Expo in Saragossa:Über den Fluss und in die Tapas-Bars

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Lange hat sich kaum einer für Saragossa interessiert, die Expo verleiht der spanischen Stadt nun neuen Glamour.

Javier Cáceres

Allmählich wird die Lage ernst. "Einen Regenschirm?", fragt der Verkäufer im Souvenirgeschäft auf der Plaza del Pilar in Saragossa, "kann schon sein, dass ich hier noch einen habe." Er geht hinter den Tresen und kramt in kleinen Kisten herum, und in der Tat, er wird fündig.

"Unglaublich", sagt er, "hundert Stück bestell ich, und normalerweise brauche ich ein ganzes Jahr, um sie loszuwerden. Wenn überhaupt. Und jetzt ist es Mitte Juni, und sie nehmen mir schon den letzten ab." Seit zweieinhalb Monaten regnet es in Saragossa unentwegt. "Als hätte sich die Expo mit dem Himmel verschworen", sagt der Mann und lacht.

Die Expo, das ist die "kleine Weltausstellung", deren Tore am Samstag öffnen und die in der Tat dem Wasser gewidmet sind. Wie als Antwort auf die Basilika ist am anderen Ufer des Ebro - dem größten Fluss Spaniens - ein 25 Hektar großes Areal entstanden, das teils Freizeit-, teils Ausstellungspark ist, und in dem sich die Besucher in allen erdenklichen Formen dem Thema nähern sollen.

Nichts ist ergreifender als der glitzernde Brückenpavillon der irakischen Architektin Zaha Hadid, der zum Expo-Gelände führt. Dort sollen sich die Spanier bis zum 14.September auf populären und wissenschaftlichen Wegen dem Wasser und dem Umgang mit ihm nähern, durch Spektakel und Diskussionen mit Gelehrten.

Ob auch ohne Expo 3,5 Milliarden Euro in die Stadt geflossen wären, darf bezweifelt werden. Sie haben innerhalb von etwas mehr als drei Jahren aus einer Siedlung, die sich schwertat, dem rückständigen Flair der 60er zu entkommen, eine fast 700.000 Einwohner zählende Stadt gemacht, die sich anschickt, ins übernächste Jahrzehnt zu springen.

Dann soll auch die Millionenmarke geknackt werden, die Stadt zur wirtschaftlich drittwichtigsten Metropole hinter Madrid und Barcelona werden. Der Hochgeschwindigkeitszug AVE hält in einem hochmodernen Bahnhof, auf halbem Wege der neuen Paradestrecke Barcelona-Madrid. Stadtringe wurden gebaut, Autobahnen. Auch das Stadtinnere hat sich verändert. Bislang hatte Saragossa dem Ebro den Rücken zugekehrt. So wie Barcelona 1992 sich architektonisch dem Meer zuwandte, zieht es auch die Hauptstadt Aragoniens zum Wasser. An den Ufern des Ebro sind 50 Kilometer lange Promenaden entstanden.

"Nicht nachhaltig", nennen die Gegner den flirrenden Expo-Glamour, für den Samstag hat die Plattform "Expo No" eine Demonstration angekündigt. Andrés Ibanez, ein Philologie-Student, sitzt in einem Café vor dem Palast der Aljafería, dem alten, einst maurischen Palast, der nun das aragonische Parlament beherbergt, und sagt, dass er damals, am 16. Dezember 2004, mit seinen Freunden gefeiert habe, dass Saragossa den Zuschlag erhielt.

Auch wenn er an der Demo nicht teilnehmen will, so ist er doch entsetzt, wie sehr die Mieten in die Höhe geschossen sind, "das ganze Areal zu einem Feld für Spekulanten" wurde. Der größte Teil der Einwohner dürstet freilich dem Ereignis und seinen Tausenden Veranstaltungen und gastronomischen Events entgegen. Ihr Selbstwertgefühl ist gestiegen, just in einer Zeit, da der lokale Fußballclub, Real Saragossa, schmählich in die Zweite Liga abgestiegen ist. Als die Zeitung El Periódico de Aragón ihrer Mittwochsbeilage einen Expoführer beilegte, war die Auflage vergriffen - obwohl viermal so viele Exemplare gedruckt wurden wie sonst.

Als "das Florenz Spaniens" galt die 2000 Jahre alte Stadt einmal, im Befreiungskrieg gegen Napoleon wurde sie vor 200 Jahren in Schutt und Asche gelegt, und so richtig hat sie das nie überwunden. Mehr noch aber hat die jüngeren Generationen geschmerzt, wie sehr die Stadt im Kampf um öffentliche Investitionen in die Infrastruktur abgehängt schien - von Bilbao, Barcelona und Madrid, den Metropolen, die in Spanien stets das größte Gekreische auslösen. Sie litt an den Klischees, die der Franquismus in der Vorstellung der Spanier festsetzte; er zementierte ein Bild Saragossas als tiefkatholische Stadt der Jungfrau María del Pilar, nach der 100 Prozent aller Frauen benannt sind.

Mittlerweile beginnt sich die Stadt ihrer Komplexe zu entledigen. Mag sein, dass sie, wie es in Spanien und auch in Saragossa oft heißt, lebendiger ist als schön. Doch lebendig ist sie dafür seit Jahren auf enorme Weise. Nicht von ungefähr ist sie die Wiege popmusikalischer Impulse wie der auch in Deutschland erfolgreichen Héroes del Silencio, oder der Violadores del Verso, einer Hip-Hop-Band, die im vergangenen Jahr die meistverkaufte Platte Spaniens herausbrachte.

Andererseits hat dieses Low-Profile viel zu sehr überschattet, welch liebenswerte Details Saragossa bietet - auch jenseits der herrlichen Altstadt, des "Tubo" mit den Tapas-Bars, des Zentrums mit seinen einladenden Kaffeehäusern - und den Brüchen mit dem architektonischen Pragmatismus. Das Museo de Zaragoza etwa, das gerade einen faszinierende Ausstellung über Goya bietet, oder das freigelegte römische Theater.

Don Quijote mied Saragossa, aus Verärgerung darüber, dass dort, nachdem Cervantes den ersten Teil veröffentlicht hatte, ein falscher Quijote zu Ruhm gekommen war. Doch vermutlich käme er 2008 diesmal nicht an der Stadt vorbei.

© SZ vom 14.06.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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