Bosnien und Herzegowina:Frisch verbunden

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Fast 30 Jahre nach Ausbruch des Bosnienkrieges gibt es wieder eine Seilbahn auf den Trebević , den Hausberg von Sarajevo. Sie soll ein Symbol des Friedens sein in einem immer noch tief gespaltenen Land.

Von Johanna Pfund

Als wäre nichts gewesen: Blick auf Sarajevo von einer neu gebauten Seilbahn aus. (Foto: Elvis Barkukcic/AFP)

Der Kinderchor singt: "Sarajevo, meine Liebe". Ein paar Tränen glitzern auf Gesichtern in der Menschenmenge, die sich an diesem Apriltag an der Talstation zur Eröffnung der neuen Seilbahn in Sarajevo eingefunden hat. 26 Jahre nach dem Ausbruch des bosnischen Bürgerkrieges, bei dem die Stadt fast vier Jahre lang belagert wurde und die Bahn, die es damals gab, zerstört. Die Seilbahn auf den 1629 Meter hohen Trebević ist für die Stadt mit ihren gut 300 000 Einwohnern ein Symbol, mit dem sie anknüpfen will an den einstigen Glanz und die Weltoffenheit als Gastgeberin der Olympischen Spiele 1984. "Heute wollen wir uns wieder verbinden, wir wollen Frieden", sagt Bürgermeister Abdulah Skaka.

Die Seilbahn steht natürlich auch für die Überwindung des Bürgerkrieges. Ein reicher Gönner hat sie der Stadt geschenkt. Edmond Offermann ist ein niederländisch-amerikanischer Kernphysiker, der an der Börse in New York viel Geld verdient hat, mit Datenanalysen und Berechnungen, wie er sagt. An der Universität in Illinois hat er vor 30 Jahren seine Frau Maja kennengelernt, sie stammt aus Sarajevo. "Ich wollte nach dem Krieg etwas tun für die Heimatstadt meiner Frau", sagt er. "Und ich habe eben einen Seilbahntick."

Sarajevo bekam 1959 die erste Seilbahn auf den Hausberg Trebević. Der Berg war schon lange vor den Olympischen Winterspielen 1984 ein beliebtes Ausflugsziel. Die Bobbahn, die damals an die Nordseite des Berges gesetzt wurde, war zu jener Zeit die modernste der Welt.

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(Foto: Johanna Pfund)

Schwebt über allem: Auch über den Martkständen in Sarajevo hängt die Seilbahn.

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(Foto: Johanna Pfund)

Der Krieg hat überall in der Stadt seine Spuren hinterlassen. Manche machen damit ein Geschäft - und verkaufen Schlüsselanhänger aus Patronen.

Vor dem Krieg war der Trebević ein beliebtes Ausflugsziel - und könnte es wieder werden.

Bereits an der Talstation hat man einen guten Blick auf die wieder aufgebaute Altstadt, Minarette wechseln sich mit Kirchtürmen ab und zeigen das lange Zeit friedliche Nebeneinander der Kulturen. Man sieht auch das neomaurische Gebäude Vijećnica mit Rathaus und Nationalbibliothek, das viele Jahre lang nur noch eine Ruine war, jetzt aber in alter Pracht wiederaufgebaut ist. Einschusslöcher in manchen Hauswänden erinnern noch an den Krieg, der hier von 1992 bis 1995 tobte. In den Marktgassen, gesäumt von niedrigen Gebäuden mit Modeläden, Souvenirshops und Teestuben, schlendern viele Menschen, Frauen mit Kopftuch, Frauen ohne Kopftuch.

Vielleicht wird der Trebević auch wieder das beliebte Ausflugsziel, das er vor dem Krieg gewesen ist. "Mit meinen Eltern waren wir mindestens einmal pro Woche hier oben beim Kaffeetrinken, mit meinem Sohn bin ich hier Skifahren gegangen", erzählt Bergbahnmitarbeiter Davor Novacek. Als der Krieg ausbrach, schickte der 64-jährige Ingenieur Frau und Sohn nach Heidelberg. Er blieb und kämpfte. "Ich habe geweint, als ich erfahren habe, dass die Bahn wieder aufgebaut wird. Die Leute hier sind glücklich darüber." Oben auf dem relativ flachen, grasigen Gipfel werden gerade noch Spazierwege planiert, damit man den schönen Blick auf Sarajevo genießen kann.

Von hier sind hinter den Altstadthäusern Hochhäuser an der Peripherie des Talkessels zu sehen, auch die große Ausfallstraße, die als "Sniper Alley", als Heckenschützenstraße, traurige Berühmtheit erlangte. Man versteht, weshalb die überwiegend von bosnischen Muslimen bewohnte Stadt von den serbischen Verbänden eingeschlossen werden konnte. Fast jeder, den man trifft, kann eine leidvolle Geschichte erzählen. Die Mutter des Bahn-baustellenleiters Dejan Gavric wurde beim Wasserholen von Heckenschützen erschossen, andere beim Anstehen um Brot.

Nur ein paar Hundert Meter hinter der Bergstation, die gerade noch auf dem Stadtgebiet des bosnischen Sarajevo liegt, verläuft die Grenze zur Republik Srpska, der anderen politischen Einheit in Bosnien-Herzegowina. Serbisches Militär besetzte im Frühling 1992 den Gipfel, dabei wurde der Bahnmitarbeiter Ramo Biber erschossen - einen Monat vor Kriegsausbruch. Eine Gedenktafel an der Bergstation, so neu wie die Bahn, erinnert nun an ihn, das erste Kriegsopfer. Nenad Samardžija, der Bürgermeister von Sarajevo-Ost, das zur Republik Srpska gehört, ist zur Eröffnung gekommen - als Geste der Versöhnung.

Auch bei den Bergbahnen arbeitet man zusammen. Das Skigebiet Ravna Planina liegt nur 20 Kilometer von Sarajevo entfernt auf dem Gebiet der Republik Srpska. Die Betreibergesellschaften pflegen eine "ausgezeichnete Zusammenarbeit", wie der Geschäftsführer von Ravna Planina, Veljko Golijanin, betont. "Wir hoffen, dass diese erfolgreiche Zusammenarbeit auch in Zukunft fortgesetzt wird." Ganz so einfach wird es wohl nicht. Die Spaltung zwischen den zwei Landesteilen und den jeweiligen Politikern ist nach wie vor groß. Auch die wirtschaftliche Lage Bosnien-Herzegowinas ist alles andere als rosig. Die Arbeitslosenquote lag im Jahr 2017 bei etwa 20 Prozent.

Der junge Bürgermeister Abdulah Skaka, sieht die Bahn als ein Zeichen des Friedens in einem immer noch gespaltenen Land. (Foto: Johanna Pfund)

Aber die Bahn soll ein erster Schritt zum Miteinander sein, wenn es nach dem jungen Bürgermeister von Sarajevo geht. "Aus politischer Sicht ist es wichtig, dass wir die beiden Einheiten des Staates verbinden, wir wollen nicht, dass so etwas noch mal passiert", sagt Skaka. Mit seinen 35 Jahren ist er der jüngste Bürgermeister in der Geschichte der Stadt. Er will die Annäherung an die Republik Srpska vorantreiben. Geboren wurde er in einem Haus, das nur 15 Meter von der ersten Stütze der Bahn entfernt liegt. "Als wir Jugendliche waren", erzählt er, "träumten meine Freunde und ich davon, dass es irgendwann wieder eine Seilbahn geben würde."

Einfach war der Wiederaufbau aber nicht. Der Gönner Offermann, der auch Mehrheitseigner der Saastal-Bergbahnen ist, hatte eine gebrauchte Bahn aufgetrieben. Er organisierte den Transport der alten Bahn aus dem Walliser Ort Grächen nach Sarajevo mithilfe der Schweizer Armee. Er sagte zu, Elektronik und Aufbau zu bezahlen. "Aber nichts passierte", erzählt er. Ein Grund war, dass laut bosnischen Behörden für die Bahn in Sarajevo EU-Standards zu gelten hätten, keine Schweizer Standards. So lagen die Bahnkomponenten seit 2011 ungenutzt herum, berichtet Baustellenleiter Dejan Gavric.

Als nichts weiterging, schickte Offermann im Sommer 2016 einen Brief an das Rathaus, in dem er sein Angebot zurückzog. Es war der 20. Amtstag von Skaka, damals noch Vizebürgermeister. Skaka setzte alle Hebel in Bewegung, um den Gönner zu halten. Dann ging es schnell. Die alten Bahnteile wurden als Stahlschrott verkauft, der Erlös floss in das nun vollkommen neue Projekt: neue Stützen, neue Gondeln, ein neues Seil. Etwa acht Millionen Euro kostete das, knapp die Hälfte davon bezahlte Offermann. Im Sommer 2017 begann die Südtiroler Firma Leitner Ropeways mit dem Bau.

Nun sei Sarajevo wieder einen Schritt weiter, findet der Bürgermeister. "Wir haben eine schwierige Geschichte", sagt Skaka. "Aber wir müssen an der Versöhnung arbeiten, und da vertraue ich auf die Jugend."

© SZ vom 03.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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