Costa Brava (SZ):Prolet de Mar

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Ihre Küste lassen sich die Katalanen nehmen, nicht aber ihre Identität: Am Strand darf Ballermann toben, im Hinterland ist er unerwünscht.

Sebastian Schoepp

(SZ vom 14.08.2001) - Steve Beal hat der Urlaub überhaupt nicht gefallen. Das ging schon mit dem Bus los. Der war so überfüllt, dass der Reservefahrer auf der 28-stündigen Fahrt vom südenglischen Sussex nach Spanien auf den Stufen an der Tür Platz nehmen musste. Dann fiel die Klimaanlage aus, und Wasser tropfte ins Gepäck.

"Proleten aller Länder vereinigt euch!" (Foto: Foto: Archiv)

Anstatt wie gebucht in Calella, wurde er 15 Kilometer nördlich in Blanes abgesetzt. "Ganz hübsch zwar", so Steve, doch die Unterkunft war ein "Scheißloch". Im buchstäblichen Sinne übrigens: Auf den Bettlaken entdeckte er Spuren von Exkrementen. Im Swimmingpool trieb Algenschleim, und in der Bar nebenan grölten von acht Uhr morgens an Betrunkene. Trotzdem will Steve der Costa Brava auch nächstes Jahr noch einmal eine Chance geben.

Gut fünf Millionen ausländische Touristen, darunter zahlreiche Briten, haben es ihm in den ersten acht Monaten des Jahres 2000 unbeirrbar gleichgetan, wie das statistische Büro der katalanischen Landesregierung meldet - Tendenz seit Jahren steigend. Auf einer Zufriedenheitsskala, die von null (sehr unzufrieden) bis zehn (sehr zufrieden) reicht, kreuzen die meisten die acht an. Dafür sind die durchschnittlich 2500 Sonnenstunden im Jahr verantwortlich, derentwegen 70 Prozent der ausländischen Touristen kommen.

Was die Gäste sonst noch herzieht, kann man auf der britischen Website "Die ganze Wahrheit über Pauschalreisen an die Costa Brava" nachlesen. Für die "lovely beaches" von Palafrugell nimmt Dave aus Manchester in Kauf, in einem 30 Jahre alten, dringend renovierungsbedürftigen Caravan untergebracht zu sein. Mr.McGuigan aus Irland wird in Calella de la Costa zwar Tag und Nacht von Straßenlärm gequält, dafür sei der Wein aber enorm billig. Garry Nicholson lobt das eisgekühlte "Tetley's" in der "Fighting Cock's Bar" von Estartit. Und Michael Sinatra stellt fest: "Seit ich 17 bin, kenne ich die Clubszene von Liverpool - aber Lloret de Mar schlägt sie um Längen."

Seit die Franco-Regierung in den 60er Jahren die "wilde Küste" mit ihren Buchten und ihrer wildromantischen Felsszenerie als Devisenquelle für das seit dem Bürgerkrieg völlig verarmte und international isolierte Land entdeckte, ist Lloret die Mutter aller Ballermänner - oder das "Betonzeugnis der Errungenschaften des Package-Tour-Imperialismus", wie es der britische Reiseschriftsteller Robert Elms nennt.

Ein Stück lebende Tourismusgeschichte, in der es nur 15.000 Einwohner, dafür aber 60.000 Touristenbetten gibt. In mehr als 600 Bars fließen Tag und Nacht Biere aus England, Belgien und Bayern hektoliterweise in von der Sonne ausgedörrte Urlauberkehlen. Längst im Sangria ertränkt der Geist der Künstlerkolonien von Tossa und Cadaques, deren mediterranes Licht Picasso, Dalí und Marc Chagall inspirierte. Er lebt allenfalls im Budenzauber des Dalí-Museums von Figueres weiter, das von Busladungen überrollt wird, wenn's mal regnet.

Ob 1971 oder 2001 - die Costa Brava ist ein Musterbeispiel an Beständigkeit. Wer hierher kommt, sucht nicht die Begegnung mit dem Unbekannten, sondern mit Seinesgleichen: Während Lloret sich fest in britischer Hand befindet, trägt das nahe Calella de la Costa den Beinamen "de los Alemanes". Holländer lieben Palafrugell, wo sie bei "Camping Benelux" genug Raum auch für den ausladendsten Wohnwagen finden. Franzosen bevorzugen Roses ganz im Norden, weil da Frankreich nicht so weit weg ist. Und Italiener trifft man überall dort, wo sie von einer nordeuropäischen Touristin mit einem heißblütigen spanischen Flamencotänzer verwechselt werden könnten. Voraus denkende Reiseleiter lernen Russisch.

Manche behaupten ja, die deutsche Einheit habe die Costa Brava gerettet, nachdem die Besucherzahlen Ende der 80er Jahre schon mal auf Talfahrt waren. Tatsache ist, dass die Aufforderung "Proletarier aller Länder, vereinigt euch" ihrer Verwirklichung selten so nahe kam wie hier. Die Costa Brava ist und bleibt das Reiseziel der unteren Mittelklasse, die hier in jeder Hinsicht das Gewohnte vorgesetzt bekommt: Die Plattenbauten am Strand von Playa de Aro oder Sant Antoni de Calonge könnten ohne Weiteres in einem Vorort von Bradford, Bochum oder Besançon stehen - nur dass es dort kein Salzwasser gibt, das die Fassaden zerfrisst und Armaturen rosten lässt.

Im gleichen Maße, wie sich der Lebensstandard der Gäste in den vergangenen 30 Jahren verbessert hat, verändert sich das Aussehen ihrer Urlaubsquartiere. Blöcke werden schon lange nicht mehr gebaut, dafür fressen sich in Pals, Sant Feliu oder Santa Christina Appartementsiedlungen in den Pinienwald, die zwar aus der Ferne weniger auffallen, dafür aber um so mehr Land kosten. Besonders beliebt sind zurzeit Chalets im andalusischen Stil, der inmitten Kataloniens so viel zu suchen hat wie eine Schweizer Berghütte am Timmendorfer Strand. Kräne fuhrwerken in den verbliebenen Baulücken herum. In Sant Feliu wirbt die Immobilienagentur Real Estate Costa Brava damit, "den letzten Schatz der Küste", die Punta Brava, zuzubauen.

Die Nachfrage ist ungebrochen. Derzeit würde er vom Kauf einer Immobilie eher abraten, sagt Thomas Fischer von der Agentur Fincaspals in Playa de Pals. Die Preise seien einfach zu hoch, die Baufirmen kämen kaum nach. Ein Appartement mit drei Schlafräumen und zwei Bädern in einer Wohnanlage mit dem Charme - jedoch nicht dem Baustandard - einer deutschen Vorstadt, kostet locker 200.000 Mark, in "primera linea mar" sogar das Doppelte. Viel Geld für ein nur als Sommersitz nutzbares Quartier. Zum Überwintern ist die wilde Küste wegen ihrer strammen Winde im Gegensatz zu Mallorca oder der südlicheren Costa Daurada nämlich nur geeignet, wenn man so gründlich vorgeht wie Heinz und Elke.

Der Malermeister und seine Frau verbrachten jahrzehntelang jeden September an der Costa Brava, irgendwann kauften sie sich ein Haus in Pals, bauten in deutscher Gründlichkeit Heizung und Fliesen ein und rodeten die Schatten spendenden Pinien auf dem Grundstück, die den Blick in die Ebenen des Empordá verstellten. Inzwischen haben die beiden drei Häuser, Elke hilft in einer Immobilienagentur aus und Heinz macht in Malerkluft den Hausmeister für rund 300 Ferienhäuser. Im Sommer schuftet er von acht Uhr früh bis neun Uhr abends. Aber das sei auch richtig so, erläutert er in breitem Hessisch, denn: "Alles muss immee tiptop saubee sein."

Wer hier in den Masos de Pals zur Hauptsaison abends auf der Terrasse sitzt und nach Lokalkolorit Ausschau hält, wird womöglich in die Klage einstimmen, die Andy und Carol aus Coventry über das nahe Santa Susanna erheben: "Nichts auch nur annähernd Spanisches in Sicht." Andy und Carol liegen völlig falsch; sie haben nicht richtig hingesehen.

Wie in vielen Gegenden, wo der Massentourismus seine Hochburgen hat, endet dessen Einflussbereich auch an der Costa Brava zumeist schon am Ortsschild. Den Ausverkauf ihrer Küste haben die als so geschäftstüchtig wie eigensinnig verschrienen Katalanen in Kauf genommen - nicht jedoch den ihrer Identität. Gerade im nördlichen Teil des Hinterlandes der Costa Brava, dem Empordá, pflegen sie ein lokales kulturelles Selbstbewusstsein, das an Chauvinismus grenzt. Während etwa in den Küstenorten Speisekarten in allen erdenklichen Sprachen Gäste ködern, kann man wenige Kilometer entfernt bereits von Glück sagen, eine in Spanisch, hier "Castellano" genannt, aufzutreiben.

Die Verkäuferin im Fischladen von Toroelle de Montgris nahe der Touristenfalle Estartit etwa ist entweder nicht willens oder nicht in der Lage, die Bezeichnungen für ihre Ware in einer anderen als der ureigenen, eigensinnig verteidigten Sprache Kataloniens kundzutun - dem Catalá, das vom Schriftbild dem Französischen, von der Aussprache eher dem Portugiesischen nahe steht.

Nicht nur deswegen ist der touristische Drang ins Hinterland an der Costa Brava ausgeblieben. "Zu den Bauern da draußen können Sie mit einem Koffer voller Geld kommen, die verkaufen nichts", hat etwa Thomas Fischer von Fincaspals feststellen müssen. Auch die Nachfrage hält sich in Grenzen: Die wenigen Landhaus-Angebote in seinem Katalog verstauben hinter der Klarsichthülle. Und das hat sein Gutes.

Wer das wie für den Aquarellmalkasten arrangierte ländliche Mallorca kennt, wo praktisch hinter jeder Pinie ein Deutscher sitzt, wird die Existenz einheimischen Lebens parallel zum Tourismus im Empurdá als wohltuend empfinden.

Vor den Höfen dampfen Misthaufen, durch die engen Dörfer wie Palau Sator zwängen sich Traktoren, frischer Brotduft durchzieht die Gassen. Erst sehr allmählich beginnen die von romanischer Bausubstanz geprägten Dörfer des ruhmreichen katalanischen Mittelalters musealen Charakter anzunehmen. Modell stand Pals, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Steinbruch zu enden drohte, auf Initiative des Schriftstellers Josep Pla behutsam renoviert wurde und heute wieder in der Abendsonne aprikosenfarben erstrahlt, wie der Schriftsteller schwärmte.

Das starke lokalpatriotische Substrat des Landes tritt vor allem zu Tage, wenn die Saison vorbei ist. "In diesen sternklaren Nächten, erfüllt von schwebendem Dunst, duften Felder und Bäume nach reifen Mandeln, nach würzigem Pfefferminzblatt. Jetzt ist es die reine Freude, abends übers Land zu spazieren. Die Weinstöcke färben sich golden, die Pinien tragen einen dichten Mantel dunklen Grüns, die Olivenbäume präsentieren sich in luftigem und silbrigem Grau, die Stoppelfelder nehmen eine körnig-rötlichen Ton an. Die ganze Landschaft würde zwischen einen Krug Honig und eine Flasche Rum passen", beschrieb Josep Pla den Herbst an der Costa Brava.

Gerade die mit dem Tourismus beschäftigten Bewohner des Empordá lieben das. Reiseleiterin Roser Parera etwa hat nun Zeit, durch die Gassen des historischen Bergstädtchens Begur zu bummeln und ins "Bella Lola" in Calella de Palafrugell auf einen "Cremat" einzukehren - eine Art Tischheizung aus brennendem Rum, Zucker und Zitronen. Irgendjemand holt dann eine Gitarre hervor und die ganze Gesellschaft singt Habaneras, die von der Melancholie des Abschieds geprägten, verhalten rhythmischen Lieder der katalanischen Matrosen und Kaufleute, die im 19.Jahrhundert in die damalige spanische Kolonie Cuba aufbrachen. In Lloret de Mar hat der DJ für so etwas nur die Buena-Vista-Social-Club-CD.

INFORMATIONEN:

Anreise: Mit dem Auto dauert die Anreise an die Costa Brava von Süddeutschland aus eineinhalb Tage. Die kürzeste Route führt über die Schweiz und Lyon. Der Flughafen der Costa Brava ist Girona. Bei Linienflügen muss man in Barcelona umsteigen, sie kosten von München nach Barcelona ab 509 Mark. Charterflüge ab Frankfurt am Main und München nach Gerona ab 486 Mark, über Last-Minute-Anbieter sind sie mit etwas Glück schon ab 250 Mark zu haben.

Die Anreise mit dem Zug ist umständlich. Die Gleise in Spanien haben eine andere Spurbreite. Wer sich das Umsteigen an der Grenze sparen will, kann von Zürich aus den Talgo nach Girona oder Barcelona nehmen.

Reisezeit:Die besten Monate, die Costa Brava mit verhältnismäßig wenig Touristenrummel kennen zu lernen, sind Mai und Sepetmber. Im April und Oktober ist vieles geschlossen. Im Winter kann es an der Costa Brava recht frisch werden.

Unterkunft: Massenunterkünfte für Touristen, Appartments, Campingplätze und Hotelburgen gibt es an der Costa Brava wie den sprichwörtlichen Sand am Meer. Angebote für Pauschalreisen haben pratisch alle großen Reiseveranstalter in ihren Katalogen. Individuelle Quartiere im Hinterland sind noch eher selten. Als Stützpunkte für Entdeckungsreisen bieten sich die Küsten-Städtchen Cadaques, Begur oder Tossa de Mar an, die ihren Charme erhalten konnten, und wo es kleine Landhotels mit katalanischem Ambiente gibt. Wer es luxuriös und stilvoll liebt, sollte im Parador von Aiguablava bei Palfrugell absteigen.

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