Botswana:Der Luxus des Gehens

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Unterwegs auf einer Safari im Norden Botswanas: Der Jeep bleibt im Camp, selbst die Tiere wundern sich über die Fußgänger.

Barbara Schaefer

Robson, wie spät ist es, bitte? Diese Frage stellt Vaughan etwa alle halbe Stunde. Immer dann, wenn sich die Buschwanderer im Schatten einer Schirmakazie erholen; wenn Vaughan vom Ebenholzbaum erzählt, der so schwer ist, dass er in Wasser nicht schwimmt.

Fußgänger sind den Elefanten von Botswana suspekt, an Jeeps haben sie sich gewöhnt. (Foto: Foto: dpa)

Die Frage leitet ein Ritual ein. Robson lehnt sich seinen Wanderstock an die Brust und rückt mit der rechten Hand seine Uhr zurecht. Das Armband ist ihm zu weit, die Damenuhr hat er von einer Amerikanerin geschenkt bekommen; die Uhr baumelt lose an seinem zierlichen, schwarzen Handgelenk. Robson sagt die Uhrzeit, und Vaughan verkündet, wie lange es noch dauert, bis man das Camp erreicht.

Natürlich spielt es überhaupt keine Rolle, wie spät es ist an einem Wintervormittag im Buschland im Norden Botswanas. Doch das Ritual erzählt viel vom Leben des weißen und des schwarzen Mannes in Afrika. Abends am Lagerfeuer bekommen Besucher mehr als einmal das Bonmot zu hören, Weiße hätten zwar die Uhr erfunden, Afrika hingegen habe Zeit.

Robson, der schwarze Buschmann, hatte in seinem Leben viel Zeit. Zeit, fünf Frauen gleichzeitig zu heiraten, viel Bier zu trinken, so dass ihn von den Ehefrauen vier verließen; sechs Kinder großzuziehen, als Jagdführer zu arbeiten und nebenbei als Medizinmann.

Vier Giraffen im Busch

Ein Großteil dieser Zeit ging spurlos an ihm vorüber. Auf den Touren spaziert er flott einher, ein drahtiger, kleiner Mann, der sich blendend gehalten hat mit seinen 73 Jahren. Lesen und Schreiben hat er nie gelernt, aber er kennt die Uhr. Deshalb spielen Robson und Vaughan täglich ihr Uhrenspiel.

Die beiden führen Besucher zu Fuß durch das Selinda Reservat. Es liegt unweit des Flusses Linyanti, der wiederum verbunden ist mit dem Okavango-Delta. Das Camp ist nur per Buschflieger zu erreichen.

Von Maun, dem Städtchen im Norden Botswanas mit Supermärkten, Autobedarf, Farmausrüstern und einem blitzneuen Internetcafé, dauert es mit einer achtsitzigen Propellermaschine eine gute halbe Stunde. Wer sich nicht auf seinen Magen konzentrieren muss, sieht unter sich die Ausläufer des Binnendeltas und unendliche, staubbraune Ebenen mit grünen Buschtupfern.

Kein Gnu, nirgends. Dass hier Tiere leben sollen, erscheint unvorstellbar. Auf einem fußballfeldlangen Streifen aus festgewalzter Savanne rollt der Flieger aus, ein Jeep wartet.

Nicht selten haben die Urlauber aus Europa bis zu diesem Zeitpunkt nur ein Flugzeug nach dem anderen gewechselt, sind in immer kleinere Maschinen umgestiegen, seit mehr als einem Tag. Das erste Mal seit Stunden spüren sie frische Luft um die Nase, es ist später Nachmittag, die Hitze legt sich.

Der Inbegriff eines Safariguides

Eine halbe Stunde dauert nun die Fahrt bis zum Camp; gerade will sich das Auge an den weiten Horizont gewöhnen, da staksen vier Giraffen durch den Busch. Damit hat keiner gerechnet. Es folgen auf der Fahrt ins Camp vier Zebras und eine Büffelherde, ein Adler mit Beute in den Klauen, kreisende Geier, Paviane und ein Flusspferd, Warzenschweine und ein Trupp Elefanten.

Vaughan empfängt die Ankommenden im Selinda Camp. Er weiß, das wird morgen ein schwerer Tag. Die Tiere Afrikas haben sich an Geländewagen gewöhnt und genehmigen diesen eine zutrauliche Nähe. Menschen zu Fuß sind ihnen suspekt, niemals würden sie diese so nah heranlassen.

Also muss Vaughan Erwartungen dämpfen: So viele Tiere werde man die nächsten Tage nicht sehen. Aber schon der Anblick Vaughans entzückt die Besucher, denn er entspricht bis aufs Haar der Vorstellung eines Safari-Guides.

Er kleidet sich ganz in Khaki, wie alle Menschen hier draußen, einschließlich der Urlauber. Er spricht das schnoddrige Englisch seiner südafrikanischen Heimat, bewegt sich aber so verhalten wie ein britischer Gentleman, der die Räume der National Geographic Society betritt, um von seinen Savannen-Abenteuern zu erzählen. Er wirft nicht mit Großwildjäger-Sprüchen um sich, sondern verbreitet feine Ironie.

Kübelduschen und kühles Bier

Auch Giraffen begegnet man auf der Fußgänger-Safari, wenn man Glück hat. (Foto: Foto: AP)

Seit 25 Jahren, sein halbes Leben schon, arbeitet Vaughan Volker im Busch, in Ländern des südlichen Afrikas. Er war Parkwächter, Wildhüter und Jagdführer, lebte in Namibia, Simbabwe und Botswana, und seine Frau Shirley zog immer mit ihm mit.

Im Morgengrauen versammeln sich die Wanderer. Die Karawane zieht los. Vaughan geht vorneweg, aufrecht und bedächtig, er schultert ein Gewehr. Ihm folgt Robson, der Tracker, der das Wasser für die durstigen Weißen trägt. Mit seinem langen Stock räumt er den Weg frei von Dornen und Schlangen.

Den beiden folgen fünf Wanderer; mehr können in den Zelt-Camps nicht mehr übernachten. Übertrieben luxuriös sind diese Camps nicht, es gibt Kübel-Duschen, ein Abendessen und kühles Bier. Der eigentliche Luxus ist die Einsamkeit, das Ausgesetztsein. Niemand sonst als drei kleine Gruppen sind auf den 1350 Quadratkilometern in der Selinda-Konzession unterwegs.

Lange gehen wir durch die Savanne, mäßig aufgeregt, zu sehen sind nur Bowlingkugeln aus Elefantendung und betongraue Termitenhügel, die aus dem Gras herausschauen. Adrenalin-Gras nennen sie das, und Vaughan drängt darauf, dass wir dicht hintereinander gehen.

Erst abends wird er den seltsamen Gras-Namen erklären, so hoch steht es, dass nicht zu sehen ist, ob zwei Schritte vom Weg entfernt Löwen liegen. Das sorgt für Adrenalin, jedenfalls beim Guide, der Safari-Wanderer ahnt nichts, er pendelt von Arglosigkeit zu Angst und wieder zurück.

Vaughan warnt vor Dornen, die auf dem Weg liegen und sich durch feste Schuhsohlen arbeiten, aber was ist mit schwarzen Mambas in den Büschen dort drüben? Eine Zebraherde zieht vorbei und nimmt das Entzücken der Schauenden mit sich, aber Vaughan erklärt, es habe böse Unfälle mit ihren Hufen gegeben. Gefährliche Zebras? Wie verhält es sich dann erst mit Hyänen, Leoparden, Flusspferden und Rhinozerossen? Mit Elefantenbullen, Moskitos, Skorpionen und Tse-Tse-Fliegen?

Unbesiedeltes Land

Das Linyanti-Reservat ist eine menschenleere Gegend, dank der Tse-Tse-Fliege. Nicht etwa, weil das Insekt Menschen so zusetzen würde, doch für Rinder sind Stiche der Tse-Tse-Fliege tödlich. Aus diesem Grund haben sich im Okavango-Delta und in den mit den Wasserarmen verbundenen Lyanti-Sümpfen nie Nomaden aufgehalten. Weidevieh zog hier nicht durch, Rinderfarmen konnten nicht angelegt werden. Weder Schwarze noch Weiße ließen sich hier nieder.

Das ist das Spektakuläre im Norden Botswanas: fast unberührte Natur, völlig unbesiedeltes Land. Das macht so eine Reise zu einem Ausflug ins Paradies mitten in Afrika. In der unendlichen Weite können sich Tiere ungestört ausbreiten, mehr als 100.000 Elefanten leben angeblich hier. Wer je in dieser Region auf Wildbeobachtung unterwegs war, ist für immer verloren für alle privaten Game-Reservate, denn jeder noch so riesige Besitz mit Großwild wird ihm wie ein Zoo erscheinen.

Bei 100.000 Elefanten erhöht sich für Besucher die Chance, etliche von ihnen zu Gesicht zu bekommen, doch unübersehbar sind die durch das größte Tier Afrikas verursachten Umweltschäden. Vaughan führt uns zu einem ruinierten Baobab, einem riesigen Affenbrotbaum.

Die Dickhäuter haben den Stamm von allen Seiten bearbeitet, der mehrere hundert Jahre alte Baum wird es nicht überstehen. Halb so viele Elefanten, das wäre ein verträgliches Maß, spricht Vaughan aus, was sich wenige zu sagen trauen. Obwohl er selbst nicht mehr als Jagdguide arbeitet, befürwortet er die ohnehin streng limitierte und reglementierte Jagd.

Während Vaughan dies erzählt, gräbt Robson eine dicke Wurzel aus. Robson möchte in seinem fernen Heimatdorf als Mediziner arbeiten. Gern zeigt er Naturheilmittel wie den wilden Salbei, der gegen Moskitos hilft, und natürlich gibt es auch ein Potenzmittel, den "Sausage Tree", auf deutsch Leberwurstbaum genannt.

Dessen phallische Früchte würden ausgekocht und der Sud getrunken. Robson kennt noch stärkeren Zauber: drei Wurzeln, ausgebleicht wie Hühnerknöchelchen, die er in einem Papiertütchen in seiner Brusttasche aufbewahrt. Hat er diese dabei, ist er geschützt vor Elefanten und Löwen.

"Der Löwe sieht mich, aber er kommt nicht näher", sagt Robson. Die Wurzeln heißen Visa Visa, Robala und erstaunlicherweise Shomi, das bedeute "show me another - zeige mir noch eins", so Robson. Das ist wieder so ein Moment, in dem der Gast zu zweifeln beginnt.

Den Städtern das Fürchten lernen

"Zeig' mir noch eins" als Name für eine Medizin? Robson blitzt der Schalk aus den Augen. Könnte es nicht auch so gewesen sein, dass er genug davon hatte, nach immer mehr Zaubermitteln gefragt worden zu sein, und deshalb das Shomi erfand?

Und so denkt der Gast auch, wenn ihm eingeschärft wird, er dürfe nachts vom Lagerfeuer nicht allein, sondern nur in Begleitung bis zu seinem Zelt gehen. Das klingt so, als wolle man die Städter ein wenig das Fürchten lehren. Aber Vaughan garniert die Warnung mit den entsprechenden Geschichten. Von dem Barkeeper einer Lodge, der nur kurz nach hinten ging, um Getränke aus dem Lager zu holen. Auf dem Weg lagen Löwen, er machte den Fehler, loszurennen. Von dem Pärchen aus Frankreich, das seine Flitterwochen in einem Camp verbrachte. Der Mann übernachtete auf der Bank vor dem Zelt, und eine Hyäne holte ihn sich.

Buschwerk drängt in die flache Landschaft, aus ihr heraus lugt der gefleckte Kopf einer Giraffe mit dem blasierten Gesichtsausdruck einer britischen Lady, die beim High Tea gestört wird. Die Giraffe schreitet auf ihren langen Beinen davon, hält die immergleiche Distanz zu den Wanderern. Ein Pavian-Clan stromert vorbei.

Sie sind Halbstarke, die durch die Stadt ziehen und nach Ärger Ausschau halten. Längst ist der frische Morgen in der Mittagshitze verflimmert. Im Camp wartet Shirley mit einem Tablett voller Gläser geeisten Zitronentees.

Feuerheißer Schatten

Unterm Vordach des Zeltes steht ein olivgrüner Regiestuhl. Davor liegt im 180-Grad-Panorama die Savanne, eben und endlos. Einige Büsche und Bäume ragen hervor. Wie diese Büsche nur so grün sein können...

Es ist heiß. Der Grad der Hitze spielt so wenig eine Rolle wie die Uhrzeit. Wind bläst über die Ebene, doch selbst im Schatten fühlt es sich an, als fahre er in eine Feuerstelle direkt vor dem Zelt und wirble die glühende Luft auf. Du kannst nicht lesen, nicht schlafen, nur sitzen und schauen. Zeit sickert in dich hinein.

Mark nimmt uns zu einem Game Drive mit, einer Fahrt im kurzen Abendlicht. Auch Mark ist einer der weißen Nomaden des südlichen Afrikas. Parkranger, Wildhüter, Safariguide, jeder Beruf, der ihn nicht zu lange an einen Ort band, war dem Südafrikaner recht. Wie auch Vaughan und andere Mitarbeiter zieht er alle paar Jahre ein Camp weiter, von Land zu Land, nicht wie die afrikanischen Nomaden den Viehherden hinterher, sondern den Gästen voraus.

Besitzlose mit der Freiheit im Geist

Sie haben sich die Unabhängigkeit der Besitzlosen bewahrt, gepaart mit einer Freiheit im Geist. Die Bangigkeit der weißen Farmer, die seit zwei oder zehn Generationen auf ihrem riesigen Land sitzen, mehr oder weniger berechtigt, und nun um ihre Farmen fürchten, fällt sie nicht an.

Mark weiß, wo die Elefanten baden. Sie trotten auf eine Wasserstelle zu, es ist eine Herde, eine Großfamilie, bestimmt fünfzig Tiere, alte Onkels halten Wache, Kühe und Kinder vergnügen sich. Sie waten durchs Wasser, das rauscht wie die Brandung eines Ozeans, sie bespritzen sich, laden Staub auf sich, sie trompeten, sie lassen sich Zeit.

Dann trotten sie davon, zielstrebig, als hätte ein Gong zu einer Verabredung geläutet. Staub flirrt ihnen im Abendrot hinterher. Im Wasser erhebt sich das Hippo, das hier wohnt. Es reißt sein Maul so weit auf wie die Motorhaube eines Jeeps. Die Botschaft ist klar: Auch für euch ist es jetzt Zeit zu gehen. Mark fährt in den Schatten einer Schirmakazie, packt die Kühlbox aus.

Er steht da, in Khaki, mit einem Bier in der Hand, lässt seine großen grünen Augen zum Horizont wandern und sagt: "Der Busch kriecht dir unter die Haut, die Gerüche, die Ruhe, die Weite. Das lässt dich nie mehr los." Mark trägt auch keine Uhr. Dafür afrikanische, kupferne Armbänder und Messingreifen.

© SZ vom 20. 9. 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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