bleibt nur der filmsetartige Garten, mit den Tischen des Restaurants Littera. Schöner kann man in ganz Tiflis nicht sitzen und kaum besser essen. Dafür sorgt Tekuna Gachechiladze, sie ist eine Art Sarah Wiener Georgiens. Auf der Buchmesse in Frankfurt ist sie für das kulinarische Rahmenprogramm des Gastlandes zuständig. "So viele Formulare musste ich fürs Kochen noch nie ausfüllen", beklagt sie die deutsche Bürokratie.

"Manche Georgier hassen mich." Die Köchin Tekuna Gachechiladze modernisiert die Küche ihres Landes. (Foto: Hans Gasser)

Sie lässt nun Vorspeisen wie Feigen mit geriebenem Schafskäse, Bachforellen-Carpaccio und einen Salat aus georgischen Tomaten und Pfirsichen auftragen; dabei entkorkt sie eine Flasche Rkaziteli-Naturwein, den ihr Mann eigens für sie keltert. "Wir stellen die Speisen immer in die Mitte des Tisches, damit alle von allem probieren können", erklärt sie, "das ist ein Prinzip des georgischen Essens." Ansonsten lässt ihre Interpretation der traditionellen georgischen Küche aber keinen Stein auf dem anderen. "Deswegen hassen mich manche Georgier", sagt sie. Viele in ihrem Land seien seit der Unabhängigkeit sehr nationalbewusst. "Dabei kam Innovation in unserer Küche immer schon von Einflüssen aus anderen Ländern." Die 45-Jährige, die in Tiflis zwei weitere Restaurants betreibt, schreckt nicht davor zurück, etwa das traditionelle Reisgericht Shila statt mit Lammhack mit Muscheln und georgischen Trüffeln zuzubereiten. "Das war harte Überzeugungsarbeit. Selbst meine Oma akzeptierte meine Küche erst, als ich eine eigene Kochshow hatte - denn nur was im Fernsehen kommt, ist bekanntlich wahr!"

Gachechiladze hat zuerst in Heidelberg Psychologie studiert und später in New York eine Kochausbildung gemacht. Im Schriftstellerhaus ist sie seit dessen Renovierung vor fünf Jahren mit dabei. Und als es an Geld fehlte, um die fünf Suiten unter dem Dach zu bauen, gewann sie den georgischen Unternehmerverband als Investor. So kann man heute in dem selbst an Herbstabenden noch angenehm warmen Garten speisen, um später als einer der wenigen Glücklichen durch die mondäne Villa, vorbei an Löwe und Tiger, zu seinem Zimmer zu steigen.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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